Hisbollah und Hariri verlieren sich aus den Augen

Libanon Mit dem Ausstieg der "Partei Gottes" aus der Allparteien-Regierung sind Koalitionen wieder durch Fronten ersetzt – aus einem Ausnahme- wird wieder der Normalzustand

Als natürlicher Aggregatzustand ist diesem Land der nationale Burgfrieden nicht in die Geburtsurkunde geschrieben. Als der libanesische Staat 1920 – von Frankreich unterstützt – als Zeugung maronitischer Christen ins Leben trat, war die muslimisch-sunnitische Bevölkerung nicht auf Loyalitätsadressen versessen. Als Stammhalter einer arabischen Identität hielt sie Syrien die Treue und ausgestreckte Hand entgegen. Inzwischen hat diese Spielart eines regionalen Panarabismus längst ausgedient. Im Jahr 2011 kann sich die Hisbollah als mächtigster innenpolitischer Akteur des Libanon höchstens für eine Zweckallianz mit Damaskus erwärmen, wenn es gegen Israel geht und die schiitische Revolution keinen Schaden nimmt. Letztere wird nun – mit dem Abzug der zehn Hisbollah-Minister aus dem Kabinett des Premiers Saad Hariri – zwar nicht über Nacht ausbrechen und die Zedern-Republik überschwemmen, aber auf die Tagesordnung gesetzt.

Es scheint wenig glaubhaft, dass die Ermittlungen des UN-Hariri-Tribunals der maßgebliche Grund für den Exodus der schiitischen Minister sind. Bestenfalls bieten mögliche Anklagen einen willkommenen Anlass. Die UN-Recherchen zum tödlichen Attentat auf den Ministerpräsidenten Rafik Hariri am 14. Februar 2005 waren immer schon hochgradig politisiert und um Vorurteile wie Vorverurteilungen nicht verlegen. Als Ende Oktober 2005 der deutsche Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis im Auftrag der UNO seinen ersten Report vorlegte, war Syrien zum Macher und Monster im Hintergrund erkoren, bis einer der Kronzeugen, der syrische Kurde Hussam Taher Hussam, widerrief und sich als gekaufter Zeuge zu erkennen gab.

Jahre später, im Sommer 2010, sickerte durch und wurde inoffiziell kolportiert: die UN-Ermittler wollten Hisbollah-Mitglieder der Mittäterschaft anklagen. Deren Oberhaupt Hassan Nasrallah hat daraufhin jeden Verdacht energisch und wütend zurückgewiesen. Das ganze (inzwischen in Den Haag ansässige) Tribunal sei ein Komplott Israels, so der Hisbollah-Chef. Koalitionspartner Saad Hariri – den angedrohten Koalitionsbruch vor Augen – will beschwichtigen und beeilt sich, „zwischen undisziplinierten Elementen und der Partei“ zu unterscheiden, um die Hisbollah aus der Schusslinie zu nehmen. Hariri bemüht den höchsten Grad an einlenkender politischer Indifferenz, die er sich als Sohn des Ermordeten und Galionsfigur der Rafiq-Hariri-Märtyrer-Liste, der er sein Amt verdankt, leisten kann. Das entlastete die "Partei Gottes". Ist aber keine Ehrenerklärung und schon gar kein Freispruch, so dass Hassan Nasrallah bereits vor einem halben Jahr zum allgemeinen Aufbruch heraus aus der Exekutive hätte blasen können.

Wenn er das jetzt nachholt, dürfte dies der Überzeugung geschuldet sein: Mit einem Verbleib in der Allparteien-Regierung lässt nichts mehr gewinnen, etwas verlieren sehr wohl. Wenn Saad Hariri bei den Amerikanern um Beistand bittet und eine mitregierende Hisbollah dies quasi toleriert oder sogar legitimiert, wie sehr wird sie dadurch domestiziert? Und zum Handlanger westlicher Schirmherren des Libanon? Unter diesen Umständen zu bleiben, um das politische Überleben eines schwachen Regierungschef aus gegnerischem Hause zu sichern, erschien unzumutbar. Ohnehin war die große Koalition der Konfessionen für Hisbollah immer Durchgangsstadium und Vehikel, sich als Anwalt, nicht Antagonist des libanesischen Staates zu empfehlen. Der Beweis für die Übernahme von Verantwortung ist erbracht. Jetzt kann und soll der Kampf um die Hegemonie in diesem Staat fortgesetzt werden. Die Hisbollah-Alliierten in Teheran kann das nicht stören – ein um seinen Burgfrieden gebrachter Libanon wird Israel beunruhigen.

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