Endspiel vor Gericht

Europa In Karlsruhe steht nicht nur die Zukunft des Euro auf dem Spiel. Die Richter sollten mit ihrer Entscheidung den Weg freimachen für ein Verfassungsreferendum
Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle will sich nicht unter Zeitdruck setzen lassen
Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle will sich nicht unter Zeitdruck setzen lassen

Foto: Uli Deck / AFP / Getty Images

Aus der Euro-Dämmerung ist unversehens ein Verdämmern Europas geworden. Plötzlich keimt das Bewusstsein, dass es mit der europäischen Integration vorbei sein könnte. Vielleicht schneller als gedacht. Statt der Tochter aus Elysium kann nun der Bankrott-Bruder aus Hellas besungen werden. Eine „Ode an die Freude“ wäre das freilich nicht. Es sei denn, alles wendet sich zum Guten, weil Opfer gebracht werden, um der Europäischen Gemeinschaft die Gemeinschaftswährung zu retten. Auch durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe?

Sind die Richter zu einem rechtskonformen oder pragmatischen Votum genötigt, wenn sie darüber befinden, ob Fiskalpakt und Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) das Grundgesetz achten oder brechen? Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass die Richter der politischen Dimension ihres Votums entkommen könnten. Schließlich herrscht allenthalben der Eindruck, das höchste deutsche Gericht wurde angerufen, um die rasant fortschreitende Europäisierung der deutschen Republik zu prüfen, deren Souveränität sklerotischer Auszehrung verfällt.

Nach dem Willen der Kläger muss damit Schluss sein, weil der Fiskalpakt Grenzen sprengt, die das Grundgesetz zieht. Man denke nur an das Demokratieprinzip. Was bleibt von diesem Grundrecht übrig, wenn eine europäische Schuldenbremse dem Bundestag das Haushaltsrecht kappt? Es liegt auf der Hand, dass solcherart Entmündigung nicht zur Republik Europa, sondern in eine nicht eben kommode Diktatur des Euro führt. Sie würde dem Sozialstaat das Rückgrat brechen, weil der fortan mehr denn je unter Finanzierungsvorbehalt stünde. Ganz anders übrigens als die Kreditschwemme der Europäischen Zentralbank (EZB), deren Fluten sieche Banken ans rettende Ufer spülen.

Weltfremder Appell

Die Vorboten dieser autoritären Ermächtigung innerhalb der EU sind unverkennbar. Ob sie nun Lissabon-Vertrag oder Fiskal-Pakt, EZB oder EU-Troika heißen. Es geht dabei auch um den Grad der Fusion Europas. Bleibt es bei einem europäischen Staatenbund? Oder braucht man einen europäischen Bundesstaat? Wird die Europäische Union den Vereinigten Staaten von Europa weichen? Gar weichen müssen? Im Moment wäre jedes Muster europäischer Staatlichkeit daran zu messen, ob es ein Ableben des Euro überlebt. Das erscheint höchst fraglich, denn Europa kann der Gemeinschaftswährung nicht entsagen, ohne sich selbst zu verlieren.

Diese Schicksalsfrage ist von derart existenzieller Qualität, dass sie auch Verfassungsrichter nicht unbeeindruckt lassen dürfte. Insofern wirkt es weltfremd, wenn sich Bundespräsident Joachim Gauck von Kanzlerin Angela Merkel wünscht, sie möge „sehr detailliert beschreiben“, welche Politk sie zur Rettung des Euro verfolgt. Was wird da von ihr verlangt? Soll Merkel eingestehen, wie wenig es von ihr abhängt, was geschieht? Wird Spanien unverzüglich mit Kapital aus dem Euro-Krisenfonds alimentiert, kann das die Gläubiger beruhigen. Es kann sie genauso in dem Glauben bestärken, die Lage sei zu prekär, als dass man die Zinsen für spanische Anleihen senken könne. Die EU-Retter mit ihrem jähen Aktionismus lieferten den Beweis. Oder wozu sollte es gut sein, als deutsche Regierungschefin über Konsequenzen eines griechischen Abschieds vom Euro zu reden? Die Folgen „detailliert zu beschreiben“, hieße, davor zu warnen, dass es Portugal ebenso ergeht, Spanien sich dem Abgrund nähert und auch Italien in denselben stürzen kann. Was Merkel auch „erklärt“, die Finanzmärkte werden heraushören, was ihnen nützt. Es ist ja gerade die Alternativlosigkeit der Alternativen, die der Politik die Stimme bändigt und in Karlsruhe die Verfassungshüter beschäftigt. Halten sie Fiskalpakt und ESM für nicht verfassungskonform, darf die Eurozone der Endlichkeit ihres Dasein entgegen sehen. Dann beschert ein solcher Rollback wieder eine Deutsche Mark, die so stark und aufgewertet daher käme, dass deutschen Wettbewerbern auf den Weltmärkten Hören und Sehen vergeht. Es käme zu sozialen Verwerfungen wie in der DDR nach dem Währungsschock vom 1. Juli 1990 – sie wären schmerzhaft und teuer.

Ereilt den ESM hingegen gnädiger Bescheid aus Karlsruhe, kommt Deutschland für 27 Prozent der darin verbürgten 700 Milliarden Euro auf, von denen man bereits ahnt, dass sie nicht reichen werden. Was bedeutet es, wenn diese Haftung steigt und abgerufen wird? Heute von Spanien, morgen durch Zypern, demnächst von Slowenien? Auch das wird schmerzhaft und teuer.

Wirkliche Stunde null

Der Euro sollte das Referenzprojekt eines zusammenrückenden Kontinents sein. Es hat ihn verstümmelt bis zur Kenntlichkeit, weil Integration als Liberalisierung der Märkte und Deregulierung der Politik betrieben wurde. Die Euro-Krise ist ein Spiegelbild der Euro-Genese.

Einen Neuanfang kann es nicht mehr geben. Es sei denn, ein Zusammenbruch der Währungsunion zwingt dazu, und die Stunde null wäre eine wirkliche Stunde null, nach der in Deutschland das Volk darüber abstimmt, wohin es will in Europa. Ist es zu verstiegen, vom Verfassungsgericht zu erwarten, dass es mit seiner Entscheidung die Weichen für ein Verfassungsreferendum stellt, das diesem Anspruch genügt? Dann würde wohl klarer, dass es Europa nicht verdient hat, am Euro zu scheitern.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden