Die Anzeichen verdichten sich, dass die französische Diplomatie einen Fast-Konsens bei den Atomgesprächen mit dem Iran torpediert hat. Laurent Fabius habe einen „schlechten Deal“ mit Teheran unterbunden, so blieb ein Durchbruch in Genf zunächst einmal aus, weiß das Wall Street Journal und titelt Vive la France! – Vive Fabius! wäre gleichsam angebracht.
Frankreichs Außenminister soll darauf bestanden haben, dass zwei Klauseln in den Entwurf eines Vertrages mit dem Iran geschrieben wurden: Teheran solle den im Bau befindlichen Schwerwasser-Reaktor in Arak aufgeben. Auch müsse es sich damit abfinden, dass seine Bestände an – auf 20 Prozent – angereichertem (aber nicht kernwaffentauglichem) Uran unter Aufsicht der Internatio
unter Aufsicht der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEO) im Ausland gelagert werden, oder darauf ganz verzichten. Erst dann ließen sich die westlichen Sanktionen abschwächen. Dass Außenminister Mohammed Sarif daraufhin Beratungsbedarf mit seiner Regierung signalisiert hat, ist ein behutsam formuliertes Veto gegen solcherart Auflagen. Sie verstoßen gegen Optionen, die dem Iran als Unterzeichne -Staat des Kernwaffensperrvertrages (NPT) zu Erforschung der Atomenergie offen stehen. Wer das in Frage stellt, will auf ein Sonderrecht hinaus, das ein souveränes Land zum notorischen Vertragsbrecher stempelt, also stigmatisiert. Damit werden Verständigung und Vertrauen der 5+1-Staaten zur Regierung des Präsidenten Rouhani gezielt unterminiert. Legt es Frankreich auf ein Scheitern der Genfer Verhandlungen an? Warum wird dem Räderwerk eines sensiblen diplomatischen Vorgangs in die Speichen gegriffen, auf den man angeblich so lange vergeblich gehofft hat?Schießscharten-PerspektiveKante zu zeigen, das ist so etwas wie der Markenkern französischer Außenpolitik, seit in Paris die Sozialisten regieren. Während er innenpolitisch laviert und ohne Fortune agiert, schätzt François Hollande offenkundig die resolute Geste und entschlossene Ansage, sobald er internationale Statur bedacht ist. So wurde Anfang des Jahres französisches Militär zur Flurbereinigung nach Mali beordert. Dort stand ein marodes Staatswesen vor dem Kollaps und der Norden vor einer Sezession unter islamistischen Vorzeichen. Da drängte es sich auf, als Ex-Kolonialmacht ein ordnungspolitisches Fanal in einer Region zu setzen, die schon wegen des Uran-Abbaus und Rohstoffhungers der französischen Atomindustrie als Interessensphäre ersten Ranges gilt. Die Intervention vom Januar ließ das von von einem Bürgerkrieg in den neunziger Jahren bis heute gezeichnete Algerien nicht ungeschoren. Ein Al-Qaida-Kommando überfiel offenbar als Reaktion auf die Ereignisse in Mali die Gasförderanlage In Amena, es gab Dutzende von Toten, doch nahm man das in Paris als lässlichen Kollateralschaden in Kauf. Mäßigung hielt Hollande auch Ende August für deplatziert. Als nach dem Giftgastod Hunderter Menschen in der Nähe von Damaskus ein US-Angriff auf Syrien in der Luft lag, gab es – außer Großbritannien – keinen Staat in Europa, der sich so inbrünstig für eine Strafexpedition gegen das Assad-Regimes ins Zeug legte wie Frankreich. Noch bevor erste UN-Inspektoren den Vorfall untersuchten, kannten Hollande und Fabius die Schuldigen. Ihre Schießscharten-Perspektive erinnerte an die Vehemenz, die Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy befiel, da zwei Jahre zuvor Muammar al-Gaddafis in Libyen zur Strecke gebracht werden sollte. NATO-Staaten griffen seinerzeit unter Missbrauch der UN-Resolution 1973 in den libyschen Bürgerkrieg ein. Woran auch französische Verbände beteiligt waren. Moralischer ImperativEs fällt schon auf, dass die derzeitige Regierung in Paris häufig die geballte Faust als Zeichen geballter Militärmacht zeigt und sich dazu aufschwingt, Regierungen die Leviten zu lesen, die als politisch deklassiert und zivilisatorisch fragwürdig gelten. Dabei wird auf die üblichen Beschwörungsformeln von der Verantwortung des Westens und dem sich aus seinen Werten ergebenden Handlungsdruck zurückgegriffen, sei es gegenüber Syrien oder dem Iran. Von den „Henkern in Damaskus“, „gezieltem Massenmord“, „Völkermord und Barbarei“ war die Rede, als man sich nach dem Giftgaseinsatz auf der Schwelle zur Intervention wähnte, bis Präsident Obama mehr oder weniger überraschend zurückzuckte. Sollte sich Staatschef Hollande auch als Erbe François Mitterrands empfinden, pflegt er damit durchaus eine Tradition. Auch der 1981 bis 1995 von regierende Sozialist aus der Charente fand Gefallen an einer Außenpolitik des moralischen Imperativ, die sich besonders gegenüber dem frankophonen Afrika bemerkbar machte, tatsächlich jedoch strategischen Interessen auf diesem Kontinent diente. Dabei geriet die Außenpolitik der V. Republik in ihren „sozialistischen Phasen“ stets pro-atlantischer, zuweilen auch amerikafreundlicher, als zu Zeiten konservativer bzw. gaullistischer Präsidenten. Um ein Beispiel anzuführen. Präsident Jacques Chirac teilte 2002/03 die Bedenken Russland und Deutschlands, als sich abzeichnete, dass US-Präsident George Bush in einen Krieg gegen den Irak ziehen wollte. Frankreich verweigerte sich einer von den Amerikanern geführten "Koalition des Willigen", gestattete aber amerikanischen B-52-Bombern, bei ihrem Flug in den Irak über der Bretagne französischen Luftraum zu passieren. Man wollte ihn nicht den maßlosen Bellizismus der Bush-Administration, aber dabei die atlantische Partnerschaft nicht vollends aufs Spiel setzen. Wie übrigens auch Charles de Gaulle, der von ihm 1966 betriebene Ausstieg aus den integrierten Kommandostrukturen der NATO, die dem Anspruch auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung folgte, sollte keine grundsätzliche Absage an die westliche Allianz sein. Dennoch haben sich die bürgerlich-konservativen Kabinette der V. Republik – sei es unter de Gaulle, Pompidou, Giscard d'Estaing oder Chirac – nie der interventionistischen Aufwallung hingegeben, sondern betrieben Realpolitik, wo immer sie konnten.