Ein EU-Kommissionspräsident kann auf keine EU-Verfassung vereidigt werden. Der Vertrag dazu ist bekanntlich 2005 an den ablehnenden Referenden in Frankreich und in den Niederlanden gescheitert. Auch ohne derartige konstitutionelle Grundlage sollte für das Amtsverständnis eines führenden EU-Politikers das Gebot gelten: Wie ich handle, und was ich sage, das geschieht, um Schaden vom europäischen Staatenbund abzuwenden. Jean-Claude Juncker muss das entfallen oder als lästige Vorschrift erschienen sein, als er am 13. September vor dem EU-Parlament seine zur Lage-der-Union-Rede gehalten und den „Euro für alle“ verlangt hat. Das heißt, sämtliche EU-Staaten, ausgenommen das ausscheidende Großbritannien und das gegen den Euro vertraglic
ertragliche abgesicherte Dänemark, sind gefragt. Das ist in etwa so, als hätte man Schiffen nach dem Titanic-Crash im April 1912 empfohlen, nun erst recht mit hoher Geschwindigkeit durch die Packeisfelder von Neufundland zu jagen. Wer den flächendeckenden Euro verlangt, der nimmt die Eurokrise nicht ernst, die 2010 ausgebrochen ist und seit Jahren nur durch die Geldpumpe EZB eingedämmt, aber nicht gelöst wird. Es sei denn, Juncker steht mit seiner Forderung die Vision vor Augen: Die EU-Mitgliedsländer geben sich als Nationalstaaten auf und bilden statt des bisher existierenden europäischen Staatenbundes einen europäischen Bundesstaat mit einer einheitlichen Steuer-, Finanz- und Sozialpolitik, die es dann auch rechtfertigt, eine einheitliche Währung – "den Euro der 26" – zu haben. Alles sonst kann nur potenzieren, was die nicht oder nicht in erforderlichem Maße wettbewerbsfähigen Eurostaaten der ersten Generation wie Griechenland, Zypern, Irland Spanien und Portugal ereilt hat: eine eklatant defizitäre Haushaltslage, ein dadurch erhöhter Kredit- bzw. Refinanzierungsbedarf, verbunden mit einem herabgestuften Ranking auf den Finanzmärkten, die temporäre Fremdsteuerung von Haushaltspolitik sowie die Abhängigkeit von Überbrückungshilfen aus EU-Finanzfonds wie der einstigen Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und deren Nachfolger, dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Lang lebe der Zloty Ganze Volkswirtschaften sind durch die Euro-Rettung in einen Kreislauf aus Angst und Verzweiflung geraten, der viel menschliches Leid bewirkt hat. Die derzeitige Architektur der Eurozone ist weder krisenfest noch nachhaltig, was sie aber sein müsste, wenn man wie Jean-Claude Juncker mit der Autorität des EU-Kommissionschefs eine bis zum Anschlag erweiterte Währungsunion als Option der Zukunft offeriert. Am Fall Griechenland kann studiert werden, wozu das führt – einer verarmten Bevölkerung und dem Dauerverlust an Souveränität. EU-Staaten wie Polen, Tschechien, Kroatien, Rumänien oder Bulgarien wollten bisher unter anderem deshalb bei ihren nationalen Währungen bleiben, um genau das zu vermeiden. Sie mussten dafür sorgen, dass aus dem Produktivitätsgefälle ihrer Volkswirtschaften gegenüber anderen EU-Staaten keine gravierenden Wettbewerbsnachteile erwuchsen. Das dazu unverzichtbare Instrument war der Wechselkurs des Zloty, der Krone oder des Kuna zum Euro. Die Binnenkaufkraft dieser nationalen Währungen lag klar über ihrem internationalen Handelswert. Schon dieses Missverhältnis wies auf das Problem, aber es ließ eben auch erkennen, was EU-Staaten wie diese weshalb und wie unternommen haben, um sich auf dem EU-Markt einigermaßen behaupten zu können. Würde ihnen der Euro oktroyiert, hätte das einen Preisschub auf dem Inlandsmarkt zur Folge und einen Zwang zur Verbilligung von Ausfuhren, die prompt überbewertet wären. Die oft jetzt schon bedenklichen Handelsdefizite osteuropäischer Staaten dürften weiter steigen. Tendenz zur SelbstzerstörungWas Juncker betreibt, läuft auf eine Politisierung und Ideologisierung des Euro hinaus, der plötzlich zum Einheitsamalgam für einen mehr und mehr zerrissenen Staatenbund taugen soll: Der Retter, den bisher Rettungsfonds retten mussten. Den Euro EU-weit einführen zu wollen, heißt insofern, mit einem ökonomischem Diktat herumzufuchteln. Es ist absehbar, dass sich EU-Dissidenten wie Polen, Ungarn und Tschechien nicht darauf einlassen werden. Für sie läuft das Muster „Euro für alle“ auf Fremdbestimmung oder Vereinnahmung hinaus, die sich – falls es einen Beitritt zum einheitlichen Währungsraum gibt – kaum mehr umkehren lässt. Im Prinzip schürt Juncker den Nationalismus, der sich wieder als allein zuverlässiges Bollwerk empfehlen kann. Das ist beim jetzigen Zustand der Union deren Erhalt eher abträglich. Einmal mehr zeigt sich, dass die Einheitswährung letzten Endes nicht anderes ist als Ausweis der notorischen Tendenz des Kapitalismus zur Selbstzerstörung. Auch wenn man den Euro krampfhaft politisiert, bleibt es dabei.