Vor 30 Jahren hauchte der Staat DDR sein Leben aus. Alles scheint unausweichlich und folgerichtig. Doch sind die letzten Tage vor dem 3. Oktober 1990 kein stilles Innehalten, sondern bewegt, unberechenbar, teilweise dramatisch. Sie haben es verdient, erinnert zu werden. Mit einer kleinen Serie auf freitag.de wollen wir das versuchen.
Es werden Kaviar, Krabbensalat und eine Fischauswahl, dann eine Rebhuhn-Püréesuppe, Zander überbacken und Kotelett Kiewer Art gereicht. Birne in Wein oder Eis mit Preiselbeeren runden das Dessert. Die Menükarte dieses Frühstücks in Moskau klingt vielversprechend.
Der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière hat sie aufbewahrt und jüngst bei einem Interview aus der Asservatenkammer der deutschen Einheit geholt, um auf diese Weise an den Vertrag zu erinnern, der am Tag jenes Diplomatenessen in Moskau unterzeichnet wird.
Man schreibt den 12. September 1990. Das – wenn man so will – völkerrechtliche Framing der anstehenden deutschen Einheit wird besiegelt: der 2+4-Vertrag, ausgehandelt zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier ehemaligen Alliierten des Zweiten Weltkrieges. Während für alle anderen Vertragsparteien – die Sowjetunion, die USA, Frankreich, Großbritannien und die BRD – die Außenminister signieren, ist die DDR des Ausverkaufs durch ihren Regierungschef vertreten.
Was mit den politischen Verhältnissen in Ostberlin kurz vor Toresschluss zu tun hat. Die dortige Koalitionsregierung ist am 20. August auseinandergebrochen, als sich die SPD-Ost aus dem Kabinett verabschiedet und demzufolge auch ihr blasser Außenminister Markus Meckel das Feld räumen muss. Umstandslos übernimmt Ministerpräsident de Maizière das Ressort. Wozu anderthalb Monate vor dem Abgang der DDR und ihrer letzten Regierung noch eine Neubesetzung vornehmen?
Abschied und Abzug
Wie alle „Einheitsverträge“ aus jener Zeit entsteht selbst dieses Abkommen unter großem Zeitdruck. So kommt es, dass die Siegermächte von 1945 in sechs Monaten Verhandlungen 50 Jahre europäischer Nachkriegsgeschichte bewältigen, indem vor allem über Konditionen entschieden wird, die ihre Besatzungszeit beenden. Mit dem 3. Oktober 1990 soll die übrigbleibende Bundesrepublik Deutschland über eine Souveränität in der Außen- und Sicherheitspolitik verfügen wie noch nie seit ihrer Gründung 1949.
Die Alliierten betrachten ihre Rechte als suspendiert und ziehen sich aus der selbst auferlegten Verantwortung zurück. Erledigt haben sich damit die von der Regierung Adenauer 1955 mit den Besatzungsmächten USA, Großbritannien und Frankreich geschlossenen Stationierungsverträge genauso wie das Vier-Mächte-Abkommen über den Status von Westberlin aus dem Jahr 1971. Gleiches gilt für das im März 1957 zwischen den Regierungen der Sowjetunion und der DDR besiegelte Übereinkommen, das die zeitweilige Präsenz sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der DDR, die Standorte und zahlenmäßige Stärke ihrer Verbände geregelt hat.
Während mit dem 2+4-Vertrag als grundsätzlich vereinbart anzusehen ist, dass die Alliierten gehen und ihre Einrichtungen auslösen, gibt es dazu nur für die sowjetischen Verbände in der DDR – etwa 380.000 Mann, dazu 210.000 Zivilangestellte und Familienangehörige – eine konkreten Abzugstermin: bis Ende 1994 sollen sie in Richtung Osten verschwunden sein.
Was hingegen mit den 400.000 britischen, amerikanischen und französischen Soldaten und Offizieren auf deutschem Territorium geschehen sollte, bleibt offen. Es existiert dafür ein recht handfester Grund: die von Partei- und Staatschef Michail Gorbatschow hingenommene NATO-Mitgliedschaft des vereinigten Deutschlands. Das von ihm vertretene „Neue Denken“ hat im Westen viel Anklang gefunden, als sich die Sowjetunion aus ihren Bündnispflichten zu lösen begann und abrüstete, um die Spaltung Europas wie eine bipolare Weltordnung zu überwinden – das „Neue Denken“ kursiert nur noch als Schlagwort, als es um die Zukunft der NATO als Militärallianz und Fossil der Kalten Krieges geht.
Demütigender Abschied
Die Führung in Moskau hat im September 1990 mit den „abschließenden Regelungen“ des 2+4-Agreements Konzessionen gemacht, die sich später nicht im Geringsten auszahlen werden, im Gegenteil. Die Sowjetunion öffnet sich dem Westen, bleibt aber von dessen Paktsystemen suspendiert. Und nach der Selbstauflösung der UdSSR Ende 1991 fehlen das Machtbewusstsein und der Status einer Großmacht, daran etwas zu ändern.
Besonders deutlich werden Abstieg und Niedergang, als die abziehenden – nunmehr russischen – Kontingente am 31. August 1994 in Berlin weder am Brandenburger Tor noch gemeinsam mit den Westalliierten verabschiedet werden. Der damalige Präsident Boris Jelzin hat das vergeblich gefordert und muss mit einem Defilee am Treptower Park vorliebnehmen. Franzosen, Briten und Amerikaner dagegen paradieren zum Abschied wenig später auf der „Straße des 17. Juni“ im Herzen Berlins.
Der Weg zur Einheit – Vor 30 Jahren
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