Zu guter Letzt ließ sich Präsident Sarkozy aus der Reserve locken und konnte bei der Schlacht um Abidjan der postkolonialen Versuchung nicht widerstehen. Es waren französische Helikopter, die am 10. und 11. April dafür sorgten, dass die Residenz von Laurent Gbagbo beschossen und der ivorische Ex-Präsident zur Kapitulation gedrängt wurde. Dabei sollte die Elfenbeinküste – einst Schaufenster einer französisch geprägten Region – den für die Afrika-Politik von Elysée und Quai d’Orsay längst geltenden Paradigmenwechsel bezeugen. Keine robuste Einmischung mehr, stattdessen, soweit möglich, diplomatischer Feinschnitt. Sowohl der Vertrag von Marcoussis (2003) wie auch der von Ouagadougou (2007) hatten französische Mentoren, die sich für eine geteilte Macht zwischen den Rebellen im Norden und den Laurent Gbagbo folgenden Streitkräften im Süden einsetzten. Doch als Frankreich durch einen nicht wirklich einzudämmenden Bürgerkrieg immer tiefer in den Sumpf des ivorischen Konflikts geriet, erwies sich das Charisma des ehrlichen Maklers als wenig überzeugend.
Nicolas Sarkozy wollte anders sein als seine Vorgänger Giscard, Mitterrand und Chirac, die sich nicht scheuten, in die internen Angelegenheiten ehemaliger Kolonien hineinzufunken. Doch blieb von diesem Vorsatz in Côte d’Ivoire dann doch nicht mehr übrig als einst von jenen Versprechen, mit denen 1981 der Sozialist François Mitterrand (1981 bis 1995 im Amt) als Präsident angetreten war, um die Afrika-Politik des Gaullismus abzuräumen. Deren Gebote lauteten: Als koloniales Imperium den eigenen Tod überleben, als postkoloniale Macht vor Vitalität sprühen und als westlicher Staat ein traditionelles Einflussgebiet mit Führungsansprüchen behelligen. Dazu war ein Vertragsgeflecht mit den nach 1960 in die Unabhängigkeit entlassenen Staaten Westafrikas verknotet worden, das von Verteidigungsabkommen und Stützpunktgarantien bis zur Militärkooperation mit dem einstigen Mutterland reichte. Französische Offiziere fanden sich in Schlüsselstellungen der Nationalarmeen platziert, französische Berater in westafrikanische Ministerien berufen, wo sie Ränke schmieden konnten, wann immer französische Interessen auf dem Spiel standen. Und all dies stets unilateral. Wer auf einen gaullistischen Generalpakt des Neokolonialismus tippte, mochte übertreiben, blieb aber der Wahrheit auf der Spur.
Über diesem Paternalismus schwebte wie ein Baldachin bis tief in die neunziger Jahre hinein der durch ein spezielles Währungssystem kultivierte ökonomische Protektionismus. Dessen Fundament war mit dem fixen Wechselkurs zwischen Franc und CFA-Franc gelegt und für mehr als eine kleine Ewigkeit gedacht. Den CFA-Franc gab es für Kamerun, Kongo (Brazzaville), die Elfenbeinküste, Gabun, Benin, Mali, Niger, die Zentralafrikanische Republik, Burkina Faso (früher Obervolta), Senegal, den Tschad, Togo und Äquatorialguinea.
Afrika-Zelle im Elysée
Frankreich betrachtete seine Ex-Kolonien als „Domaines réservés“, in denen es für französische Unternehmen ein Leichtes sein sollte, an öffentliche Aufträge zu kommen. Ein Supergendarm beaufsichtigte eine Handvoll souveräner Staaten, als wollte er treuherzig versichern: Unser Gott ist weiß! Unser Gott war, ist und bleibt Franzose, was die Schutzbefohlenen besser beherzigen als bestreiten sollten.
Den Beweis dafür, dass auch Mitterrand dem Willen zur Dominanz nicht kategorisch abschwören wollte, lieferte nach dem franko-afrikanischen Gipfel von La Boule Mitte 1990 der Einsatz von Fallschirmjägern zugunsten des ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana. Dessen Regime war durch diese Intervention unter einen Schutzschirm gestellt, um die zu Beginn der neunziger Jahre aus dem ugandischen Exil heranrückende Patriotische Front (FPR) abwehren zu können. Diese vorwiegend aus dem Volk der Tutsi rekrutierte Guerilla kämpfte gegen eine militant arrogante Hutu-Elite, die sich jeder multiethnisch grundierten Liberalisierung Ruandas verweigerte. Mitterrands Waffenhilfe für einen aus kolonialer Ära vererbten Rassismus konterkarierte seine Beteuerung, man wolle in Afrika die demokratische Vernunft walten und politischen Pluralismus gelten lassen, wo immer der auftauche. In Ruanda geschah das genaue Gegenteil. Einer autoritären Despotie wurde dabei assistiert, sich in einem Treibhaus der Gewalt auszutoben.
Als im Mai 1994 Hunderttausende Tutsi von den Interahamwe-Milizen der Hutu-Extremisten massakriert waren, griffen die Franzosen ein vorläufig letztes Mal ein. Den Vereinten Nationen fehlten die Interessenten, um intervenieren zu können, so startete Paris die Opération Turquoise, entsandte erneut Fallschirmjäger und ließ einen „humanitären Korridor“ errichten. Als „Sicherheitsschleuse“ oder „Rattenlinie“ treffender beschrieben, diente die Schneise durch das vom Genozid gezeichnete Land als Fluchtweg, um die technokratischen Planer des Völkermords wie ihre Vollstrecker aus der Kampfzone zu lotsen. Die Macheten-Milizionäre zogen, von französischen Soldaten eskortiert, ins Exil nach Zaire, ihre Führer später nach Frankreich, Belgien und Italien. In Ruanda konnte die neoimperiale Afrika-Politik des Elysée noch einmal zeigen, wie sie sein wollte: Anmaßend, resolut und schlagkräftig, um gegebenenfalls souveräne Nationen in Protektorate zu verwandeln.
Diese Kultur eines obsessiven Paternalismus ging besonders auf Jacques Foccart zurück, den Berater für Afrikafragen bei den ersten Präsidenten der V. Republik, Charles de Gaulle und Georges Pompidou. Foccarts Cellule africaine genanntes Departement hatte sich allein der präsidialen Exekutive zu fügen – es wurde von keinem Außenminister geführt, von keinem Entwicklungshilfeminister instruiert, geschweige denn von einer Nationalversammlung kontrolliert. Das von Foccart unterhaltene Beziehungsgefüge trug intern das Etikett Franceafrique und brachte zum Ausdruck, dass sich bei der Symbiose zwischen Paris und seinen tropischen Filialen unzertrennliche Partner gefunden hatten. Ob es sich dabei um Diktatoren wie Mobutu Sese Seko in Zaire, Gnassingbé Eyadema in Togo oder Félix Houphouët-Boigny in der Elfenbeinküste handelte, ob darunter Fälle von Kleptomanie wie bei Mobutu oder Größenwahn wie bei Jean-Bédel Bokassa waren, der sich zum Kaiser der Zentralafrikanischen Republik krönen ließ – solange sie funktionierten, gehörten alle zur Familie. Und diese Familie hieß: Franceafrique. Selbst Präsident Chirac schätzte es, während seiner Amtszeit (1995–2007) die Studien Jacques Foccarts konsultieren zu können.
Als Meineid erledigt
Mochte Ende der neunziger Jahre vielerorts in Westafrika die demokratische Reformation heraufdämmern – der Pariser Lust am Spiel im afrikanischen Sandkasten tat das keinen Abbruch. Es hatte sich bewährt, zwischen dem Part des ordnungsliebenden Mäzens und dem des humanitären Missionars zu wechseln – je nach Lage, Interessen und verfügbaren Militärkontingenten.
Nicolas Sarkozy schien anfangs nicht auf der Höhe dieser Kontinuität, weil er – als Präsident gerade vereidigt – das frankophone Afrika gehörig düpierte. Eine erste Begegnung mit dem Kontinent Ende Juli 2007 in der senegalesischen Kapitale Dakar verlief desaströs. In einer Rede an der dortigen Universität hatte Sarkozy seinen Zuhörern attestiert, „der Afrikaner sei noch nicht in die Geschichte eingetreten“. Dies sorgte für so viel Irritation, dass von Sarkozys beabsichtigter Botschaft – man sehe einen Kontinent im Aufbruch, den Frankreich mit Wohlwollen überhäufen werde – wenig übrig blieb.
Ein Jahr später erhielt der Präsident mit einem Auftritt in Kapstadt eine zweite Chance und ließ auch die verstreichen. Verkündete er doch, Verteidigungsabkommen mit den Ex-Kolonien neu aushandeln und auf Klauseln Wert legen zu wollen, nach denen Eingriffe in innere Angelegenheiten dieser Staaten erlaubt blieben. Aber wann sei das schon der Fall? Seit er Frankreich führe, sei französischen Truppen noch nie befohlen worden, auf afrikanischem Boden das Feuer zu eröffnen. Er könne schwören, es bleibe dabei! Nach dem 10. April von Abidjan hat sich dieser Schwur als Meineid erledigt. Auch wenn Sarkozy insistiert, er habe etwas tun müssen, da sich weder die Afrikanische Union noch die Westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS dazu durchgerungen hätte, den ivorischen Ex-Staatschef in die Schranken zu weisen – es bleibt dabei, der Patron hat als Vormund das letzte, das entscheidende Wort.
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