Dieses Fass hat keinen Boden mehr

Im Gespräch Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel hält bei den ins Straucheln geratenen Banken eine Teil- und komplette Verstaatlichung für einen gangbaren Weg

Der Freitag: Die Angst vor Bankenpleiten geht um und scheint größer als im Herbst 2008 nach dem Crash von Lehman Brothers. Die französisch-belgische Dexia-Bank ging schon in die Knie – folgt eine Kettenreaktion?

Rudolf Hickel: Auf jeden Fall stehen wir erneut vor einer Bankenkrise, diesmal verursacht durch die Staatsanleihen von Eurokrisenländern in den Bilanzen vieler Finanzinstitute.

Ist die Krise nicht schon da, schließlich leihen die Banken untereinander kaum noch Geld aus?

Ja, weil sie sich wegen des vermuteten Abschreibungsbedarfs bei den Staatspapieren gegenseitig nicht mehr über den Weg trauen. Der Interbanken-Markt – sehr wichtig für die tägliche Geldversorgung – liegt brach. Banken deponieren ihre Liquidität gegen eine niedrigere Verzinsung lieber bei der Europäischen Zentralbank – und das in Milliardenhöhe. Ein weiteres Krisenzeichen sind die Prämien für Kreditausfallversicherungen, die massiv gestiegen sind.

Jetzt werden eine mögliche ­Umschuldung bei Griechenland und erneute Bankenrettungen in einem Atemzug genannt. Muss das eine aus dem anderen folgen?

Der Gläubigerschnitt für Griechenland ist unvermeidbar. Das ist der Kern von Plan B, nachdem Plan A im Aufstellen von Rettungsschirmen bestand. Doch mit dem Rettungsfonds EFSF erfolgte nun einmal kein Schulden-Abbau. Gibt es jetzt einen Schuldenschnitt, werden Banken und Versicherungen gezwungen, die Wertverluste abzuschreiben. Deshalb muss überprüft werden, welches Institut unter der Last zusammenbrechen könnte. Ist es systemrelevant, und würde der Crash einen Domino­effekt auslösen, wird geholfen. Voraussetzung sollte aber sein, dass die Anteilseigner einer solchen Bank mit in die Pflicht genommen werden. Außerdem muss später die Rückzahlung der Finanzhilfen samt Zinsen sichergestellt sein.

Wäre der deutsche Staat wieder in der Lage, wie im Herbst 2008 mit Garantiesummen zu bürgen, die seinerzeit bei fast 500 Milliarden Euro lagen?

Schätzungen zeigen, dass bei einem Schuldenschnitt für Griechenland in einer Größenordnung von 50 bis 60 Prozent und bei Italien, Spanien sowie Portugal in Höhe von je 25 Prozent Deutschland mit 30 Milliarden Euro Belastung zu rechnen hätte. Wenn bei uns eine Bank unter Druck gerät, steht aber zunächst die Haftung der Aktionäre vor dem Einsatz von Steuermitteln.

Wie bewerten Sie die Position der EU-Finanzminister, es müsse jetzt einen größeren Forderungsverzicht der Griechenland-Gläubiger geben als auf dem EU-Gipfel vom 21. Juli beschlossen?

Das ist reine Rosstäuscherei. Da hat sich die Bankenlobby unter Führung von Josef Ackermann durchgesetzt.

Inwiefern?

Er gibt ein Beteiligungsmodell, bei dem die Banken auf 20 Prozent ihrer Forderungen freiwillig verzichten. Für die verbleibenden 80 Prozent erhalten sie Anleihen vom Euro-Rettungsfonds mit bester Bonität – ein lohnendes Geschäft, denn der Marktwert für griechische Staatsanleihen liegt unter 50 Prozent. Da viele Banken dort Abschreibungen vorgenommen haben, kassieren sie durch die 20 Prozent Teilentschuldung noch einen Bilanzgewinn – deshalb muss eine zwangsweise Teilentschuldung durchgesetzt werden.

Warum gibt es keinen gemeinsamen Haftungsfonds der Banken, mit dem sich die Institute untereinander helfen?

Es gibt den Restrukturierungsfonds, der einmal zwölf Milliarden Euro umfassen soll. Dieser Fonds soll Not leidenden Banken zu­gutekommen – sicher ein richtiger Ansatz, nur ist die derzeitige Ausformung eines solchen Guthabens von der Bankenlobby nach dem Motto durchgesetzt worden: Wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht nass.

Welches Modell sollte es stattdessen geben?

Eines, bei dem sich der Staat an den finanziell zu unterstützenden Banken beteiligt und damit eine Teilverstaatlichung stattfindet. Auf diese Weise wird gesichert, dass – sobald eine Bank wieder Gewinne erzielt – die öffentlichen Haushalte profitieren. Wenn das nicht klappt, dann ist eine Vollverstaatlichung unvermeidbar.

Haben wir nach dem auf den 23. Oktober verschobenen EU-Gipfel einen zweiten Europäischen Rettungsfonds, nur diesmal nicht für verschuldete Staaten, sondern malade Banken?

Ich vermute: ja, da ein Schuldenschnitt bei Griechenland unvermeidbar wird.

Aber ist ein solcher Schuldenschnitt überhaupt die Ultima ­Ratio? Ökonomen wie Gustav Horn bezweifeln das.

Ein Schuldenschnitt ist immer noch besser als der Zusammenbruch der gesamten Eurozone. Die Banken müssen im Ausmaß der Finanzhilfen teilverstaatlicht werden. Vor allem sehe ich nicht, mit welchen anderen Instrumenten endlich der Schuldenberg in Griechenland reduziert werden kann als durch eine Umschuldung. Ein Umtausch in Eurobonds würde doch einen Super-Gau auslösen.

Inzwischen wird die Idee lanciert, eine sogenannte „Hebelwirkung“ des Rettungsfonds zu inszenieren, um mit dessen Garantiesummen mehr Kapital einzuwerben – wie beurteilen Sie das?

Mich überrascht das keineswegs, eine Hebelung der EFSF-Garantiesumme durch die Aufnahme von Fremdkapital oder eine Versicherungslösung erreichen zu wollen. Wir haben es hier mit dem Eingeständnis zu tun, dass die gerade im Bundestag beschlossene Maximalsumme für Garantien bei der Kreditvergabe an Krisenländer nicht reicht. Auf diesen unzureichend kalkulierten Garantierahmen habe ich in der Anhörung des Haushaltsausschusses im Bundestag hingewiesen und vorgeschlagen, auf einen Deckel zu verzichten. Dadurch sollten auch Spekulanten die Chance verlieren, auf die Deckelsprengung zu spekulieren. Der Protest – besonders durch den Bundes­bankpräsidenten – war groß.

Wenn es zu diesem Hebel- Ver­fahren kommt, tragen dann Euro­länder mit den höchsten Garantiesummen für den Rettungsfonds auch das höchste Risiko?

Das hängt entscheidend davon ab, wie diese Hebelung stattfindet. Ein Modell setzt darauf, die EFSF wie eine Bank zu behandeln. Sie könnte dann Liquidität bei der Europäischen Zentralbank gegen die zeitlich befristete Abgabe von Anleihen erhalten, die sie sich am Kapitalmarkt besorgt hat. Das Risiko wäre dann auf die EZB abgewälzt. Ein weiteres Muster setzt auf eine Zweckgesellschaft, die bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) angesiedelt wird. Sie vergibt Anleihen, die durch die EFSF verbürgt werden. Mit diesem Hebel der Fremdfinanzierung ließe sich die Garantiesumme verachtfachen. Das Risiko läge am Ende beim Euro-Rettungsfonds. Und wenn der pleitegeht, sind die deutschen Steuerzahler mit 20 Prozent der Gesamtsumme in der Pflicht. Dann wird noch eine Versicherungs­lösung diskutiert, bei der die Gesamtsumme der EFSF durch Investoren wie Banken, Versicherungen und Fonds genutzt wird. Das heißt, diese Akteure kaufen die Staatsschuldtitel und erhalten selbst im Fall der Pleite 20 Prozent erstattet. Mit 100 Milliarden Euro ließen sich so 500 Milliarden Euro hebeln.

Und wenn das misslingt?

Bezogen auf alle Varianten ist die Antwort klar: Es werden die von den Garantie-Staaten eingegangenen Risiken erheblich ausgeweitet.

Hat diese Debatte über die Effektivierung der EFSF nicht eine negative Signalwirkung?

Effektivierung ist der vornehme Begriff von Wolfgang Schäuble. Insgesamt wirkt diese Debatte in der Tat wenig vertrauensbildend. Sie offenbart eher die Fragilität der Rettungsschirme.

Rudolf Hickel ist Ökonom und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac. Er vertritt seit Jahren in zahlreichen Publikationen einen nachfrageorientierten Ansatz in der Wirtschaftspolitik. Von 2001 bis 2009 war er Direktor des Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen. Das Gespräch führte Lutz Herden

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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