Einem Kompromissfrieden zum Truppenabzug soll offenbar ein innerafghanischen Burgfrieden vorangehen. Wenn der scheidende US-Verteidigungsminister Gates einräumt, sein Land unterstütze Verhandlungen, die Präsident Hamid Karzai mit den Taliban führe, ist auch deren Rückkehr an die Macht nicht auszuschließen. Das muss nicht auf eine Wiederauferstehung des von den USA Ende 2001 abgeräumten Kalifats hinauslaufen. Auf eine Regierungsteilhabe in Kabul wohl schon. Inwieweit das einem neuen afghanischen Gottesstaat Leben einhaucht und die Verfassung aus dem Jahr 2004 zur Disposition stellt, dürfte über Jahre Verhandlungssache bleiben. Oder in Verhandlungen nie endgültig zu klären sein. Warum sollten die Afghanen nicht erst nach einem Abzug aller fremden Truppen darüber befinden, in welchem Staat sie leben wollen?
Mag sein, dass die US-Administration mit der Erklärung von Gates die Flucht nach vorn antritt, weil sie aus innenpolitischen Gründen dazu getrieben wird. Präsident Obama muss sich heftiger Angriffe der Republikaner erwehren, weil er den US-Kongress bei der Entscheidung über die Libyen-Intervention nicht beteiligt hat. Er muss in den nächsten Tagen die Abzugsquote für das US-Afghanistan-Korps für 2011 bekannt geben, der zu entnehmen sein wird, ob es beim großen Ausstieg 2014 bleibt und das irakische Muster noch einmal bemüht wird.
Von alldem abgesehen – wer mit den Taliban spricht, verschafft ihnen eine gewisse Legitimation. Das verdient, festgehalten zu werden. Seit 9/11 galten die Jünger Mullah Omars von ihrer zivilisatorischen Substanz her als Inkarnation des Verruchten, Satanischen und Bösen. Der Feldzug des Westens gegen ihr Regime in Afghanistan hatte in der Ära Bush Züge des Gottgewollten. Wer Zweifel anmeldete oder widersprach, hatte nicht verstanden, in welcher Zeit er lebte. Wer einen westlichen Truppenabzug befürwortete, verhöhnte die Frauen Afghanistans, wollte sie religiös motivierter Unterdrückung aussetzen und in die Selbstverleugnung treiben. Wer Widerstand gegen die Besatzung für nachvollziehbar hielt, nahm afghanischen Kindern das Recht auf Bildung, weil Schulen schließen würden, sollten die Taliban zurückkehren. Der wollte ein Land dumpfer Gottesfurcht überlassen.
An Glaubenskriegern fehlte es auf keiner Seite. Nun aber scheint ideologische Abrüstung das Gebot der Stunde, leerer amerikanischer Staatskassen und gegebener Abzugsversprechen. Es ist vorbei mit dem Kreuzzug im Namen des Guten gegen das Böse, im Namen der einzigen Wahrheit, die schon immer eine sichere Gewähr für Blindheit, Willkür und Staatsterrorismus war. Es wird verhandelt, ein Gegner entdämonisiert und ein Krieg entideologisiert, weil sonst kein Frieden zu machen ist.
Als die Taliban noch gegen die Sowjets in Afghanistan kämpften, wurden sie in den USA als Helden verehrt. Präsident Reagan ging 1986 soweit, in ihnen „das moralische Äquivalent der Gründerväter Amerikas“ zu sehen. In Hollywood war gerade der Film Rambo 3 abgedreht. Man verneigte sich von der Kampfkraft muslimischer Krieger. Man darf es vermutlich bald wieder tun.
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