Die Kriegsfurie graste auf der koreanischen Halbinsel bereits sechs Monate, da legte General Douglas MacArthur, US-Oberkommandierender in Fernost, dem Weißen Haus am 24. Dezember 1950 zum Fest des Friedens ein neues Kriegskonzept vor. Es enthielt das Versprechen: In kürzester Zeit würde die Armee Nordkoreas samt ihren chinesischen Alliierten geschlagen sein, wenn es jedem seiner Truppenführer, so MacArthur, fortan freigestellt sei, den Gegner notfalls mit Kernwaffen auszuschalten. Es gab einen Katalog der 26 Ziele, gegen die nuklear bestückte Raketen auf jeden Fall eingesetzt werden sollten, darunter Bereitstellungsräume der Nordkoreaner und „bedrohliche Konzentrationspunkte der feindlichen Luftwaffe“. Außerdem war am koreanisch-chinesischen Grenzfluss Yalu an den Einsatz Zehntausender Soldaten des gestürzten Diktators Chiang Kai-shek gedacht, die eine Region mit radioaktivem Kobalt verseuchen sollten.
Präsident Truman verweigerte sein Plazet, ein nuklearer Dolchstoß dieses Kalibers schien zu riskant, so dass MacArthur – zu allem entschlossen, doch in seinem Tatendrang gebremst – nur die Demission blieb. Das unheilige Dreigestirn aus Terror, Barbarei und Irrationalität beherrschte den Korea-Krieg auch ohne den General nach Kräften. Als es am 27. Juli 1953 zu einem – bis heute nicht durch einen Friedensvertrag ersetzten – Waffenstillstand kam, waren über zwei Millionen Zivilisten tot, eine Million Soldaten aus Nordkorea und China, 250.000 aus dem Süden und annähernd 37.000 Amerikaner gefallen.
Aura des Zeitgemäßen
Die Farbe der Erinnerung trügt nicht. Sie ist rot. Abwaschen lässt sich davon nichts, auch wenn uns der Regen von gestern heute nichts mehr anhaben mag. Wer im Blick auf Korea die Kriegstrommel rührt, sollte wissen, dass Kriege auf der koreanischen Halbinsel nicht mehr führbar sind. Wenn doch, dann furchtbarer als zwischen 1950 und 1953. Warum diese Gefahr besteht, ist schnell erklärt.
Als US-Präsident Clinton im November 1998 die Waffenstillstandszone von Panmunjon besuchte, nannte er den entmilitarisierten Streifen am 38. Breitengrad den „gefährlichsten Ort auf dem Planeten“. Eine Anspielung nicht nur auf die Geschichte. Auch auf den Umstand, dass Artillerie aus dem nordkoreanische Hinterland die südliche Kapitale mühelos erreichen und für gewaltige Verheerungen sorgen kann, bis hin zu Zehntausenden von zivilen Opfern. Dieses strategische Faustpfand Pjöngjangs bedeutet den Amerikanern, nur dann in den Norden vorstoßen, denselben bombardieren und in Teilen besetzen zu können, wenn dafür Seoul als Kriegsschauplatz geopfert wird. Mit anderen Worten, der Norden ist nicht zu erobern, ohne dass der Süden blutet. Umgekehrt kann Nordkorea nicht in Südkorea intervenieren, ohne in einen selbstmörderischen Konflikt mit dem US-Besatzungskorps (30.000 Mann) und der südkoreanischen Armee (685.000 Mann) zu geraten. Ein strategisches Patt, für das es keine treffendere topografische Metapher gibt als die Waffenstillstandszone mit ihrer martialischen Theatralik des „keinen Schritt weiter“. Sie hält dieses Patt in der Schwebe zwischen Überleben und Selbstzerstörung, kaltem Frieden und heißem Krieg – Zweistaatlichkeit und Wiedervereinigung.
Bis heute bleiben sich Sparta im Norden und Athen im Süden durch einen seit 57 Jahren eingefrorenen, aber nie eingeschlafenen Bürger- und Bruderkrieg mehr verwandt als durch jedes nationale Band, wie es Volkstum, Historie und Mythen verbürgen. Die geschlossene Grenze am 38. Breitengrad symbolisiert die offene koreanische Frage, sie bezeugt die Notwendigkeit, diese Frage offen zu halten, solange gegenteiliges Handeln kein Werk des Friedens wäre. Die koreanische Nation der Einheit auszuliefern, kann derzeit nur heißen, sie in Teilen oder völlig zu zerstören. Militärmanöver, Aufrüstung, Hasspredigten, die patriotischen Gesänge, die militaristischen Gebärden in Nord und Süd – dies alles erscheint nicht anachronistisch, sondern zeitgemäß. Weil die Zeit nicht reif ist, dass sich zwei Staaten einer Nation von ihrer Vergangenheit emanzipieren. Zu groß ist der Gegensatz zwischen Nord und Süd, zu eindeutig der ideologische Leumund hier wie dort, auch zu existenziell in seiner Bedeutung, um darauf verzichten zu wollen, Koreas kalten Frieden aufzuheizen, wann immer es geht.
Chinas Prestige
Es verwundert wenig, wenn sich die medialen Reflexe der aktuellen Krise einer rhetorische Allzweckwaffe bedienen: Der Phrase von der kommunistischen Bedrohung. Sie braucht Unterstellung und Suggestion. Erstere besteht in der Annahme, es handle sich bei der Kim-Dynastie in Pjöngjang um eine Ordnung von kommunistischer Art, was schon der theoretisch wenig Vorbelastete als Verleumdung des Kommunismus zurückweisen kann. Gleichzeitig wird suggeriert, der Byzantinismus der nordkoreanischen Führung laufe auf Aggression und Angriff hinaus. Im Klartext: Suizidales Verhalten (s. oben) bietet beste Überlebenschancen. In Wirklichkeit besteht die Bedrohung des Südens in einem von außen bewirkten Zusammenbruch des Nordens, den zu verhindern Regierungschef Kim Jong Il der Welt seit anderthalb Jahrzehnten mit Sinn für kreative Diplomatie und nukleare Ambitionen nahelegt. Er tut es mit einem Gefühl für Interessen, die nicht nur seine eigenen sind.
Was wollte die Republik Korea anfangen mit der Demokratischen Volksrepublik Korea, falls die ihr plötzlich als Trophäe in den Schoß fiele? Dann wird die teuerste Wiedervereinigung der Welt zu ihrem Recht kommen, den Süden Wohlstand kosten und zum Sozialfall der Weltökonomie herabsinken lassen. Südkorea Staatschef Lee Myung-bak kann dieses Risiko (noch) ausblenden, so häufig er es auch durch eine Politik der Provokationen heraufbeschwört. Denn Pjöngjang steht nicht mit dem Rücken zur Wand, es bewegt sich im Schatten seines chinesischen Schutzpatrons, der es mit einem letzten Verbündeten unter vielen Partnern zu tun hat und dabei auf den Nachweis geostrategischer Handlungsfreiheit achten muss. Nordkorea abzuschreiben, wäre für die Großmacht China heikel, für die Weltmacht desaströs, für das Reich der Mitte unvorstellbar. Bis auf weiteres jedenfalls. China müsste sich bei einer Preisgabe Nordkoreas vorgeführt und gedemütigt fühlen – eine Niederlage in Zeiten des Triumphs. Erteilt doch die chinesische Ökonomie der amerikanischen seit zwei Jahren eine Lektion nach der anderen, wie sich eine Weltwirtschaftskrise bewältigen lässt, wenn man sie dank eigenen Potenzials bewältigen kann.
Für Peking gilt daher, Nordkorea als Staat über die Zeit zu bringen, ist ein Frage von Macht und Ehre – oder einfach von Prestige. Sich gegen den Rivalen USA auf dem eigenen Kontinent – quasi vor der eigenen Haustür – zu behaupten, zwingt zum Erfolg, der darin bestehen wird, möglichst bald die Rückkehr zu den Sechser-Gesprächen (außer den koreanischen Staaten sind daran China, Japan, die USA und Russland beteiligt) über das nordkoreanische Atomprogramm anzubieten. Ein Ansinnen, dem sich die Regierung in Pjöngjang nach einer Schamfrist anschließen wird. Zum Verhandeln zwingen in der Regel Konflikte, bei denen eine Veränderung des Status quo auf eine Gleichheit damit verbundener Risiken Rücksicht nehmen muss.
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