Der Zypern-Rettung hat einen psychologischen Kollateralschaden produziert, dessen bahnbrechende Wirkung unbestreitbar ist. Er besteht in der Erfahrung, dass die willkürliche Enteignung des Normalbürgers ein legitimes Mittel des Euro-Krisenmanagements sein kann. Folglich muss die Definition von Systemrelevanz – eigentlich schon immer, aber nun erst recht – ergänzt werden: Systemrelevant für das Wirtschaftssystem der Eurozone sind nicht allein Banken und Staaten. Systemrelevant ist mindestens ebenso die Erkenntnis, dass alles andere als überdurchschnittlich hohe Sparguthaben und damit die monetären Bilanzen individueller Lebensleistungen nicht mehr sicher sind.
So alt wie das Geld
Zypern zeigt die Krise des Geldsystems, dem wir uns ausliefern. Wenn di
se des Geldsystems, dem wir uns ausliefern. Wenn die Zypern-Erfahrung Panik an den Bankschaltern der Euroraumes heckt, bricht dieses System zusammen. Will heißen, wenn morgen alle Sparer in Deutschland mit Einlagen um die 100.000 Euro diesen Betrag abheben wollen, ist die Einlagengarantie der Bundesregierung für eben diese 100.000 Euro nichts mehr wert. Es würde dann schnell klar, Sparguthaben sind nur virtuelle Buchgelder, die nicht ohne weiteres abrufbar – sprich: realisierbar – sind, weil Banken eben keine Geldbewahr-Anstalten, sondern Akteure eines Finanzmarktes sind und mit dem Geld ihrer Kunden ein mehr oder weniger gelungenes Geschäftsleben bestreiten. Wir haben es genau genommen mit einer Art Schneeballsystem zu tun, bei dem um Gotteswillen nie alle Anspruchsberechtigten ihre Ansprüche auf einmal geltend machen dürfen. Kein Staat der Welt kann garantieren oder im Zweifelsfall gar ersetzen, was sie dabei unter Umständen verloren geht oder verspielt wird. Diese Einsicht ist so alt wie das Geld. Nur hat eben die Zypern-Krise das Bewusstsein dafür geschärft, wie leicht dieses System erschüttert werden kann, dass sich der Vergleich mit einen Kartenhaus aufdrängt, wäre er nicht allzu abgegriffen.Man sollte Dijsselbloem glauben!Insofern fällt es schwer, den gebetsmühlenartig wiederholten Beteuerungen zu glauben, bei Zypern handle es sich um einen Einzelfall ohne grenzüberschreitende Folgen. Schon die Fakten widerlegen das. Solange wie auf der Mittelmeerinsel blieben in einem Euro-Staat die Banken noch nie geschlossen. So rigoros wurde noch nie seit Ausbruch der Eurokrise auf Guthaben von Bankenkunden zugriffen. Dabei geht es nicht allein um den 40-Prozent-Haircut bei Einlagen von mehr als 100.000 Euro, sondern die ganze Klaviatur der momentanen Reglementierung. Bis auf weiteres können auf Zypern nur 300 Euro täglich in bar abgehoben und keine Barschecks mehr eingelöst werden. Überweisungen oder Geldtransfers sind verboten, es sei denn, sie sind für Handelsgeschäfte unerlässlich. Zahlungen zwischen 5.001 und 200.000 Euro müssen von der Zentralbank in Nikosia genehmigt werden. Transfers zur Begleichung von Lebenshaltungskosten sind auf 5.000 Euro pro Quartal (!) limitiert und so weiter. Wie lange diese Maßnahmen auch immer gelten – sie widersprechen dem ansonsten im europäischen Kapitalismus als sakrosankt geltenden Grundsatz der Kapitalverkehrsfreiheit. Sie widerlegen das Gebot, dass jeder über sein Geld verfügen können muss. Zyprioten werden wie Kleinkriminelle behandelt, die im Geruch stehen, bei zwielichtigen Geschäften gut verdient zu haben und es daher hinnehmen müssen, diszipliniert zu werden. Was ist angesichts eines derart verriegelten Zugangs zu privaten Bankkonten die Einlagensicherungs-Garantie in der Eurozone noch wert? Über dieser schönen neuen Bankenwelt schwebt die Aussage von Jeroen Dijsselbloem, des niederländischen Chefs der Eurogruppe: Das Muster der Zypern-Rettung sei „eine Vorlage“, wie künftig in vergleichbaren Fällen verfahren werden könne. Auch wenn diese Aussage der unglaubliche taktische Schnitzer eines Politikers ist, der maßgeblich für das Euro-Krisenmanagement verantwortlich zeichnet – man sollte Dijsselbloem glauben! Es dürfte sich seit Ausbruch der Weltfinanzkrise im Herbst 2008 herumgesprochen haben, dass die Finanzgeschäfte aller Bankhäuser auf dem internationalen Kapitalmarkt vom finanziellen Volumen her bei weitem das übertreffen, was der Normalklient diesen Instituten als Einlage anvertraut. Und es ist ebenso bekannt, dass es bei Verlusten im Kapitalinvestment um die Solvenz manches Bankhauses schnell geschehen sein kann. Und Kleinsparer haben im Insolvenzfall als letzte Ansprüche anzumelden. Bankenrettung in DeutschlandVielleicht sollte man auch deshalb in Deutschland nicht allzu großspurig und selbstgefällig auf Zypern schauen. Im Herbst 2008 wurde jäh erkennbar, wie sehr sich gerade hiesige Geldhäuser verspekulieren können. Die Commerzbank zum Beispiel. Sie musste mit 8,2 Milliarden Euro aus dem Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) gestützt werden und wurde teilverstaatlicht, was ihr noch einmal 8,2 Milliarden an stillen Einlagen zu den gleichen Konditionen aus der gleichen Quelle brachte. Stammkapital aufpumpen und durchhalten, hieß die Devise. Die Münchner Investmentbank Hypo Real Estate Holding (HRE), die Ende 2008 vor der Pleite stand, brauchte 6,3 Milliarden Euro aus dem SoFFin – und bekam sie. Oder man denke an den bemitleidenswerten Zustand etlicher Landesbanken wie der BayernLB, der HSH Nordbank oder der WestLB, denen der SoFFin bis Anfang Mai 2009 mit Stabilisierungshilfen von 152 Milliarden Euro ein gefälliger Lebensspender war. Woraus speiste sich der SoFFin? Aus Sondervermögen des Bundes, hieß es offiziell. Aber die gab es nur, weil der Staat über öffentliches Eigentum und Rücklagen verfügte, in die Steuergelder geflossen waren. All den genannten Geldhäuser wurde wieder Leben eingehaucht, weil sie als „systemrelevant“ eingestuft waren, allerdings den Beweis, es tatsächlich zu sein, nie antreten mussten. Die normalen Bankkunden sind das auf jeden Fall. Sollten sie gezwungen sein, das zu beweisen, wird es zu spät und eine Rückkehr in das Jahr 1929 unausweichlich sein.