Die Kraft des Kollektivs

Leidens-Euro Der gemeinsamen Währung hat Angela Merkel für 2011 große Bewährungsproben versprochen. Sie dämmern herauf wie der Zwang zur Schicksalsgemeinschaft der Euro-Länder

Die Bundeskanzlerin hat diesmal bei ihrer Ansage zum Jahresausklang auf den gewohnten Satz – "Überraschen wir einander, was möglich ist" – verzichtet. Dabei hätte der für 2011 noch einmal gepasst. Allein der Euro ist für Überraschungen gut. Die Währung stehe weiter „inmitten einer großen Bewährungsprobe“, deutete Angela Merkel immerhin an. Man darf sie getrost beim Wort nehmen. 2011 wird aller Voraussicht nach das Schicksalsjahr für den Euro, in dessen Verlauf EU und Währungsunion zu einer Schicksalsgemeinschaft verschmelzen werden oder voneinander lassen müssen.

Einer wird dabei ausgebootet sein, auch wenn er notgedrungen im Boot ausharrt: der so genannte EU-Bürger. Für ihn werden Rettungshektik und -rhetorik schwer durchschaubar bleiben. Sich um Verständnis bemühen, lohnt kaum. Der Gemeinschaftsbürger, zumal der deutsche, wird nicht gefragt – er kann sich zurücklehnen und seine Entbehrlichkeit betrauern oder genießen, je nach Gemüt und Temperament. Der auf dem EU-Gipfel Mitte Dezember im Lissabon-Vertrag – also nicht irgendwo, sondern im neuen EU-Grundgesetz – implementierte Zusatz über den dauerhaften Krisenmechanismus ist bewusst so gefasst, dass jedes plebiszitäre Votum jenseits der Gipfelhermetik entfällt. Für die EU-Akzeptanz in Deutschland erscheint das weniger verheerend als all die pastoralen Suggestionen aus anderthalb Jahrzehnten Euro-Geschichte, die sich inzwischen als Irrtum, Zweck- oder Lebenslüge zu erkennen gaben.

Zunächst hieß es, der Euro setze die DM-Karriere fort und zwar ungebrochen. Der Maastricht-Vertrag sei die beste Versicherungspolice, die man sich wünschen könne. Er zwinge zu Haushaltsdisziplin, indem er disziplinlosen Euro-Staaten in selbst verschuldeter Notlage keine Hilfe verspreche, sondern Strafe. Doch beeindruckten die Maastrichter Sanktionsverprechen auf Dauer nicht einmal das sanktionsfreudige Deutschland, das wie alle anderen Maastricht lieber unter die Schuhsohle als in seine Haushaltsbücher nahm.

Seit Frühjahr 2010 nun reimt sich Maastricht auf Makulatur. Es wurden Deliquenten-Länder aus der Eurozone nicht sich selbst und ihrer Bestrafung überlassen, sondern „gerettet“, weil es keine Alternative gab. Zu Maastricht gab es eine, als der Vertrag 1992 geschlossen wurde. Sie existierte als koordinierte Wirtschafts- und Sozialpolitik der Eurostaaten oder gar als Wirtschaftsregierung. Doch wurde den Deutschen lieber versprochen, dass sie niemals in einem europäischen Zentralstaat aufwachen würden. 2011 allerdings wird dieses Phänomen – Stichwort: "Überraschen wir einander, was möglich ist" – Einlass begehren. Und wohl kaum an irgendeiner Hintertür der EU anklopfen. Oder glauben Angela Merkel und ihr Finanzminister ernsthaft daran, dass die hoch verschuldeten Euro-Länder ihren Rückstand in der Wettbewerbsfähigkeit auf Dauer nur durch Sparen, Darben und Schrumpfen und nicht durch eine EU-interne Umverteilung aufholen werden? Und die wird darauf hinauslaufen, den Exportriesen Deutschland auszubremsen. Welches Maß an Umverteilung stattfindet, ist Verhandlungssache, aber der Rettungsschirm ist ein erster und der ab 2013 – siehe oben – geltende Krisenmechanismus der zweite Schritt vom Ich zum Wir. Wie man es auch drehen und wenden mag, die Kollektivierung der Währungsunion schreitet voran, auf dass alle mehr davon haben und mehr dafür tun. Im Sinne einer Bewährungsprobe, da hat Angela Merkel recht.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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