Die Frage, wie es um die Selbstheilung oder Selbstreinigung der US-Dienste nach den öffentlich gemachten Folterexzessen steht, erscheint müßig. Auch wenn die US-Justiz einen Verfolgungsauftrag hat, da es sich bei vorsätzlicher schwerer Körperverletzung oder Körperverletzung mit Todesfolge um Kapitalverbrechen handelt, muss von den Tätern wie Auftraggebern niemand mit Schuldspruch und Sühne rechnen. Die jetzige Aufklärung steht unter vorheriger Amnestiezusage. Das macht solcherart Offenbarungen politisch fragwürdig, um nicht zu sagen wertlos.
Präsident Barack Obama hat bereits 2009 versprochen, man beabsichtige keine Bestrafung. Er wird das einhalten, weil er sein Versprechen gebrochen hat, das Lager Guantánamo zu schließen. Das Eine folgt aus dem Anderen, der politischen Logik gehorchend. Der jetzt vorliegende Report hat daher weder eine präventive noch abschreckende Wirkung, sondern lediglich eine erwartbare. Es wird ein paar Tage lang beklagt, was im Namen von Demokratie und Freiheit so alles passieren kann. Die USA werden trotzdem der enge Verbündete Deutschlands bleiben und Angela Merkel wird nicht der Idee verfallen, George W. Bush aus ihrer Wertgemeinschaft zu verstoßen wie etwa Wladimir Putin.
Nicht Schmerz oder Leid
Ohne rechtliche Sanktionen kann jeder Nachfolger Obamas 2017 das derzeit geltende Folterverbot wieder aufheben. Es ist möglich, jederzeit zu einem „Folterverständnis“ zurückzukehren, wie es die Bush-Regierung nach 9/11 bevorzugt hat.
In einem Gutachten des US-Justizministeriums vom August 2002 wurde attestiert, dass bei Verhören auftretende „einfache Schmerzen“ nicht als Folge von Folter zu bewerten seien. Wörtlich hieß es, viele der gerade üblichen Vernehmungsmethoden würden „nicht Schmerz oder Leid in der notwendigen Intensität produzieren, um als Folter bezeichnet werden zu können“.
Im „Krieg gegen den Terror“ war es verboten, sich von Grundnormen des Rechtsstaates stören, Humanität walten oder Menschenrechte gelten zu lassen. Die Legitimität der Misshandlung von Menschen, um Aussagen zu erhalten, zu demütigen und zu bestrafen, stand über der Legalität eines solchen Verhaltens. Dagegen regte sich in den USA wie bei ihrer globalen Gefolgschaft kaum Widerstand.
Auch mit Erinnerungen wollte man sich nicht belasten. Etwa an die Verhör-Methoden aus der Zeit den Vietnam-Krieges (1965 – 1975). Auch damals hatten sich nicht etwas sadistische Peiniger ausgetobt, die etwas aus dem Ruder gelaufen waren. Was in Südvietnam bei den Vernehmungen von Gefangenen geschah, folgte den Vorgaben des "Phoenix"-Programms der CIA, das nach seinem Start im August 1968 dazu führte, unter dem Schutz der US-Truppenpräsenz in Südvietnam Verhörzentren einzurichten, etwa in Da Nang, Saigon oder Con Son. Dorthin kamen nicht nur die bei Gefechten in Gefangenschaft geratene Viet Cong, wie die Guerilla-Kämpfer oder Soldaten aus Nordvietnam von den Amerikanern genannt wurden. Der Gros der Internierten bildeten "Verdächtige" oder Abtrünnige des südvietnamesischen Regimes, die als Nachrichtenquelle nützlich erschienen.
Eher verärgert
Es sollte jeder erfasst und „neutralisiert“ werden, wie es bei „Phoenix“ formuliert war, der „vietcong-verdächtig“ war. Das führte zu ausufernder Brutalität, teilweise zu gezieltem Mord. Der CIA-Agent Barton Osborn sagte 1979 in einem Filminterview: „Es gibt keinen Zweifel, dass – von einem gewissen Zeitpunkt des Krieges an – alle wie Tiere abgeschossen werden konnte.“
Entsprechend waren die Verhörmethoden. Osborn schilderte den Brauch der Vernehmer, Gefangenen während des Verhörs einen Holzpflock in den Gehörgang zu treiben. „Ich erinnere mich eines speziellen Falles, wo ich ein Individuum vorfand, das von mir als verdächtig gemeldet worden war, beim Vietcong Versorgungsoffizier zu sein … Ein Team der Abwehr hatte die Praxis, einen Holzpflock reinzustoßen oder irgendetwas anderes aus Holz in Form eines Bleistifts, direkt ins Ohr des Individuums. Ein etwas größeres Holzstück als ein Stift, das wurde ihm in den Gehörgang gesteckt, und dann – im Verlaufe der Befragung – schlugen sie es immer weiter und weiter in das Ohr. Und an einem Punkt wurde eben jemand leider dabei getötet, obwohl es gar nicht die Absicht gewesen sein mag, ihn umzubringen mit dieser Art Folter.“
Frage: „Waren nun die Männer erschrocken, die diese Vernehmung durchführten, als der Gefangene tot war?“ Antwort: „Ich denke verärgert, das trifft es besser.“
Berüchtigt waren auch die sogenannten Tigerkäfige, in denen Gefangene – mit Handschellen fixiert – oft tagelang hocken mussten, ohne sich groß rühren zu können, oder die „Vernehmung in der Luft“.
Noch mal Barton Osborn: Bei derartigen Verhören habe man einen Gefangenen, der bereits ausgesagt hatte und von dem man nichts mehr erwartete, zusammen mit einem zweiten Gefangenen, dessen Verhöre noch anstanden, in einen Hubschrauber gesetzt. Dann sei man mit den beiden aufgestiegen.
Nr. 1 wurde irgendwann von den Marines in die Nähe des Einstiegs gezerrt. „Und nach drei, vier Schubsereien auf die Tür zu unter Anbrüllen und Warnungen, sie würden ihn rausschmeißen, wenn er nicht rede, gaben sie ihm dann einen Stoß, und er fiel über Bord", so Barton. "Und das wirkte zu unmittelbar auf das zweite Individuum, dass es bereit zu allem war ...“
Allgemeiner Tabu-Bruch
"Phoenix" war nur ein recht eindrucksvoller Beleg dafür, dass Folter von US-Geheimdiensten wie der Army systematisch erforscht und betrieben wurde, lange vor George W. Bushs „Krieg gegen den Terror“ . Man kann von einer Art „Folterkultur“ sprechen, die auf viele Quellen und Anregungen zurückgreifen konnte, ob es sich um Verhörspezialisten des NS-Staates oder der französischen Kolonialmacht in Algerien handelte. Was Schlafentzug und Unterkühlung betraf, war die Behandlung prominenter Gefangener während der Schauprozesse in Moskau 1937/38 ein Vorbild.
Im Jahr 2004, als die Folterbilder aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib schockierten, sorgte das in den USA für eine leidenschaftliche öffentliche Debatte, ohne dass sich an der System-Immanenz der Misshandlung von Menschen etwas geändert hätte. Was gern übersehen wird, aber alles andere als irrelevant ist: Der eigene hat in der Regel den Tabu-Bruch auf der anderen Seite zur Folge. Bei der Barbarei des Islamischen Staates (IS) nimmt das seit einem Jahr im Irak und in Syrien besonders exzessive Formen an.
Und ist Obama wirklich so viel zivilisierter und unbefleckter als Bush? Die Order des jetzigen Präsidenten zum gezielten Töten von islamistischen Kommandeuren in Pakistan, Afghanistan und im Jemen oder auch nur von "Verdächtigen" in diesen und anderen Ländern bezeugen die gleiche messianische Verstiegenheit, wie sie in der Ära Bush zum Verlust von rationaler Selbstkontrolle führte.
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