Die Fernsehansprache von Präsident Islam Karimow durchströmt unverhohlene Genugtuung. Das gesamte usbekische Volk habe nach den Anschlägen von New York und Washington mit Befriedigung registriert, sagt er an diesem Abend, dass nun auch die Vereinigten Staaten "die Verworfenheit des terroristischen Regimes in Kabul" erkannt hätten. Es habe daher keiner Bedenkzeit bedurft, den Luftraum und einige Militärflughäfen des Landes für die US-Streitkräfte zu öffnen. Immerhin stehe Usbekistan seit seiner Unabhängigkeit von 1991 als islamischer Staat in einem opferreichen Kampf gegen die islamistische Gefahr.
Karimow muss nicht fürchten, eine unpopuläre Entscheidung getroffen zu haben. Die Mehrheit der Usbeken steht hinter ihm. Auch wenn der Schatten einer fremden Militärmacht auf die Souveränität des Landes fällt, entscheidend bleibt die Stoßrichtung gegen die Taleban, deren Kollaboration mit der fundamentalistischen Guerilla Usbekistans außer Frage steht. Noch frisch ist die Erinnerung an den 20. August 2000, als es Rebellen der Islamischen Bewegung Adolat (Gerechtigkeit) gelungen war, bis in die Banlieue der Hauptstadt Taschkent einzusickern und mit einer Sprengung der Staumauer des Wasserkraftwerkes von Tscharwak zu drohen. Eine Springflut hätte die Metropole des postsowjetischen Orient von der Landkarten gespült, heißt es seither immer wieder in der bonne société von Taschkent. Selbstredend eine Übertreibung wie so vieles im Reich des Islam Karimow, wenn es um die den Staat aufreibende Unterwanderung durch den Islamismus geht.
Aber Karimow muss keine apokalyptischen Untergangsszenarien bemühen, um die Unausweichlichkeit seines Schulterschlusses mit den Amerikaner nach dem 11. September zu begründen. Es reicht der Hinweis auf ein analoges Vorgehen Tadschikistans, Kirgistans, Turkmenistans und Kasachstans. Wirkliches Ungemach droht ihm erst, sollte es das Taleban-Regime eines nahen oder fernen Tages plötzlich nicht mehr geben. Ohne die islamistische Herausforderung könnte die bisher innenpolitisch in Schach gehaltene nicht-islamistische, aber sehr wohl islamische Opposition rebellisch werden, könnte vor allem die regionale Balance zwischen den zentralasiatischen GUS-Republiken ihr Gleichgewicht verlieren. Dabei müsste für den akuten Krisen- und Konfliktfall nicht erst nach der friedensstiftenden Ordnungsmacht gesucht werden - es gibt sie bereits. Russland unterhält ein 25.000 Mann starkes Militärkorps in Tadschikistan und reüssiert damit sowohl als innerstaatlicher Ordnungs- wie auch als regionaler Machtfaktor.
Postsowjetische Allianzen
GUS(Gemeinschaft Unabhängiger Staaten - Verteidigungskomitee) Diesem System der supranationalen militärischen Kooperation gehören heute noch Russland, Weißrussland, Kasachstan, Armenien, Tadschikistan, Usbekistan (wieder seit 2000), Kirgistan, Moldawien und Turkmenistan an. Innerhalb des GUS-Verteidigungskomitees finden gemeinsame Manöver statt und werden vorzugsweise die Anstrengungen zur Modernisierung von Streitkräften und Ausrüstungen koordiniert. Die Ukraine hat seit 1992 nur noch einen Beobachterstatus.
GUUAM(Georgia, Ukraine, Uzbekistan, Azerbaijan and Moldova) Fünf-Staaten-Verbund, der 1997 zunächst von den Präsidenten Georgiens, Aserbeidschans, der Ukraine und Moldawiens in Straßburg (erste Vereinbarung in Wien 1996) als "politische, ökonomische und strategische Allianz zur Verteidigung von Unabhängigkeit und Souveränität" formiert wurde. Im April 1999 kam am Rande des NATO-Jubiläums-Gipfels in Washington Usbekistan als fünftes Mitglied hinzu.
Slawischer Bund Er wird von den Mitglieder der ehemaligen Zollunion - also Russland, Belarus, Kasachstan und Tadschikistan - gebildet und schließt auch Formen der militärischen Kooperation ein. Der Bund entstand vor allem, um nach dem Ausscheren der Ukraine aus etlichen GUS-Strukturen Anfang der neunziger Jahre Kasachstan stärker an Russland zu binden.
Usbekistan hatte sich im Februar 1999 aus dem von Moskau dominierten Verteidigungsbündnis der GUS verabschiedet und dies mit dem heftigen Interesse an einem baldigen Beitritt zur NATO begründet, der sich das Land seit 1994 bereits durch die Partnerschaft für den Frieden (PfP) verbunden fühlt. Die ostentative Hinwendung zum Westen war insofern als Signal an Russland gedacht, dass es mit der Einflusssphäre Tadschikistan ausreichend bedient sei, während Usbekistan seinen eigenen Weg gehe und regionale Führungsansprüche nicht mehr ausschließe. Islam Karimow salbte sein autoritäres Präsidialregime gern mit der Firnis des Geschichtsmächtigen. Er bemühte den Welteroberer Tamerlan (*) als Nationalheroen und träumte laut vom "Gemeinsamen Haus aller Turkvölker", unter dessen Dach Kirgistan, Turkmenistan, Kasachstan und Usbekistan einen Staatenbund der Standhaften formieren - ein mächtiges Bollwerk gegen die islamisch-fundamentalistische Infiltration.
Der östliche Nachbar und Rivale Tadschikistan blieb von solch supranationalen Aufbrüchen nicht nur wegen seiner persischen Wurzeln ausgespart - Karimow störten die engen Bindungen an Russland, vor allem aber dessen Schirmherrschaft für das 1997 geschlossene Friedensabkommen zwischen der Regierung von Präsident Emomali Rachmonow und der Vereinigten Islamischen Oppositionsallianz Tadschikistans (OTO). Dieser Vertrag beendete damals einen fünfjährigen Bürgerkrieg, der über 100.000 Menschenleben gekostet und im südlichen Garm-Tal wie der Autonomen Provinz Gorno-Badachschan reihenweise eingeäscherte Dörfer hinterlassen hatte. Die usbekische Führung ließ nie einen Zweifel daran, dass sie von dem - auch dank der OSZE - vermittelten "tadschikischen Modell" wenig hielt, weil es für eine, in weiten Teilen islamistische Opposition die Teilhabe an der politischen Macht - sie erhielt 30 Prozent aller Ämter der Zentralregierung in Duschanbe - und für deren bewaffnete Formationen eine Integration in die nationalen Streitkräfte vorsah. Doch war Tadschikistan diesen Kompromiss nicht zuletzt auch deshalb eingegangen, um das moslemische Lager durch Einbindung gegen den Einfluss aus Afghanistan abzuschirmen. Dennoch, ein vergleichbares Arrangement in Usbekistan betrachtete Islam Karimow als unzumutbar, hätte es doch bedeutet, Frieden mit einem inneren Feind - der Islamischen Bewegung Usbekistans des Warlord Dschuma Namangani - zu schließen, der nie ein Hehl aus seinem Ziel, der Errichtung des Gerechten Gottesstaates Usbekistan gemacht hatte und auf eine fürsorgliche Allianz mit den Mullahs in Kabul zählen durfte. Schon mit Namangani zu verhandeln, wäre auf eine stillschweigende Anerkennung der Taleban als Schutzmacht des islamistischen Untergrunds in Usbekistan hinausgelaufen - für Karimow undenkbar.
Doch spätestens mit der Rebellenoffensive im Sommer 2000 und dem Ausbau einer grenzübergreifenden islamistisch-militärischen Infrastruktur im Fergana-Tal, das Tadschikistan, Usbekistan und Kirgistan durchzieht (s. Karte) war klar, dass Usbekistan aus eigener Kraft auf Dauer nicht fähig sein würde, einen Bürgerkrieg abzuwenden. Ohne "tadschikisches Modell" einer inneren Machtteilung drohte das "tadschikische Schicksal" der inneren Zerfleischung. Es sei denn, man konnte einen Partner finden, der zum militärischen Engagement bereit war. Tadschikistan kam nicht in Frage, Kirgistan und Turkmenistan winkten dankend ab. Es blieb nur Russland. Schon im Frühsommer 2000 war während des Taschkent-Besuchs von Präsident Putin russische Hilfe bei der Modernisierung der Luftwaffe wie der Verteidigung des Luftraumes vereinbart worden. Im Gegenzug hatte Islam Karimow artig "die Schlacht gegen den gemeinsamen Feind in Tschetschenien" hofiert. Putin revanchierte sich mit dem strategischen Wink: Er empfinde eine Bedrohung der nationalen Sicherheit Usbekistans als Bedrohung Russlands. Da schien nicht nur die GUS auferstanden, sondern offenkundig mehr, wenn von "gegenseitigem Beistand" die Rede war.
Was bleibt nun davon, wenn der alles zusammenschweißende Feind verschwindet? Was geschieht, wenn über die usbekische Minorität in Nordafghanistan die Idee eines usbekischen Pufferstaates unter dem von Taschkent alimentierten Warlord Rachid Dostom reaktiviert wird. Wie wird Tadschikistan eine solche Verschiebung des regionalen Kräfteparallelogramms aufnehmen? Wie Russland? Moskau kann Tadschikistan nicht einseitig unterstützen, ohne Usbekistan zu verlieren. Allen zentralasiatischen GUS-Staaten bleibt auf jeden Fall (auch ohne afghanisches Hinterland) der Fundamentalismus in den eigenen Grenzen. Der könnte seine militärische Spielart zugunsten des politischen Dialogs vernachlässigen, um eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich zu bringen. Fast 1.700 Moscheen gab es 1998 in Usbekistan, über 700 wurden nach der Neufassung des Religionsgesetzes im gleichen Jahr geschlossen, die meisten davon im Fergana-Tal. Muss Karimow sie wieder öffnen, kann das als Vorgriff auf einen "usbekischen Kompromiss" gedeutet werden - das hieße Machtverzicht, Abschied vom "Gemeinsamen Haus Turkestan", an dem dann vielleicht andere bauen.
(*) Mongolischer Feldherr, der im 14. Jahrhundert die Herrschaft über die Turkstämme Transoxaniens erkämpfte.
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