Finanzmärkte Der Ökonom Rudolf Hickel über Barack Obamas Radikalreformen für die Finanzmärkte, den Super-Cop Zentralbank und über Perspektiven für Finanzreformen in Europa
Der Freitag: Ist das vom Präsidenten der USA vor wenigen Tagen vorgelegte Konzept zur Finanzkontrolle geeignet, die Kapitalmärkte zu beruhigen?
Was man auf diesen 89 Seiten liest, erlaubt zunächst eine Schlussfolgerung: Da will einer „transparente Verkehrsregeln“ für Finanzmärkte. An einer Stelle heißt es, die Geschäfte der Investmentbanken sollen „bis in den letzten Winkel der Welt“ verfolgt werden. Ich kann dem nur ausdrücklich zustimmen. Der massive Widerspruch, den Obama bei Goldman Sachs und JPMorgan Chase, auch der Deutschen Bank, erntet, belegt, dass er das Nervensystem der Finanzwelt getroffen hat.
Sie halten es für richtig, wenn die US-Zentralbank Fed in der Finanzwelt zum Super-Cop aufsteigt?
Das ist auf jeden F
chtig, wenn die US-Zentralbank Fed in der Finanzwelt zum Super-Cop aufsteigt?Das ist auf jeden Fall ein notwendiger Schritt, weil die Fed jetzt wirklich die Aufsicht über die Großbanken und die Kontrolle über Nischenprodukte – die so genannten riskanten Papiere – erhält. Auch wenn damit ein deutlicher Machtzuwachs verbunden ist – ihn gerade diesem Institut zu ermöglichen, erscheint mir von der Grundentscheidung her nötig. Die Notenbank hat nun einmal den besten Durchblick, in welchem Zustand sich die einzelnen Banken befinden. Außerdem trägt die Fed nicht die maßgebliche Schuld an der heutigen Finanzmarktkrise in den USA. Völlig neu wird die Einrichtung einer US-Verbraucherschutzagentur – der Consumer Financial Protection Agency CFPA – sein. Ein lobenswerter Vorgang, weil er das aufnimmt, was wir in Deutschland unter dem Begriff TÜV für Finanzmarktprodukte diskutieren. Das sorgt für eine Kontrolle solcher Papiere zugunsten kleiner Anleger. Es wurde von den US-Verbraucherverbänden auch verlangt, die Zinshöhe bei Kreditkarten noch oben hin zu begrenzen. Warum ist Obama darauf nicht eingegangen? Weil die Lobbyisten in Washington protestiert haben. Obama braucht einen möglichst großen Rückhalt für seine Inventuren im US-Kongress und hat Rücksichten nehmen müssen. Aber das schmälert kaum etwas an der Zäsur, die sich jetzt abzeichnet und die darin besteht, dass Finanzprodukte künftig erklärbar und transparent sein müssen. Da wird mancher Fallstrick gekappt, der für Anleger gespannt war. Die Verbraucherschutzagentur soll übrigens auch dafür sorgen, dass lokale Banken wieder Kleinkredite für Normalverbraucher vergeben. Sie haben schon Institutionen genannt, die künftig ihren Part zu spielen haben. Andere, wie die Börsenaufsicht SEC, gibt es weiter. Wirkt das alles nicht ziemlich zersplittert? Ja, die vielen unterschiedlichen Aufsichtsbehörden schwächen eine entschiedene Regulierung, vor allem deren Kontrolle. Es ist fraglich, ob der vorgesehene Regulierungsrat die Widersprüche auflösen kann. Natürlich ist Obamas Papier ein Kompromiss. Die großen Banken haben darauf Einfluss genommen und manches lektoriert, was ihnen missfiel. Dennoch bleibt die Kritik der Banken, Hedgefonds und Rohstoffhändler gewaltig. Es drohen weitere Kompromisse im Kongress. Wird die Fed künftig die Börsenaufsicht SEC teilweise ersetzen?Während die SEC für die Kontrolle der börsennotierten Unternehmen zuständig ist, übernimmt die Fed die Kontrolle der Großbanken, aber auch der Versicherungen – wie der AIG, die vor Wochen heftig ins Schleudern kam. Für ihre Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzwelt braucht die Fed aber die Zustimmung der Regierung. Entscheidend ist auf jeden Fall: Sie hat künftig die zusätzliche Aufgabe, die mehrfach verpackten Wertpapiere zu kontrollieren, die auf Forderungen an Kreditkunden basieren und die Finanzkrise ausgelöst haben. Es bleibt der Eindruck eines schwer überschaubaren Geflechts.Ich hatte mir gewünscht, dass sich alles auf drei Behörden konzentriert: die Zentralbank Fed, die Börsenaufsicht SEC und die Verbraucherschutzagentur CFPA. Das scheint so nicht vorgesehen.Ja, leider.Sehen sie weitere Mängel?Einen ganz großen. Die Rating-Agenturen werden praktisch nicht gestutzt, sondern bestenfalls indirekt in ihrer Macht beschränkt, indem gesagt wird, die Wertpapieraufsicht braucht sich nicht mehr so stark an deren Urteil zu halten, wie das bisher üblich war. Was hätte passieren müssen?Man hätte sie verstaatlichen sollen, aber da hat sich offenbar die Lobby der Investmentbanker durchgesetzt. JPMorgan Chase, Goldman Sachs und andere haben interveniert. Das Ergebnis: bei den Rating-Agenturen ist ein zahnloser Tiger entstanden.Bleibt mit den neuen Funktionen der Fed die klassische Aufgabe einer Zentralbank – Festlegung des Leitzinses und damit Konjunktursteuerung – erhalten?Es kann sein, dass die jetzt in Aussicht stehenden Maßnahmen zu Lasten dieser Funktion gehen – es muss nicht. Es sollte bei der Fed – wie das für die Bundesbank auch vorgesehen ist – die Aufsichtsbehörde richtig ausgebaut werden. Die Zentralbanken müssen diese Mission schultern, weil sie die einzelnen Banken unglaublich gut kennen. Sie haben die Statistiken – sie wissen, in welcher Lage eine Bank ein großes Geldmarktgeschäft macht. Sie wissen, ob die Grundlagen stimmen. Sie können das Bündel an Informationen nutzen, das nur sie haben. Von daher ist die Machtkonzentration zugunsten der Fed richtig.Künftig müssen US-Banken mindesten fünf Prozent an verbrieften Wertpapiere, die sie ausreichen, selbst im Portfolio halten. Eine ausreichende Quote?Überhaupt nicht. Ich habe immer für 20 Prozent plädiert. Es gibt auch Leute, die sagen, 100 Prozent sind angemessen, was im Prinzip darauf hinausläuft, diese Art von Verbriefungskrediten zu verbieten. Mir scheinen 20 Prozent eine akzeptable Größe. Was heißt das? Wenn dann etwa eine Hypothekenbank riskante Kredite an nicht bonitäre, also einkommensschwache Kunden vergibt, muss sie ein Fünftel der damit verbundenen Forderungen in der Bilanz halten. Sie darf nur 80 Prozent verbriefen und muss 20 Prozent dieser Forderungen mit Eigenkapital unterlegen. Fünf Prozent sind viel zu wenig. Warum?Wenn die Banken nur diesen Anteil mit Eigenkapital unterlegen müssen, werden sie den Rest weltweit verkloppen. Damit wären keine Lehren aus den Ursachen der jetzigen Weltfinanzkrise gezogen.Gehen Ihre 20 Prozent nicht ans Kerngeschäft vieler Finanzinstitute? Mag sein, nur können wir nicht mit einem System fortfahren, dass Banken bei der Kreditvergabe Risiken eingehen und für das geplatzte Geschäft nicht aufkommen müssen. Was lässt sich von Obamas Radikalreformen für den Euroraum übernehmen?Auf jeden Fall die neue Verbraucherschutzagentur, damit die kleine Rentnerin nicht mehr mit dem Zertifikat von der Citibank über den Tisch gezogen werden kann. Der EU-Rat hat beim Gipfel in Brüssel einen ersten Entwurf diskutiert. Der neu zu schaffende System-Risikorat wird auch bei der Notenbank, also der Europäischen Zentralbank EZB, angehängt. Leider hat Großbritannien, um sich nationale Kompetenz bei der Bankenaufsicht zu sichern, einen faulen Kompromiss erzwungen. Schließlich sollte die EU im Unterschied zu den USA eine Verstaatlichung der Rating-Agentur durchsetzen. In allen 27 EU-Staaten? Es geht nicht anders. Man muss einen Mindeststandard der Harmonisierung einführen. Wenn die Rating-Agenturen nicht in allen Ländern gleich behandelt werden, bekommen wir wieder eine Deregulierungskonkurrenz. Sollte das in der Verantwortung der nationalen Regierungen oder einer EU-Behörde liegen? Man muss nationale Behörden schaffen, aber in einer EU-Instanz zusammenführen. Man kann sich das so vorstellen wie beim Kartellrecht: Wir haben ein Bundeskartellamt und ein europäisches Kartellgesetz. Was unterhalb großer Fälle liegt, wird national geregelt. Oberstes Ziel muss ein Ende der Zersplitterung in national unterschiedliche Aufsichtssysteme sein.
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