Der kalte Frieden von Camp David

Im Gespräch Udo Steinbach, langjähriger Direktor des Orient-Instituts, fordert nach dem Umbruch in Ägypten konstruktivere Verhandlungen der Isarelis mit den Palästinensern

Der Freitag: Täuscht der Eindruck oder spielte bisher das Thema Israel beim Aufstand in Ägypten keine Rolle?

Udo Steinbach: Zumindest keine unmittelbare Rolle, was die Ziele der Proteste betraf.

Aber betrifft es nicht ganz un­mittelbar die Gaza-Blockade, wenn Hosni Mubarak nicht mehr im Amt ist? Schließlich hat er die israelische Abriegelung mitgetragen?

Sollte mit dem Mubarak-Rücktritt eine Demokratisierung des ägyptischen Systems verbunden sein, dann dürfte der Druck auf Israel wachsen, wirklich in einen Friedensprozess mit den Palästinensern einzutreten. Wir wissen, dass der Friedensvertrag, der 1979 zwischen Israel und Ägypten besiegelt wurde, für einen kalten Frieden gesorgt hat. Das heißt, die ägyptische Öffentlichkeit hat dieses Abkommen eigentlich nie mitgetragen. Während die arabische Regimes – das von Mubarak, aber auch andere in der Region – eine Art von Komplizenschaft mit der israelischen Palästina-Politik einge­gangen sind. Dies wird sich erheblich ändern.

Stehen drei Jahrzehnte Camp-David-Politik als von den USA dominierter Ausgleich zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn zur Disposition?

Auch hier gilt: Nicht unmittelbar. Ein demokratisches System in Ägypten, wenn es dazu kommt, muss sich konsolidieren. Es braucht politischen und ökonomischen Beistand des Westens, besonders der EU und der USA. Insofern wird, wer auch immer in Kairo regiert, zunächst einmal behutsam mit dem Camp-David-Vertrag von 1979 umgehen. Käme es freilich zu einer Radikalisierung – zu einem stärkeren Einfluss der Muslim- Bruderschaft innerhalb des neuen Systems und zu keinerlei Fortschritten, was die Lage in Palästina angeht –, könnte ich mir vorstellen, dass am Ende des Tages auch Camp David in Frage steht.

Was bedeutet der Abgang Mubaraks für Israel, wenn man in Betracht zieht, dass kurz zuvor im Libanon mit Nadschib Mikati ein neuer, von der Hisbollah gestützter Premier ins Amt kam?

Die politische und strategische Situation Israels verschlechtert sich weiter. Wir haben im Sommer 2006 mit dem Libanon-Krieg und zum Jahreswechsel 2008/09 mit dem Gaza-Krieg erlebt, wie sich die Konfrontation immer mehr zu den arabischen Massen verlagert. Bei beiden Konflikten hatte es die israelische Armee nicht mehr mit Staaten, sondern mit Bewegungen zu tun. Wenn es in Ägypten zu einem wachsenden Einfluss von Kräften kommen sollte, die Israel ohnehin kritisch gegenüberstehen, wird diese Tendenz stärker ...

... und für Israel noch sehr viel mehr zum Nachteil?

Ja, und zwar deshalb, weil der Plan des saudischen Königs Abdullah, der nach wie vor die Grundlage für einen Ausgleich Israels mit den arabischen Staaten sein könnte, von den arabischen Massen verworfen würde. Damit wäre zugleich die Position Abdullahs hinfällig, dass die arabische Welt Israel anerkennt, wenn es zu einem Frieden kommt. Die Regierung Netanjahu sorgt selbst dafür, dass diese Basis einer Verständigung verloren geht, da sie gegenüber den Palästinensern zu keinerlei Entgegenkommen bereits ist.

Wird Hamas davon profitieren?

Schon deshalb, weil Hamas ein Ableger der Moslem-Brüder ist. Hier existieren weltanschauliche Brücken. Auch der Einfluss Irans dürfte unter den jetzigen Bedingungen größer werden. Wenn wir die Rede von Revolutionsführer Chamenei, die er dieser Tage gehalten hat, richtig verstehen, hat er den Aufstand in Ägypten klar unterstützt und das System Mubarak als Lakaien-Regime der Amerikaner verurteilt.

Wie beurteilen Sie die offizielle deutsche Position zum Umbruch in Ägypten?

Meine Bewertung bezieht sich auf die EU überhaupt, die sich vor dem Abtritt Mubaraks nicht sonderlich weit aus dem Fenster gelehnt hat, weil die Masse der arabischen Staaten tatsächlich nur einen marginalen Wandel des Regimes in Ägypten wollte. Dort ist eine Demokratisierung noch längst nicht gesichert, die etablierten Kräfte machen nur geringfügige Konzessionen und wollen den Aufstand aussitzen. Bezogen auf die Durchschlagskraft der Protestbewegung, wird es entscheidend sein, ob sie von Europa mehr unterstützt wird. Wenn dieser demokratische Prozess im Sande verläuft, wird die EU daran eine Mitverantwortung tragen.

Könnte Europa nicht auch versucht sein, die arabischen Eruptionen zu nutzen, um Israel mehr Konzilianz gegenüber den Palästinensern abzuringen?

Die deutsche Außenpolitik wird es nicht wagen, soweit zu gehen. Das hat ja der Israel-Besuch der Kanzlerin vor Tagen gezeigt. Man äußert sich kritisch zu den Siedlungen, was Netanjahu unbeeindruckt lässt. Zugleich wird die deutsch-israelische Kooperation intensiviert. Ein falsches Signal im Blick auf das, was eigentlich ansteht.

Das wäre?

Druck ausüben, notfalls durch Sanktionen. Eine andere Sprache versteht Netanjahu nicht. Auch viele Israelis sind schockiert über die Art und Weise, wie wir nach wie vor mit einer Regierung zusammenarbeiten, die nichts für den Friedensprozess tut.

Wäre es jetzt nicht an der Zeit, mit Hamas anders umzugehen?

Wir kommen nicht umhin, wenn wir die arabische Demo­kratiebewegung fördern wollen und dabei natürlich die Muslim-Brüder akzeptieren müssen, dann müssen wir auch überdenken, ob unsere Einstellung zur Hamas noch zeitgemäß ist. Wenn ein demokratisches Palästina der Partner Israels im Friedensprozess sein soll, dann wird das nicht zu haben sein, ohne eine starke Teilhabe auch von Vertretern der Hamas.

Ist der Sturz Mubaraks mit dem des Schah im Iran vor genau 32 Jahren vergleichbar, wie es in Teheran heißt?

Das erscheint mir übertrieben. Ayatollah Chamenei wird da mit seinen Äußerungen zum Opfer eigenen Wunschdenkens. Der Iran ist noch immer ein schiitisches System, dort wurde die Geistlichkeit gegen Ende der Revolution von 1979 zu deren Führer. Auch nicht eine Spur davon finden wir derzeit in Ägypten oder Tunesien, wo der sunnitische Islam einen ganz anderen politischen Stellenwert hat, als das für den schiitischen im Iran zutrifft.


Udo Steinbach studierte Islamkunde und klassische Philologie. Von 1971 bis 1974 war er Leiter des Nahost-Referats der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen, dann Leiter der Türkei-Redaktion der Deutschen Welle. Von 1976 bis 2006 führte er das Deutsche Orient-Institut in Hamburg und lehrt heute an der Universität Marburg Das Gespräch führte Lutz Herden

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden