Lohnte es sich überhaupt noch, genauer hinzuhören? Seit Tagen schon ertrank diese schrille Sprache in ihrem ewigen Staccato aus »letzter Frist«, »letztem Ultimatum«, »letzter Warnung«. Dem »Serben Slobodan Milosevic´«, der so etwas wie den Part des Bösen schlechthin zu geben hat und zuweilen diese Rolle wohl annimmt, wurde ein ums andere Mal bescheinigt, nur noch eine »letzte Chance« zu haben. Fast wollte es scheinen, als hätte die Sprache sich selbst gleichschaltender Medien auch einen »letzten Kraftakt« zu vollbringen, bis es soweit ist.
Treibt Europa mit einem europäischen Krieg auf dem Balkan in seine Vorgeschichte zurück? Es hat immerhin mehr als ein halbes Jahrhundert gebraucht - historisch gesehen nur eine Winzigkeit, bis dieses zivilisatorische roll back auf der Tagesordnung steht. Eine Zäsur auch für die Bundesrepublik Deutschland. Es sollte vermerkt werden, daß bei einem Bruch des Völkerrechts - und nichts anderes stellt die Selbstermächtigung der NATO gegen den souveränen Staat Jugoslawien dar - das Land von einem sozialdemokratischen Bundeskanzler und einem grünen Außenminister geführt wird. Beide strampeln im Räderwerk einer Eskalationslogik, die sie nicht ausgelöst, aber mit zu verantworten haben. (Diese Logik hat übrigens bis zuletzt auch Bill Clinton zögern lassen, weil niemand weiß, bis zu welchem Finale sie sich strecken mag.) Auf alle Fälle ist nun dafür gesorgt, daß zwischen deutsche Soldaten und einen Krieg auf dem Balkan kaum mehr der Hauch eines beladenen Gedächtnisses paßt. Selbiges reicht gerade noch, bereits dislozierte Leopard-Panzer in Mazedonien vorerst den Kameras zu verweigern. Es beruhigt kaum, die Schamgrenze unter einem Tarnnetz der Bundeswehr verborgen zu wissen.
Zu den ersten Errungenschaften auf dem eingeschlagenen Weg gehört ein neuer Verhaltenskodex für die Vereinten Nationen, der das Prinzip der Nichteinmischung in die Angelegenheiten der NATO festschreibt. Die Weltorganisation bleibt ungefragt (oder will nicht mehr gefragt werden), wenn der Frieden zur Disposition steht. Ihr Generalsekretär dachte bis zur Wochenmitte nicht einmal daran, wenigstens den Sicherheitsrat einzuberufen. Nur, was sollten die Vereinten Nationen auch tun, denen ein Statut vorschreibt, daß Kriege zu ächten sind. Sollten sie sich konsequenterweise ins Beinhaus ihrer wechselvollen, nun aber abgeschriebenen Geschichte zurückziehen? Kann man außer Autorität nicht auch seine Ehre verlieren - und das für immer?
Slobodan Milosevic´ braucht doch nur zu unterschreiben, schreit es sich heiser. Nein, es ist noch viel banaler. Er brauchte nur noch zu kapitulieren. Das wird man doch verlangen dürfen, wenn dafür im Gegenzug die elende Krisenprovinz amputiert wird.
Unterschrieben hatten die Serben schon bei »Rambouillet I« den politischen Teil eines Friedensvertrages, mit dem die Autonomie für das Kosovo vereinbart war - im Gegensatz zu den Kosovo-Albanern, die auf Unabhängigkeit beharrten und sich darin auch von Madeleine Albright nicht beirren ließen. Erst eine frisierte Version des Abkommens bei »Rambouillet II« stimmte sie um, während nun die Serben nicht mehr mitspielten.
Aber vielleicht verdient dies alles auch einen weniger dramatischen Zungenschlag. Daß Kriege wieder führbar sind, daran hat man sich gewöhnen dürfen. Im Bauchladen der Begriffe tummelt sich das Wort »Militärschlag« und klingt nach dem sauberen, scharfen Schnitt des Chirurgen, der einfach wegschneidet, was wehtut. Ein Staat wie Jugoslawien wird eben auf Normalmaß zurechtgestutzt, auf daß er endlich seinen gebührenden Platz in der »Neuen Weltordnung« finden möge. Europa spiegelt sich 1999 schließlich auf einer anderen Landkarte als 1989 - und das Jahrzehnt träumt von einem krönenden Abschluß. Die Neue Zürcher Zeitung insistiert in ihrer Ausgabe vom letzten Wochenende, es sei »ein Anliegen von EU und NATO, die historische Donau-Balkan-Route Wien-Budapest-Belgrad-Nis-Thessaloniki wieder in Betrieb zu nehmen«. Wie wäre es mit einem Korridor unter treuhänderischer Verwaltung »von EU und NATO«? Und kann es falsch sein, wenn das ehrbare Vorhaben mit den leidigen Folgen eines Betriebsunfalls der Geschichte aufräumt, bei dem sich vor Jahrhunderten das Volk der Serben (auch: »Killerserben«) auf diese »historische Route« gepflanzt hatte? Ein Volk, das bekanntlich nicht die Ehre genießt, dem abendländischen Kulturkreis anzugehören, statt dessen in einem der zuletzt vermehrt auftretenden »Schurkenstaaten« lebt, die - wie der Name schon andeutet - als Gebilde minderer Qualität für Militärschläge freigegeben sind, ob sie nun Libyen, Sudan, Irak, Iran, Afghanistan oder Jugoslawien heißen. Die genannten Fälle unterscheiden sich für den erwähnten Kulturkreis nur in der Intensität der Wahrnehmung - der Umgang mit ihnen ist ansonsten einem eher einheitlichem Standard unterworfen, was besonders den Amerikanern zu danken ist.
Jetzt aber - im Falle Jugoslawiens - ist dafür die gesamte NATO gefragt und darf sich einem neuen Selbstverständnis nähern, das - rechtzeitig zum 50. Jubiläum - auf ein globales Interventionsrecht nicht länger verzichten will. Das Bündnis gibt sich damit wohl nicht nur aus einer verspielten Laune heraus als ein später Erbe der einstigen »Breshnew-Doktrin« zu erkennen. Deren Credo bestand bekanntlich darin, Staaten, die innerhalb des sowjetischen Imperiums lagen, nur eine begrenzte Souveränität zuzubilligen. Mit dem Vollzug dieser Doktrin kann zwischenzeitlich, wie der Fall Jugoslawien beweist, offensichtlich großzügiger umgegangen werden. Bündnisgrenzen setzten keine Grenzen mehr. Zweifellos wird es dem anstehenden NATO-Jubiläumsgipfel in Washington vorbehalten sein, dies als erfreulichen Fortschritt der »Neuen Weltordnung« zu feiern.
Es lohnt sich also angesichts dieser Fahrt ins Elysium, den brandigen Geruch der eingangs zitierten Sprache tief einzuatmen. Es lohnt sich, beharrlich altmodisch zu sein und die Vereinten Nationen vielleicht doch nicht im Pantheon der Geschichte zu beerdigen. Es lohnt sich wirklich, klar und deutlich »Nein« zu sagen.
Zu diesem Thema siehe auch:
Norman Paech
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