Das Betriebssystem wechseln

G20-Gipfel I Nicht nur wegen Syrien ist das Verhältnis USA–Russland auf einem Tiefpunkt. Das muss sich dringend ändern. Oder will man wieder Feindbilder aus Zeiten des Kalten Krieges?
Ausgabe 35/2013
Das Betriebssystem wechseln

Foto: imago/Itar-Tass

Wohin sollte der US-Präsident vor dem G20-Treffen in St. Petersburg reisen und wen treffen? Stockholm oder Moskau standen zur Wahl. Premier Fredrik Reinfeldt bekam den Zuschlag, Präsident Wladimir Putin eine Absage. „Schweden ist ein enger Freund und Partner der USA“, verbreitet das Weiße Haus. „Es spielt international eine Schlüsselrolle, wenn es um neue Handels- und Investitionsmöglichkeiten geht.“ Da kann die Russische Föderation nicht mithalten und darf sich glücklich schätzen, dass Obama nicht Luxemburg oder Liechtenstein den Vorzug gab.

Den Gastgeber des G20-Gipfels Anfang September wegen des Asyls für den Whistleblower Edward Snowden mit einem Affront zu strafen, wirkt wenig souverän – es wird zur Unterlassungssünde, wenn der Friedensnobelpreisträger aus Washington trotz der Syrien-Eskalation dabei bleibt. Immerhin könnten Obama und Putin als Ko-Präsidenten einer weiterhin machbaren Syrien-Konferenz in Genf alle Konfliktparteien zu Verhandlungen einladen und ihnen mitteilen: Wer sich weigert, hat jedes Recht verwirkt, auf Syriens Zukunft einzuwirken. Als Schirmherren einer Verständigung werden das die USA und Russland durchzusetzen wissen. Wäre das Undenkbare möglich, gäbe es Hoffnung für Syrien.

Wie im Kalten Krieg

Nur ist ein Agreement der Vernunft in St. Petersburg schon deshalb so gut wie ausgeschlossen, weil Moskau 2011 bei der UN-Libyen-Resolution 1973 betrogen wurde. Seinerzeit legte der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin kein Veto ein, sondern enthielt sich der Stimme, nachdem die USA und Frankreich zugesichert hatten: Es werde zwar eine Flugverbotszone geben, aber keine Militärintervention. Tage später zerstörten US-Flügelraketen Radarsysteme, Raketenstellungen, Panzer und schwere Waffen der Gaddafi-Armee – es gab Luftschläge, um die Balance am Boden zugunsten der Aufständischen zu verändern. Seither wehren sich Russland und China im Sicherheitsrat beim Thema Syrien gegen jeden Beschluss, der zum Vorlauf für einen per Intervention ausgelösten Regimewechsel werden könnte.

Als wären die russisch-amerikanischen Beziehungen nicht schon genug belastet, hielt es Obama wegen des Falls Snowden auch noch für geboten, Putin zu unterstellen, „im Denken und in seiner Mentalität“ weiter dem Kalten Krieg verfallen zu sein. Wäre das so, gäbe es dann einen großzügigen russischen Transitkorridor für den Nachschub der US-Armee in Afghanistan? Als Sowjettruppen bis 1989 am Hindukusch standen, rüsteten die USA mit den Taliban deren Gegner hoch und riefen Geister, die sie nie wieder los wurden. Nur ließ der Kalte Krieg offenbar keine andere Wahl, als in der Sowjetunion zuerst den Feind und erst dann einen etwaigen Partner zu sehen. Fände Russland heute noch Gefallen an einem solchen Verhaltensmuster, hätte es den Amerikanern nach dem Attentat auf den Boston-Marathon Informationen geliefert, die zu den Tätern führten? Gäbe es einen Schulterschluss im Anti-Terror-Kampf, den Putin während seiner ersten Präsidentschaft sofort nach 9/11 angeboten hat?

Dreister Wortbruch

Andrew Kuchin, Russland-Experte am Center for Strategic and International Studies in Washington, hält die Stimmung zwischen Washington und Moskau im Moment für unterkühlt bis desaströs. „Ich glaube, das Verhältnis durchläuft ein ähnlich prekäres Stadium wie im August 2008 während des Georgien-Krieges. Damals wirkten die Beziehungen so zerrüttet, als seien sie irreparabel.“ Der Republikaner John McCain sekundiert und will Russland wieder wie einen Gegenspieler behandelt sehen, den die USA kompromisslos attackieren. „Jetzt ist die Zeit gekommen, unsere Beziehungen zu Putin fundamental zu überdenken“, souffliert der Senator dem Weißen Haus. „Wir müssen uns mit dem Russland auseinandersetzen, das existiert. Nicht mit dem, das wir uns vielleicht wünschen.“

Besonders das Thema atomare Abrüstung und Waffenkontrolle entzweit, statt zu vereinen. Mit seiner jüngsten Forderung, die Nuklearwaffen weiter zu reduzieren, biss Obama bei einem höchst unfreundlichen Gespräch während des G8-Gipfels Mitte Juni im nordirischen Enniskillen bei Putin auf Granit. Der will keine Langstreckenraketen opfern, solange die USA den Gedanken an ein hoch sensibles Raketenabwehrsystem in Osteuropa nicht vollends aufgeben haben, und fürchtet um die strategische Exklusivität der Atommacht Russland.

Was Obama bei seinen auf den öffentlichen Effekt bedachten Abrüstungsideen stets ausblendet, sind die verstörenden Erfahrungen, die Russland mit der NATO-Osterweiterung in den neunziger Jahren sammeln musste. Zwar war dem einstigen sowjetischen Staatschef Gorbatschow 1990 versichert worden, die westliche Allianz werde bleiben, wer sie ist und wo sie ist, dann aber rückte ein von Estland bis Bulgarien aufgestocktes Bündnis auf die russische Westgrenze vor. Seit Putin-Regierungen mit diesem Wortbruch so umgehen, wie sie es der nationalen Sicherheit schuldig sind, sonnt sich der Westen in seinem zivilisatorischen Glanz und denunziert Russland als autoritäres, vormodernes Gebilde, das gemaßregelt wird, wann immer es geht. So handelt, wer „im Denken und in seiner Mentalität“ dem Kalten Krieg nie wirklich entkam.

Zu welchen Peinlichkeiten Ignoranz und fehlende Kenntnis der anderen Seite führen können, zeigte sich Anfang 2009 kurz nach dem Amtsantritt Obamas. Es sollte einen Neuanfang im Verhältnis zu Moskau geben. Schnell war das Schlagwort Reset gefunden, denn eben dieser Notschalter sollte gedrückt werden. Außenministerin Hillary Clinton sprach bei Putin mit einem symbolischen Reset-Knopf in einer Geschenkschatulle vor. Nur war die Beschriftung in Russisch derart missraten, dass genau das Gegenteil dessen gesagt wurde, was beabsichtigt war. Um im Bild zu bleiben: Vielleicht wäre den Amerikanern und ihren Beziehungen zu Russland ein Austausch des Betriebssystems zu empfehlen.

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