Es ist heute fast vergessen, dass Ende 1998 zwei nordirische Politiker den Friedensnobelpreis erhielten – David Trimble für die protestantischen, probritischen Unionisten und John Hume für die katholischen, proirischen Republikaner. Das Vergabekomitee in Oslo hielt sich an die Erfahrung, dass 1987 die gleiche Ehrung für den costa-ricanischen Präsidenten Óscar Arias einen Friedensprozess in Zentralamerika begünstigt und eine US-Intervention im sandinistischen Nicaragua verhindert hatte. Gut zehn Jahre später galten Trimble und Hume als Schlüsselfiguren für Ausgleich und Versöhnung in Nordirland. Man wusste, nur wenn beide vorbehaltlos dem am 10. April 1998 geschlossenen Karfreitagsabkommen dienten, ließe sich eine Region befrieden
den, die ein Bürgerkrieg quälte. Der Nobelpreis sollte ermutigen und ideelle Prävention gegen das Scheitern sein. Zwar bürgten für den Vertrag die Regierungen in London und Dublin, aber davon friedensstiftend Gebrauch machen, das konnten nur die Konfliktparteien in Belfast.Belastbares ModellUnionisten und Republikaner mussten sich mit der geteilten Macht in einem gemeinsamen Kabinett ebenso abfinden wie mit entwaffneten Milizen auf beiden Seiten des konfessionellen Grabens. Mitte 2000 waren sowohl die Irisch-Republikanischen Armee (IRA) wie die Ulster Defence Association (UDA), die Ulster Volunteer Force (UVF) und andere protestantische Gruppen demobilisiert. Der Friedensprozess gewann an Dynamik, je länger er dauerte. Im Gegenzug handelten britische Regierungen nur noch ausnahmsweise als Sachwalter unionistischer Belange in Nordirland und erkannten dessen Autonomierechte an. London wollte ein fairer Mediator sein, seine Neutralität war geeignet, sich häufende Regierungskrisen in Belfast so weit zu beherrschen, dass dem Karfreitagsabkommen kein Schaden entstand.So hatte der konservative Premier John Major (1990 – 1997) schon vor dem Vertrag der Versuchung widerstanden, Abgeordnete der nordirischen Unionisten zu verpflichten, als sein Rückhalt im Unterhaus zu schwinden drohte. Er musste befürchten, den Status als überparteilicher Vermittler zu verlieren, wollte er sich einer nordirischen Partei für britische Politik versichern. Aus solcher Besonnenheit resultieren inzwischen fast 20 Jahre eines belastbaren Friedens. Mehr als alles andere bewies das parteiübergreifende Regieren in Belfast die Funktionsfähigkeit des 1998 vereinbarten Konsensmodells.Es wird freilich belastet, wenn derzeit wegen des Skandals um ein Programm für erneuerbare Energien keine nordirische Allparteien-Exekutive existiert. Und es ist sogar gefährdet, wenn in dieser Lage die Democratic Unionist Party (DUP) zur Stütze einer gesamtbritischen Exekutive unter konservativer Führung wird. Schließlich bestand das Kernagreement des Karfreitagsabkommens darin, einen Verzicht Nordirlands auf eine Wiedervereinigung mit der Republik Irland durch weitgehende Autonomie für die Provinz zu vergelten. Was ist die noch wert, wenn die DUP als protestantische Klientelpartei in London mitregiert? Wird sie Theresa Mays Brexit-Plänen folgen und zugleich Nordirland dagegen schützen, dessen Grenze zur Republik Irland im Austrittsfall die neue EU-Außengrenze wäre?Die DUP beschwichtigt, es sei an keine formale Koalition gedacht. Wenn das zutrifft, weshalb kursieren dann Gerüchte, die Partei habe gegenüber Theresa May den Posten eines Vizepremiers reklamiert? Für politische Gegner der DUP wie den Sinn-Féin-Präsidenten Gerry Adams ist der nordirische Beitrag zu Theresa Mays Machterhalt ein Grund, eigene Interessen geltend zu machen. Wenn seine Partei bei der Unterhauswahl am 8. Juni sieben Mandate erringen konnte, so Adams, die man wie üblich nicht antreten werde, führe an einem Referendum über eine gesamtirische Perspektive kein Weg mehr vorbei – angesichts des EU-Exits allemal. „Ich kann nicht genau sagen, wann es ein solches Referendum über die Einheit gibt, aber es wird stattfinden.“Vorlage für Sinn FéinDas klingt kaum nach einem Bekenntnis zum Agreement von 1998, zumal sich das Kräfteverhältnis im Stormont, der nordirischen Legislative, nach der Wahl vom März nicht so verändert hat, dass ein solches Votum demnächst fällig wäre. Ohne die konfessionsübergreifende Alliance Party errangen die unionistischen Parteien 48 Prozent, während Sinn Féin und die sozialdemokratische SDLP bei 41 Prozent landeten. Und da die meisten Wähler der Alliance bei einer Volksabstimmung für den Verbleib im Vereinigten Königreich stimmen würden, käme das unionistische Lager wohl auf weit über 50 Prozent. Dass Sinn Féin trotzdem die Option Referendum zieht, wirkt so, als sollte eine Provokation mit einer Provokation vergolten werden.Winston Churchill meinte einst im Blick auf Nordirland, man könne sich da auf die „Integrität des Zanks“ verlassen. Auch darauf, wäre zu ergänzen, dass dieser „Zank“ jederzeit in Feindschaft münden kann.