Kandidat der Nationalen Front

Steinmeier Dass die Wahl eines Bundespräsidenten bereits entschieden ist, bevor am 12. Februar 2017 gewählt wird, mutet wie ein Hilfs- oder Aufbauprogramm für die AfD an
Großkoalitionäre Einheitsfront
Großkoalitionäre Einheitsfront

Foto Sean Gallup, Getty Images

Leute, die es der DDR ansonsten bestreiten, je ein Existenzrecht – geschweige denn ein historisch gerechtfertigtes – besessen zu haben, finden plötzlich Gefallen an einem ihrer politischen Eigengewächse: der Nationalen Front! Einst die unverbrüchliche Einheit der um eine führende Partei gescharten Blockparteien, auch Blockflöten genannt. Das Muster hat nicht nur Erinnerungswert, es beweist Lebenskraft. Eine Nationale Front aus CDU, CSU, SPD und vermutlich auch der Bündnisgrünen hat den derzeitigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu ihrem Einheitskandidaten für das Bundespräsidentenamt erklärt. Da stehlen sich Tränen der Rührung ins Auge, und das alte Arbeiterlied „Brüder, in eins nun die Hände“ geistert durchs Gemüt.

Vorfristig gesiegt

Das Amt des Bundespräsidenten ist offenkundig derart sakrosankt, dass es nicht durch eine Wahl, die zur Kampfabstimmung zwischen mehreren Kandidaten werden kann, befleckt werden darf. Was zu der Frage führt: Ist das Amt zu schade für die Demokratie oder dieselbe ungeeignet, jenes zu besetzen? Soll nicht unter die Räder eines unwägbaren Votums geraten, was im eingespielten Räderwerk des Berliner Politikbetriebs vorsorglich geregelt wurde?

Wer den Steinmeier-Auftritt und den seiner politischen Paten Merkel, Seehofer und Gabriel gerade eben verfolgt hat – es handelte sich um eine Melange aus Bekanntmachung und öffentlicher Vorstellung – , konnte den Eindruck gewinnen, der Kandidat hat vorfristig gesiegt. Er redete im präsidialen Indikativ über Amtsverständnis und -führung, als sei die Wahlgremium Bundesversammlung am 12. Februar 2017 total überflüssig. Könnte man auch absagen, da es die reine Akklamation zu werden verspricht. Wieder ein Punkt für die vom Politikestablishment Angewiderten und Abgestoßenen.

Mancher Zeitgenosse hält nun die Linke an, den Burgfrieden nicht zu stören, indem sie der Nationalen Front gleichfalls beitritt. Die Partei wird ermahnt, bloß nicht der abwegigen Idee zu verfallen, so viel Vernunft und demokratischen Anstand zu besitzen, eine eigene Anwärterin oder einen eigenen Bewerber zu nominieren. Warum tun Kipping und Riexinger nicht, wie ihnen geheißen?

Grandioser Effekt

Ihr Einschwenken hätte den wahrlich grandiosen Effekt, dass die AfD in der Bundesversammlung quasi als einzige Partei mit eigenem Kandidaten (Ex-CDU-Mann Albrecht Glaser) übrig bliebe, bislang nur noch flankiert von den Freien Wählern (zehn Stimmen) mit ihrem voraussichtlichen Bewerber Alexander Hold.

Besser kann man der Demokratie nicht das Wasser abgraben und das Klischee bedienen, allein die AfD stemme sich unverdrossen gegen ein Machtkartell, das entscheidet, wie ihm beliebt, ohne die dafür zuständigen demokratischen Gremien zu bemühen. Die Bundespräsidentenwahl als Aufbauprogramm für Rechtspopulisten, wirkungsvoller lässt sich schwerlich dafür sorgen, dass die AfD bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 über die Zehn- , womöglich gar Fünfzehn-Prozent-Marke kommt. Danach aber bitte wie üblich das Lamentieren und Moralisieren nicht vergessen.

Insofern würde sich die Linke an der demokratischen Kultur versündigen, wollte sie am 12. Februar mit keiner eigenen Kandidatin oder keinem Kandidaten antreten. Sie sollte es nicht nur gegen den Einheitskandidaten, sondern auch um ihrer selbst willen tun.

Steinmeier zu wählen, hieße Glaubwürdigkeit einbüßen. Auch wenn der Minister zuletzt vor zu viel „Säbelrasseln“ der NATO gegenüber Russland gewarnt hat, zählt er doch zu denen, die Deutschland jene globale Zuständigkeit bescheinigten, deren militärischer Charakter offenkundig ist – bei inzwischen fast 20 Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Gerade erst wurde im Kabinett die Afghanistan-Präsenz mit gut 1.000 Soldaten für die Mission „Resolute Support“ verlängert, ohne dass es eine erkennbare Perspektive gäbe, wie sich dieses Land zumindest mittelfristig befrieden ließe.

Deutschland zu groß

Auf der 50. Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar 2014 bediente Steinmeier mit seinem Aufritt neben den ähnlich gelagerten Reden von Bundespräsident Gauck und Verteidigungsministerin von der Leyen den Kanon, Deutschlands Auftrag sei die gesamte Welt und Deutschland „eigentlich zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“. Womit Steinmeier die noch unter einem seiner Vorgänger – es war Willy Brand (im Amt 1966 – 1969) – geltende Kultur der Zurückhaltung und des Augenmaßes verabschiedete. Nichts kann für die Linke gebotener sein, als sich davon zu distanzieren, politisch und personell.

Es reicht, dass schon bei der Gauck-Wahl vor gut fünf Jahren die Nati0nale Front aus CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP um fatale Einmütigkeiten nicht verlegen war.

Die besten Blätter für den Herbst

Lesen Sie den Freitag und den neuen Roman "Eigentum" von Wolf Haas

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

Wissen, wie sich die Welt verändert. Abonnieren Sie den Freitag jetzt zum Probepreis und erhalten Sie den Roman “Eigentum” von Bestseller-Autor Wolf Haas als Geschenk dazu.

Gedruckt

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt sichern

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden