Ende der Märchenstunde

Porträt Aung San Suu Kyi taugt wegen der Rohingya-Vertreibung in Myanmar nicht mehr zur Ikone des Westens
Ausgabe 39/2017
Dörfer brennen. Statt Gewalt zu verurteilen, übernahm sie die Lesart ihrer Generäle
Dörfer brennen. Statt Gewalt zu verurteilen, übernahm sie die Lesart ihrer Generäle

Foto: Alberto Pizzoli/AFP/Getty Images

Die Demontage hat es in sich. In der nach oben offenen Verklärungsskala des Westens rangierte Aung San Suu Kyi gleich hinter dem Dalai Lama und weit vor Julia Timoschenko. In ihre Person wurde projiziert, was Idealisierung vorantreibt – ziviler Ungehorsam, Gewaltlosigkeit, das Versprechen auf Demokratie. Der Lichtgestalt haftete etwas Märchenhaftes an, die Blume im Haar als Kontrast zu den Epauletten der Obristen, die Myanmar so lange in Schach hielten. Als Idol schien Suu Kyi makellos, als Buddhistin entrückt, als Politikerin – wenn überhaupt – dann auf Zehenspitzen unterwegs und darauf bedacht, diesen Eindruck immerfort zu erneuern. Wer es besonders verstiegen mochte, sah in ihr eine Reinkarnation von Mahatma Gandhi. Sie verkörperte die ideale Kreuzung von Demut und Macht, von der sie nie Gebrauch machen musste. Ihre öffentlichen Auftritte umgab eine Aura der Suggestion, der davon ausgehende Einfluss war mächtig genug.

Ab 2010 lagen ihr große Teile der Öffentlichkeit Myanmars wahrlich zu Füßen. Nach 15 Jahren Hausarrest hatten seinerzeit die Generäle begriffen: Sich mit der lange Abgeschirmten zu arrangieren, hieß im Regierungsgeschäft zu bleiben. Was als Kalkül durchaus zutraf. Nach der Wahl Ende 2015 verfügte Suu Kyis Nationale Liga für Demokratie (NLD) zusammen mit kleineren Parteien über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. So wurde die Friedensnobelpreisträgerin von 1991 offiziell zur „Staatsberaterin“ gewählt, faktisch war sie Regierungschefin und Außenministerin, doch gingen ihre Gegenspieler von einst keineswegs leer aus. Drei Generäle übernahmen die strategischen Ressorts Verteidigung, Inneres und Grenzkontrolle. Schlug der Burgfrieden dem inneren Frieden eine Bresche? Zweifel waren angebracht.

Es musste sich intellektuelle Gewalt antun, wer dem Glauben anhing, Suu Kyi werde mit ihren Staatsämtern die Wirklichkeit Myanmars entscheidend verändern. Verändert hat sich die Galionsfigur. Ein Eindruck, den der Auftritt der 72-Jährigen von 20. September nachdrücklich bestätigt. Nach Wochen des Schweigens hat sie sich an diesem Tag erstmals in einer Rede zum erzwungenen Exodus hunderttausender muslimischer Rohingya geäußert. Schließlich kann ihr als Regierungschefin eine gewisse Zuständigkeit für diesen Gewaltakt nicht abgesprochen werden. Liegt die Schuld daran vorrangig bei der Armee, wäre zu fragen: Warum dient Suu Kyi den Obristen dann weiter als ziviles Alibi? Ist sie deren Mündel oder muss sie auf taktische Toleranz achten, um die buddhistische Mehrheit zufriedenzustellen?

Was in Myanmar geschieht, erinnert immerhin an Exzesse in der sudanesischen Provinz Darfur, als dort vor zehn Jahren arabische Milizen die nicht-arabische Bevölkerung vertrieben. Der Vorwurf des Völkermords wurde laut, so dass der Internationale Strafgerichtshof gegen den dafür zuständigen Präsidenten Umar al-Baschir ermittelte und Anklage erhob. Der verlässt seither nur noch selten das Land, um einer Festnahme zu entgehen.

Melange aus Wahrheiten und Halbwahrheiten

Gewiss ist Suu Kyi nicht derart belastet. Nur lässt aufmerken, wie sie bei besagter Rede eine Melange aus Wahrheiten und Halbwahrheiten präsentierte Ihr schien die Aussage wichtig, die jetzige Regierung sei gerade einmal 18 Monate im Amt. Was so klang, als beginne man erst mit dem Regieren. Trifft das zu, dann nur für den zivilen Teil der Exekutive. Den genannten Schlüsselressorts gebricht es offenkundig nicht an Handlungsvermögen. Nach Erkenntnissen von Human Rights Watch sind es neben einem buddhistischen Mob vielfach Soldaten, die zur Fackel greifen, wenn sie Rohingya-Dörfer durchstreifen.

Statt dies zu geißeln, übernahm Suu Kyi die Lesart der Armee und erklärte: „Nach mehreren Monaten, in denen Ruhe und Frieden herrschten, wurden am 25. August 30 Außenposten der Polizei von bewaffneten Gruppen angegriffen.“ Bestenfalls ein Teil der Wahrheit. Während die Gewalt am 25. August in der Tat mit Angriffen militanter Rohingya-Gruppen begann, herrschten im Norden von Rakhaing-Staat, wo die verfolgte Minderheit lebt, lange schon weder Ruhe noch Frieden. Hunderte Rohingya sahen sich daran gehindert, ihrer Arbeit nachzugehen und die Familie zu versorgen. „Es ist nicht die Absicht der Regierung Myanmars, die eigene Verantwortung abzustreiten“, so Suu Kyi. „Wir verurteilen alle Menschenrechtsverletzungen und jegliche Form unrechtmäßiger Gewalt.“

Faktisch haben ihre Regierung und die staatsnahen Medien die Verantwortung für den konfessionellen Konflikt wiederholt „extremistischen Terroristen“ zugewiesen, ohne die Gewalt der Sicherheitskräfte auch nur zu erwähnen. Satellitenbilder belegen: Es wurden ganze Dörfer der Rohingya abgebrannt und gezielt Existenzen vernichtet. Für die Opfer dieser Bartholomäusnacht blieb nur die Flucht nach Bangladesch. Suu Kyis Büro hat noch am 5. September auf der eigenen Facebook-Seite gepostet: Sicherheitskräfte seien fortgesetzt zu „Säuberungsaktionen“ unterwegs, was durch die Äußerung der Regierungschefin vom 20. September – „Über 50 Prozent der muslimischen Dörfer sind intakt“ – indirekt bestätigt wurde. Hieß das doch im Umkehrschluss, die anderen 50 Prozent sind bestenfalls noch in Spuren vorhanden. Unter Verweis auf Satellitenmaterial geht Human Rights Watch davon aus, dass 214 Dörfer fast völlig zerstört sind. Mit anderen Worten, dorthin kann vorerst niemand zurückkehren. Soll wohl auch nicht. Für etwa 400.000 Menschen bleibt nur das Asyl in Bangladesch, dessen Regierung sich damit nicht abfinden will.

Aung San Suu Kyi, die einst so märchenhafte Gestalt, taucht nun in keinem Märchen mehr auf. Als Politikerin reichert sie das Heldengemälde mit ein paar Grautönen an.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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