Die üblichen Verdächtigen

Tribunal Mit Jean-Pierre Bemba, dem früheren Vizepräsidenten des Kongo, steht erneut ein Afrikaner vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag

Der Volkswirt Jean-Pierre Bemba (47) war Berater von Präsident Mobutu. Nach dessen Sturz 1997 führte er eine Oppositionspartei und wurde 2003 Vizepräsident der Demokratischen Republik Kongo

Ein paar Fragen sollten dem argentinischen Chefankläger Luis Moreno-Ocampo vor dem Prozess gegen den ehemaligen kongolesischen Vizepräsidenten Jean-Pierre Bemba nicht erspart bleiben. Warum sitzt seit 14. Juli 2010 erneut ein afrikanischer Politiker auf der Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC)? Weshalb sind die afrikanischen Angeklagten des ICC bisher allein Kongolesen (laufende Verfahren richten sich gegen die Milizenführer Thomas Lubanga, German Katanga und Mathieu Ngudjolo)? Gehen Tätern im Herzen Afrikas Verbrechen gegen die Menschlichkeit leichter von der Hand als anderswo, so dass die Rechtspflege des ICC besonders gefordert ist? Werden dort sehr viel mehr als in anderen Weltgegenden zivilisatorische Werte barbarischem Wahn geopfert?

Klage gegen Omar al-Bashir

Um richtig verstanden zu werden, nicht die Anklage gegen Bemba erregt Unbehagen – die Botschaft dieses Prozesses sorgt für einen zwiespältigen Eindruck. Sie passt zur Anklage, wie sie Moreno-Ocampo seit 2008 gegen den sudanesischen Präsidenten al-Bashir erhebt. Der erste aktive Politiker, dem in Den Haag der Prozess gemacht werden soll, kommt ebenfalls aus Afrika. Ex-US-Präsident Bush oder Britanniens Ex-Premier Blair werden hingegen als Angriffskrieger nicht einmal mit symbolischen Anklagen bedacht? Oder der Frage: Wer trägt Verantwortung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie sie im Irak nicht nur im Gefängnis Abu Ghraib und in Afghanistan nicht nur im Lager Bagram verübt wurden? Die Genannten blieben unbehelligt, weil sie unerreichbar seien, heißt es. Die USA hätten das Römische Statut (den Rechtskodex des ICC von 1998) nicht ratifiziert und würden wie 75 andere UN-Staaten Rechtsprechung durch einen Weltgerichtshof ablehnen. Weshalb wird dann Omar al-Bashir belangt? Auch der Sudan verweigert dem ICC sein Plazet.

Gewiss kann dieses Tribunal nicht weltweit Täter jagen und Anklagen verschicken, aber es sollte als Weltgericht weltgerecht sein. Und das ist mehr, als einer Gerechtigkeit zu folgen, die sich an die üblichen Verdächtigen hält – die Schurken aus den gescheiterten oder fast gescheiterten Staaten. Es geht um den Anspruch auf ein „universales Weltrecht“, auch wenn zu dessen Vollzug Macht und Mittel fehlen.

Jean-Pierre Bemba wirkt in diesem Kosmos aus juristischem Gebot und ethischem Furor wie eine tragisch verirrte Figur. Er wird in Den Haag offiziell nicht als Vizepräsident, sondern Warlord und Milizenchef angeklagt. Es geht um die Jahre 2002 und 2003, als Bemba Freischärler seines Mouvement de Libération du Congo (MLC) in die Zentralafrikanische Republik schickte, um dem bedrängten Präsidenten Ange-Felix Patasse zu helfen. Die Bataillone des Beistand erwiesen sich bald als Schwadronen der Grausamkeit. Sie massakrierten Dorfgemeinschaften, vergewaltigten Frauen und Kinder, hinterließen zerstörte Menschen. Man gehe von mindestens 1.000 Vergewaltigungsopfern aus, erklärte die zentralafrikanische Regierung unter Staatschef Francois Bozizé, als sie nach dem Sturz Patasses 2004 mit einem Klagebegehren beim ICC vorstellig wurde – man werde im Bemba-Prozess Sexualdelikte verhandeln, die mindestens ebenso verabscheuenswürdig seien wie Angriffe mit Maschinengewehren und Macheten, meint Anklägerin Fatou Bensouda.

Der 47-jährige Bemba, während der Vorverhandlung stets auf den distinguierten Auftritt und ein um Fassung ringendes Gesicht bedacht, hat fünf Verteidiger engagiert, von denen keiner die Gräuel des zentralafrikanischen Bürgerkrieges leugnet. Wohl aber die Schuld des Angeklagten, der in Vorgänge verstrickt wurde, die ihm entglitten seien. Wie vieles andere früher schon? Hinter dieser verbirgt sich eine andere Frage: Was kann einer für sein Leben, wie strafwürdig ist eine Biografie, die begann, als der Kongo in den frühen sechziger Jahren in eine unvollendete, von Fremdbestimmung triefende Unabhängigkeit entlassen war?

Kein Blatt ohne Baum

Schwachstelle der Anklage ist der Aufstieg Bembas im Kongo der Gegenwart. Der war unaufhaltsam und nahm die letzte Höhe, als in der Zentralafrikanischen Republik bereits geschehen war, was ihm die Haager Ankläger zur Last legen. Im Juli 2003 wurde in Südafrika ein Friedensvertrag geschlossen, um innerkongolesische Konflikte einzudämmen – und Jean-Pierre Bemba als Vizepräsidenten auszurufen. Er blieb das bis zur verlorenen Wahl gegen Staatschef Kabila Ende 2006. Danach begannen Abstieg und Exil, Haft und Ächtung, wurde aus dem Senator auf Lebenszeit ein Untersuchungshäftling mit Aussicht auf lebenslänglich.

Doch wäre Jean-Pierre Bemba nie zum zweiten Mann im Staat avanciert ohne den elitären Status seiner Familie, vor allem seines Vaters, Jeannot Bemba Saolana, des Millionärs und Paladins aus den Zeiten des Ancien Regime unter Marschall Mobutu. Und Jeannot wiederum wäre nicht geworden, was er war, ohne diesen Autokraten im Präsidentenamt. Und dessen Tyrannis. Sie konnte zwischen 1965 und 1997 von unglaublicher Dauer sein, weil sich Minengesellschaften – belgische, französische, US-amerikanische – mit unglaublicher Inbrunst der Gold-, Cobalt-, Mangan- und Diamanten-Vorräte des Landes annahmen. Mobutu Sese Seko garantierte mit dem Ehrenwort des Diktator, daran werde sich nichts ändern. Die Verflechtung der Familien Bemba und Mobutu ging in dieser Zeit soweit, dass eine Schwester Jean-Pierres 1992 einen Sohn des Despoten heiratete. Wo also endet die Vorsehung, wo beginnt die Versuchung? Wann wird sie zum Verbrechen? Der Weltgerichtshof muss das nicht klären. Aber verstrickt im Geflecht von Politik und Recht sollte er nicht ausblenden: Für Jean-Pierre Bemba wie jeden Angeklagten gilt, kein Blatt ohne Baum, auch wenn den nie jemand sah.

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