Geburtstagsgeschenk für die NATO

Schild und Schwert Die Regierung in Moskau will die Armee und das Atomarsenal modernisieren, weil die NATO den russischen Grenzen immer näher rücke, sagt Präsident Dmitri Medwedjew

Russlands stets verbindlicher Präsident setzt weder auf gelungene Überraschungen noch große Liebesbeweise, wenn er Geschenke macht. Sein Geburtstagsgruß an die demnächst 60-jährige NATO – die Modernisierung des eigenen strategischen Arsenals – stellt sich ganz in den Dienst der Beziehungspflege. Damit der andere auch künftig weiß, mit wem er es zu tun hat.

Schon in Medwedjews Rede zur Lage der Nation am 5. November 2008 war von einer „umfassenden Umrüstung des Heeres und der Flotte“ die Rede. Weil die Zukunft des START-Vertrages, der Ende 2009 auslaufe, unklar sei, müsse sich Russland darauf einstellen, eine neue Runde des atomaren Wettrüstens zu verkraften.

Doch den Schmierstoff für mehr Aufrüstung, die sich ungezügelt entfaltet, wollte Medwedjew weder damals noch heute liefern. Kann er auch nicht. Die noch immer stagnierende, frühestens 2011 abgeschlossene Armeereform verhindert große Sprünge ebenso wie das derzeit nicht sonderlich robuste ökonomische Hinterland. Dennoch gilt im Vorfeld des ersten Gipfels zwischen Obama und Medwedjew, was schon die innere Dialektik des amerikanisch-sowjetischen Verhältnisses belebte: Das Interesse des Weißen Hauses an realer Abrüstung hängt von der Stärke oder Schwäche der anderen Seite ab.

Erst als Gorbatschow nach der Pershing-II-Dislozierung in Westeuropa ab 1985 jeden Monat zehn bis fünfzehn Raketenschächte graben ließ, tat das dem Gesprächswillen in Washington gut. Plötzlich gaben am 8. Dezember 1987 Gorbatschow und Reagan ihre Unterschriften für den INF-Vertrag und die Mittelstrecken-Arsenale vollends auf.

Wer Medwedjew wegen seiner Rüstungspläne eine Flucht nach vorn oder zuviel Offensivgeist attestiert, sollte nicht übersehen: Er reflektiert mit seinen Akündigungen nicht zuletzt die unzulässige und verantwortungslose Blockade des Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE), von der die NATO seit Jahren nicht lassen kann. Dieses Abkommen wurde im November 1990 unterzeichnet, als sich in Europa noch zwei Militärblöcke gegenüberstanden.

Das Motiv für ein solches Agreement wurde durch ein Ziel geprägt, das es heute noch verdient, erinnert zu werden: Ost-West-Polarität war einst mit realer Kriegsgefahr verbunden. Sollte die eingedämmt werden, hatte das wegen des nuklearen Patts besonders bei den konventionellen Streitkräften und Rüstungen zu geschehen. Deren Offensivkraft oder – wie es Lebzeiten des Warschauer Paktes hieß – „Angriffsfähigkeit“ musste beschnitten werden. Darin bestand der tiefere Sinn der KSE-Vertrages, nicht in den Quoten für Panzerbataillone, so wichtig die auch blieben.

Als endlich ein allseits akzeptierter Vertrag für konventionelle Abrüstung in Europa vorlag, waren die sterblichen Überreste der östlichen Militärallianz längst beigesetzt und der Kalte Krieg Geschichte. Erst 1999 kam es auf dem Istanbuler OSZE-Gipfel zur Unterschrift unter ein angepasstes KSE-Abkommens, das ein Abrücken von der Block-Struktur hin zu nationalen und territorialen Rüstungsobergrenzen für jeden Staat in Europa vorsah.

Diesen Vertrag haben bis heute nur Russland, Weißrussland, Kasachstan und die Ukraine ratifiziert. Kein NATO-Staat und damit auch kein Land aus der osteuropäischen Nachbarschaft Russlands wollte sich dazu durchringen – obwohl letztere doch allen Grund hätten, im Einvernehmen mit Moskau zu leben.

Stattdessen wurde der KSE-Prozess zum Vehikel eines Junktims. Die westliche Allianz will den Vertrag nur dann ratifizieren, wenn Moskau zu Konzessionen bei „eingefrorenen Konflikten“ im postsowjetischen Raum bereit ist. Es geht dabei unter anderem um einen Abzug russischer Truppen aus Abchasien, Südossetien und Transnistrien, was genau genommen nichts mit dem Konsens von Istanbul, aber einiges mit Nötigung zu tun hat. Der Zweck heiligt bekanntlich manches Mittel.

Russland lässt seit Ende 2007 seine KSE-Mitgliedschaft ruhen und könnte den Vertrag sogar völlig ad acta legen, weil 1999 in Istanbul ausgeblendet wurde, wie sich die NATO an die Grenze der Russischen Föderation heran robbt, US-Basen in Bulgarien, Rumänien und im Kosovo errichtet, Georgien aufrüstet und die Ukraine atlantisch fiebern, aber kaum noch rational handeln lässt. Dies alles darf Medwedjew nicht entgehen, wenn er über seinen Verteidigungsetat und eine Nachrüstung entscheidet. Er ist als Präsident darauf vereidigt, Schaden vom russischen Volk abzuwenden.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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