Seit man theoretisch offiziell mit Edward Snowden reden kann, geht im regierungsoffiziellen Berlin die Angst um, es praktisch zu tun. Das deutsche-amerikanische Verhältnis könnte dadurch einem Crash-Test unterworfen sein.
Der Respekt vor dem großen Bruder hat bereits erkennbar gelitten. Einige Journalisten in Berlin entdecken eine neue Lieblingsbeschäftigung: Wir interviewen Amerikas Botschafter John B. Emerson und machen daraus ein Verhör. Wer sich sonst nicht übermäßig dafür interessiert, was US-Drohnen in pakistanischen Bergdörfern so alles anrichten, schäumt jetzt plötzlich, dass man die Sprechblasen knallen hört. Was befindet sich in den Betonquadern auf dem Dach Ihres Missionsgebäudes, wird Emerson zur Rede gestell
wird Emerson zur Rede gestellt. Wissen Sie eigentlich, was dort geschieht? Billigen Sie es? Sollten Freunde so miteinander umgehen? Führen Sie eine Botschaft oder ein Spionagezentrum? Was allein fehlt, ist die Frage: Schämen Sie sich nicht?Gerade hat der SPD-Innenpolitiker Thomas Oppermann davor gewarnt, dass wegen der Spionage-Affäre das Verhältnis zu den USA „komplett ruiniert“ werden könnte. Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier sieht die deutsch-amerikanischen Beziehungen in der größten Krise seit der Absage von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) an den von der Bush-Administration geführten Irak-Krieg 2003. Die alte Meta-ErzählungKein Zweifel, es geht etwas zu Bruch. Wenn man genau hinschaut, handelt es sich um nicht mehr und nicht weniger als die außen- und bündnispolitische Geschäftsgrundlage aus 64 Jahren Bundesrepublik Deutschland. Sie erodiert nicht wegen emanzipatorischer Metamorphosen im bilateralen Beziehungsgefüge, sondern dank globaler Konkurrenz, schwelender Interessengegensätze und einer nicht mehr zu überbrückenden Kluft zwischen der „strategischen Kultur“ der USA und Deutschlands. Die vor Tagen geäußerte Kritik im Report des US-Finanzministeriums für den Kongress an der deutschen Außenwirtschaftsexpansion, die der Eurozone wie den USA schadet, ist nur ein Indiz dafür: Es driftet auseinander, was offenbar nicht mehr zusammengehört. Die jahrzehntelang bemühte, auf Selbstvergewisserung bedachte Meta-Erzählung vom großen Gönner und Bruder – Luftbrücke und Marshall-Plan, die Freiheitsglocke am Schöneberger Rathaus, Checkpoint Charlie, John F. Kennedy als „Ich-bin-ein-Berliner“-Apostel, das ein Jahrzehnt nach Kriegsende fällige Entrée-Billett fürs westliche Bollwerk gegen östlichen Sozialismus und Systemwandel – das alles wirkt plötzlich museal. Oder sollte wenigstens ohne die üblichen Empathie-Schübe erinnert werden – und das genauer als bisher. Im Kalten Krieg um Westberlin haben die Amerikanern getan, was für sie von Nutzen war. Die Luftbrücke wurde 1948 geschlagen, um die Westsektoren Berlins als Pfahl im Fleisch der Sowjets zu halten und nicht um eine Bevölkerung mit Rosinen zu füttern, die drei Jahr zuvor noch ihrem Führer in eine Schicksalsschlacht um das deutsche Volkstum gefolgt war. Der Fetischismus der Symbole im deutsch-amerikanischen Verhältnis mag krisenresistent sein. Der Realitätsbezug ist es nicht. Von der Glaubwürdigkeit ganz zu schweigen. Pathos und Fähnchen Nur ein Beispiel: Die NSA-Affäre schwelte schon, als beim Berlin-Besuch Barack Obamas Mitte Juni am Brandenburger Tor eine Weihestunde deutsch-amerikanischer Freundschaft zelebriert wurde, als sei nichts passiert. Kooperation mit den USA galt als Karma westdeutscher Staatlichkeit nach 1949, als Gewähr für Ankunft und Aufstieg der alten Bundesrepublik im Westen. Aber das waren pragmatische Arrangements im Kalten Krieg. Und der ist Geschichte. So wirkte das Zeremoniell vom 19. Juni 2013 an der einstigen Demarkationslinie zwischen Ost und West mit seinem Pathos und seinen Papierfähnchen wie eine surreale Performance im Niemandsland. Wozu? Weshalb? Keine halbes Jahr später wird US-Botschafter John B. Emerson wie ein entlarvter Gauner befragt. Winkt statt Kooperation nun Konfrontation als untrügliches Schicksal? Noch dämmert kein Kalter Krieg zwischen Washington und Berlin herauf, aber auf kalte Entfremdung erkennen darf man schon. Nur ist der dafür bemühte Anlass – abgehörte Regierungstelefone – zu banal, um zu erklären, warum die USA und Deutschland am Rande eines Clashs of Political Cultures stehen. Spionage, Überwachung und politische Intrigen zählen seit jeher zu den Existenznachweisen aller Staaten, die dazu in der Lage sind. Für imperialistische Mächte gilt das allemal – das ist kein globaler Skandal, sondern globale Normalität. Die NSA-Affäre ist nicht die Ursache, sondern Ausdruck dessen, was die USA und Deutschland seit 1990 zusehends auseinander treibt.