G 8 minus 1

Krisendiplomatie Die G7-Außenminister mussten sich mit einer globalen Konfliktagenda befassen, gegen die sie wenig tun können. Ohne Russland noch weniger
Außenminister Steinmeier bei der Ergebnis-Nachlese des G 7-Treffens
Außenminister Steinmeier bei der Ergebnis-Nachlese des G 7-Treffens

Foto John Macdougall / AFP - Getty Images

Die G 7-Außenminister mussten sich einem erschöpfenden Themenkatalog unterwerfen. Doch was blieb ihnen anderes übrig? Wie sonst lassen sich ein solches Treffen und der dazu in Lübeck betriebene Sicherheitsaufwand rechtfertigen?

Allein in der arabischen Welt haben bewaffnete Konfrontationen eine Virulenz erreicht, dass kaum ein Land noch verschont bleibt. Von Syrien und dem Irak mit ihren Bürgerkriegen einmal abgesehen – ist der Jemen vom Kriegsvirus ebenso befallen wie Libyen, wo sich Stammes-Clans und islamistische Milizionäre gegenüber stehen und ein Staat zerfällt. Auf der Sinai-Halbinsel hält sich eine dschihadistische Guerilla dafür schadlos, dass die regierenden Obristen unter dem Generalpräsidenten Abd al-Fattah as-Sisi die 2012 legal gewählten Muslim-Brüder eiskalt abserviert haben.

Die inneren Unruhen im Norden Malis greifen immer wieder auf Algerien über. Der Libanon hält sich nur mit Mühe und taktischem Geschick aus dem syrischen Bürgerkrieg heraus. Für Jordanien gilt mit Abstrichen das Gleiche. Und ob es nicht irgendwann zu einem neuen Gaza-Krieg oder Unruhen in der Westbank kommt – wer wollte das mit absoluter Sicherheit verneinen? Die Politik der Regierung Netanjahu gibt keinen Anlass dazu.

Künftige Sanktionsfront

Allein der Iran lässt hoffen, auch wenn der Atom-Konsens vor einem endgültigen Vertrag Ende Juni in Teheran und Washington abweichende Interpretationen findet. Weder überrascht das noch werden dabei die Grenzen einer „konstruktiven Ambiguität“ überschritten. Es erscheint völlig legitim, dass sowohl Revolutionsführer Ali Chamenei als auch Präsident Hassan Rohani einen zumindest partiellen Verzicht auf die Sanktionen verlangen, bevor der letzte Inspekteur der Atomenergie-Agentur IAEA seine Expertise über stillgelegte Zentrifugen in Natrans abgibt.

Inoffiziell wird von einer bei den Verhandlungen in Lausanne getroffenen Verabredung gesprochen, wonach Amerikaner und Iraner für die Öffentlichkeit ihrer Länder die wesentlichen Elemente auf eigene Weise und mit eigenem Spin kommunizieren. Logischerweise setzt Teheran andere Akzente als die US-Regierung.

Da sich auch das Verhältnis zwischen Washington und Havanna entkrampft, konnte die US-Diplomatie beim Lübecker G 7-Treffen eine Bilanz vorweisen, wie es sie lange nicht gab. Diese ergab fast so etwas wie einen Kontrast zu der buchhalterisch nüchternen Konflikt-Diagnose des deutschen Außenministers. Steinmeier hielt das Eingeständnis parat, weder die Brandherde in Nordafrika, noch im Nahen und Mittleren Osten noch in der Ukraine ließen darauf hoffen, schnell eingedämmt zu werden. Man werde lange damit konfrontiert sein.

Ein solcher Befund wäre vermutlich ähnlich ausgefallen, hätte Russland in Lübeck dabei sein dürfen. Und dennoch erscheint es angesichts des ausufernden Konflikt-Tableaus geradezu paradox, beim Ausschluss Moskaus aus der G 8-Gruppe zu bleiben. Was nützt es, über die Ukraine-Krise zu verhandeln, wenn eine maßgebliche Krisenpartei verbannt bleibt. Und wie konsequent und logisch ist dieser Platzverweis für den Konferenzort Lübeck, wenn gerade die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, der Ukraine und Russlands in Berlin zusammen trafen, um über Minsk II zu reden?

Auch am Atom-Kompromiss mit dem Iran war die russische Diplomatie beteiligt, wird aber verbannt, wenn im Kreis der G 7 darüber beraten wird, wie mit dem gefundenen Agreement umzugehen ist. Und beispielsweise der Frage näherzutreten, wie schnell ein Abbau der Sanktionen vonstatten gehen soll. Moskau schert bereits aus der Sanktionsfront aus und hat die Liefersperre für das Raketenabwehrsystem S-300 per Präsidentendekret aufgehoben.

Schließlich: Sollte die Suche nach einer politischen Lösung für Syrien tatsächlich betrieben und nicht nur darüber geredet werden, könnte die Genfer Syrien-Konferenz als Verhandlungsformat bemüht werden. Und deren Schirmherren heißen nach wie vor: USA und Russland. Jedenfalls ist nichts darüber bekannt, dass der eine dem anderen dieses Mandat streitig macht.

So wenig Weitsicht

Erneut zeigt sich, wie folgenreich es für die USA und führende EU-Staaten wie Frankreich und Deutschland ist, sich in der Ukraine massiv eingemischt und dies mit vorauseilender Parteilichkeit getan zu haben. Dadurch wurden Meinungsverschiedenheiten zu Gegensätzen und Gegensätze zu Fronten.

Es mussten dadurch bei den Post-Janukowytsch-Autoritäten in Kiew die Erwartungen förmlich überkochen. Erfüllen konnte sie der Westen durch Überlebenskredite und Sanktionen. Militärisch exponieren wollte er sich bekanntlich nicht, sieht man von Waffenlieferungen und Ausbildungshilfen für die ukrainische Armee ab.

Dabei außer einen ökonomischen auch einen diplomatischen Boykott gegen Russland zu verhängen – das hat für Kollateralschäden gesorgt, die sich nur schwer beheben lassen. Der leere Stuhl – besser noch: der vor die Tür gestellte Stuhl – Russlands bei den G 7 gehört dazu. Wie diesen Zustand beenden ohne Gesichtsverlust für die Urheber dieses Boykotts? Schließlich hat man sich als Partei ziemlich festgelegt. Und das schon vor Ausbruch der akuten Phase des Ukraine-Konflikts?

„Ein Schwelgen in Feindbildern beweist so wenig Weitsicht, wie ein Auftrumpfen mit Kriegsspielzeug Stärke beweist“, schrieb einst der DDR-Schriftsteller Franz Fühmann, als sich Anfang der 80er Jahre der Ost-West-Konflikt durch eine Stationierung nuklearer Mittelstreckenraketen auf beiden Seiten gefährlich zuspitzte.

Fühmanns Erkenntnis bleibt auch für Genese und Verlauf des Ukraine-Schlamassels zutreffend. Wer ernsthaft glaubt, Russland werde durch einseitige Vorleistungen, ein G 7 plus 1 erbitten oder gar erbetteln, hat sich getäuscht. Wie andererseits zu erwarten ist, dass Kiew auf Vorleistungen besteht.

Es scheint eine Sackgasse zu sein, in die sich die G 7 ohne Not mit ihrem diplomatischen Boykott manöviert haben.

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