Worin bestand eigentlich der Auslöser dieses Bürgerkrieges?
Alles begann im März 2011. Inspiriert vom Aufruhr in Ägypten, Tunesien und Bahrain erhoben sich Tausende gegen die autoritäre Herrschaft des Assad-Clans. Polizei und Armee reagierten mit überzogener Härte – aus Demonstrationen wurden Zusammenstöße, daraus Gefechte, daraus ein Bürgerkrieg. Bewaffnete Zivilisten rekrutierten Milizen, teils vereint durch die im Juli 2011 gegründete Freie Syrische Armee. Seit Anfang 2012 dominieren Dschihadisten, die aus aller Welt nach Syrien ziehen, das Anti-Assad-Lager.
Ist die Brutalität, die diesen Konflikt prägt, seiner Dauer geschuldet?
Eher seiner Vorgeschichte. Syrien war spätestens seit den achtziger Jahren ein Pulverfass, das darauf wartete, jäh zu explodieren. Verhindert wurde das durch den Pan-Arabismus des Baath-Regimes, der Gräben zwischen Religionen und Volksgruppen einebnen konnte, und durch militärische Schläge bei Aufständen, vor allem gegen die Muslim-Brüder. In Hama und Homs wurden 1982 ganze Viertel geschleift und Tausende Zivilisten getötet. Diese Verbrechen blieben tief im kollektiven Gedächtnis vieler Sunniten verankert.
Warum misslingt eine politische Lösung, wenn ein Land förmlich ausblutet?
Weil die Konfliktparteien nicht nur für sich, sondern auch ihre äußeren Paten kämpfen. Das Regierungslager mit seiner alawitischen Prägung stützt sich auf die konfessionell verwandte Hisbollah im Libanon und den von Schiiten regierten Iran. Hinter einem Teil der Rebellen stehen Saudi-Arabien, das als regionale Macht die regionale Hegemonie der Sunniten durchsetzen will, aber auch Ägypten, Katar und andere Golfstaaten, die den Abzug der US-Truppen aus dem Irak (2011) als Chance zur territorialen Neuordnung deuten.
Wäre dies auch eine Erklärung für die bisher gescheiterte Konfliktdiplomatie?
Zum Teil, bisher war der Konflikt an sich Gegenstand der internationalen Konfliktdiplomatie, nicht der Einfluss externer Akteure auf die Kombattanten in Syrien. So ist eine im Mai zwischen Washington und Moskau vereinbarte Genfer Friedenskonferenz an der Weigerung der syrischen Opposition gescheitert, mit dem Assad-Regime zu verhandeln. Die USA haben sich damit abgefunden und zugleich darauf bestanden, den Iran wie die Hisbollah von Gesprächen auszuschließen, was auf die Dauer nicht haltbar sein wird.
Wie erklärt sich das Durchhaltevermögen des Assad-Regimes und seiner Armee?
Es gibt im Grunde genommen nur zwei Wahlmöglichkeiten: zu kämpfen oder zu sterben. Dies gilt nicht nur für Alawiten und Schiiten, auch für Christen, dem Regime loyal verbundene Sunniten sowie die Kurden im Norden. Sie verteidigen mit Syrien den letzten säkularen Staat im Nahen Osten, der allen Religionen gleiche Rechte zuerkennt. Mit einem islamischen Gottesstaat würde auf die weltliche Diktatur Assads eine religiöse Autokratie fundamentalistischer Kräfte folgen, die zu einem Exodus der Christen führen dürfte.
Ist es realistisch, vom Erhalt der territorialen Integrität Syriens auszugehen?
Die Interessen der Nachbarn Israel, Libanon, Jordanien und Irak mit ihren fragilen Grenzen schließen das nicht völlig aus. Wer Syrien aufteilt, schafft einen Präzedenzfall. Andererseits hat das Land künstliche Grenzen, die von der Kolonialmacht Frankreich gezogen wurden und religiöse wie ethnische Gruppen zwangsweise vereinten. Daher könnte es in Syrien eine Rebalancierung von Macht entlang ethnisch-religiöser Linien geben, aus denen Grenzen werden.
Russland hält an Assad fest. Kann man davon ausgehen, dass es so bleibt?
Moskau paktiert mit Damaskus hauptsächlich aus vier Gründen: Mit dem Marinestützpunkt Tartus (1) existiert die einzige russische Militärbasis im Nahen Osten. Syrien ist ein Joker (2), um den USA geostrategisch Paroli zu bieten. Nach der Libyen-Intervention von 2011 soll das Paradigma, durch Militärmacht von außen einen Regimewechsel (3) zu erzwingen, keine Bestätigung finden. Schließlich ist Syrien ein verlässlicher Käufer russischer Rüstungsgüter (4). Solange diese Interessen bestehen und gewahrt werden können, hält die Allianz.
Weshalb entscheiden die USA den Bürgerkrieg nicht zugunsten der Rebellen?
Weil sie das nicht können. Wie die jetzige Debatte über einen US-Angriff zeigt, gibt es keine realistische militärische Option. Es sei denn, man riskiert Bodenkrieg und Besatzung à la Irak – denn intervenieren heißt eskalieren. Stattdessen die Opposition massiv zu bewaffnen, würde derzeit die Dschihadisten stärken und interne Kämpfe zwischen den Rebellen anheizen. Das Resultat wäre ein zweiter Bürgerkrieg, bei dem sich das Assad-System als kleineres Übel erweist. Auf diese Erfahrung wollen es die USA besser nicht ankommen lassen.
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