Die Anzeichen verdichten sich, dass die sogenannte Anti-Terror-Koalition auch am Horn von Afrika Militäraktionen - unter anderem den Einsatz deutscher Schiffe - plant. Zur Begründung ist vom Schutz der Tankerrouten durch den Golf von Aden wie der Nachbarschaft zur Arabischen Halbinsel die Rede. Werden denkbare Zielprojektionen mit Ländernamen versehen, wird der von einem radikalislamischen Regime regierte Sudan ebenso genannt wie Somalia. Ein Staat, der nach allgemeiner Überzeugung seit 1991 - dem Sturz des Präsidenten Siad Barre - nur noch auf der Landkarte existiert. Diese Sicht verleitet zu Illusionen, die besonders den USA schon einmal zum Verhängnis wurden.
Am 9. Dezember 1992 erstrahlt der nächtliche Strand von Mogadischu in grellem Scheinwerferlicht, als sollte ein die somalische Hauptstadt anlaufendes Kreuzfahrtschiff mit Glanz und Glamour empfangen werden. Doch die Illumination zeigt kein touristisches Spektakel an, sie ist dem US-Fernsehkanal CNN zu danken. Der heimliche Sieger des Golfkrieges von 1991 hat seine Kameras am Indischen Ozean postiert, um dem Publikum daheim ein Prime-time-Event der besonderer Art zu bieten - die Erlösung Somalias mit Fackel und Schwert. Zwei Monate vor seinem Abgang als Präsident missioniert George Bush sen. am Horn von Afrika. Marines landen als Teil eines UN-Blauhelm-Korps (UNOSOM). Die von US-Generälen kommandierte Operation nennt sich Restore Hope (Hoffnung herstellen) und will eine UN-Intervention neuen Typs aus der Taufe heben.
Anderthalb Jahre nach dem Golfkrieg soll das somalische Volk vor Hunger und Bürgerkrieg gerettet, ein afrikanischer Chaosstaat befriedet und vor allem "als Staat" restauriert werden. Nach UN-Angaben gehen 80 Prozent der Hilfssendungen für die notleidende Bevölkerung durch Raub und Überfälle marodierender Milizen verloren. Als federführende Hilfsorganisation beziffert das Internationale Rote Kreuz (IRK) die Verluste zwar nur auf zehn Prozent - doch das interessiert in New York und Washington weniger. Somalia ist als Testfeld globaler Befriedungsmacht auserkoren. Erstmals seit der Zeitenwende von 1990 haben die Vereinten Nationen den Auftrag erteilt, nicht nur Frieden zu wahren (Peace keeping), sondern durch den Einsatz von Waffengewalt denselben zu erzwingen (Peace making). Was daraus folgt, ist ein zermürbender, blutiger Kleinkrieg mit den Privatarmeen somalischer Clan-Führer, besonders der Guerilla des Mohammed Farah Aidid. Die Scharmützel köcheln monatelang, bis am 3. Oktober 1993 der Topf zum Überlaufen kommt. Nach einem Hubschrauber-Abschuss dezimieren an diesem Tag Aidid-Truppen eine US-Eliteeinheit und lassen den entblößten Körper eines getöteten Soldaten im Triumphzug durch Mogadischu schleifen. CNN ist auch hier dabei, und Amerika gedemütigt wie nicht mehr seit dem Rückzug aus Vietnam.
Der Saddam Hussein Somalias heißt jetzt Aidid. War er zum Auftakt von Restore Hope im medialen Reflex zunächst der "machtbesessene Warlord", mutiert er nun zum "unberechenbaren Gangsterchef", vorübergehend sogar zur "satanischen Tötungsmaschine" - ist aber bald wieder "Regionalpotentat", kurz darauf erneut "Warlord", schließlich "Machtfaktor" - die Metamorphosen beschreiben den Interessenwandel der Beteiligten. Zum "Gesprächspartner" von US-Botschafter Simpson wird Aidid kurz vor dem 31. März 1994, als der letzte amerikanische Soldat somalischen Boden wieder verlässt. Eine Geschichte aus dem Almanach der Neuen Weltordnung
Gewonnene, verlorene Hoffnung
Schon unmittelbar nach den US-Verlusten vom 3. Oktober 1993 gibt es keinen Zweifel mehr - UNOSOM ist gescheitert. Im Weißen Haus residiert inzwischen Bill Clinton und will das Danaer-Geschenk seines Vorgängers schleunigst entsorgt wissen. Zwar lässt die UNO - gestützt auf Blauhelme aus Frankreich, Italien und Indien - vor dem ultimativen Rückzug noch eine Schamfrist bis 1995 verstreichen. Doch danach bleibt Somalia wieder sich selbst überlassen. Restore Hope ist vorüber und hat statt gewonnener jede Menge verlorener Hoffnung verursacht. Ein Lehrstück ignoranter Missionierung, die nicht nur helfen, sondern nebenher ein neues politisches Regime erzwingen wollte - frei nach der Devise, mit Waffen Ordnung schaffen. Der Irrglaube von Kreuzfahrern, die meinen, nicht unbedingt kennen zu müssen, wen sie bekehren.
Auch wenn Somalia damals ohne funktionierenden Staat existierte, so verfügte es doch über eine kulturelle und nationale Identität, die sich in Clan-Interessen und subnationalen Hoheitsreservaten spiegelte und von vielen Somalis verteidigt wurde. Das zu ignorieren, hieß, einem afrikanischen Konflikt eine nichtafrikanische Lösung zu verordnen. Die Folgen des Fehlschlags waren verheerend - 1994 beim Genozid in Ruanda mit Hunderttausenden von Toten griff niemand ein.
Restore Hope - 1992 - 1995
Dezember 1992 - der UN-Sicherheitsrat erteilt das Mandat für die Mission UNOSOM und entsendet zugleich die ersten Truppenkontingente, die unter US-Kommando stehen.
Januar 1993 - die innersomalischen Konfliktparteien schließen einen Waffenstillstand. UNOSOM verzichtet zunächst auf eine Entwaffnung der Clan-Milizen.
Juni 1993 - bei einem blutigen Zwischenfall werden 23 pakistanische UN-Soldaten getötet und 60 verwundet. Der Sicherheitsrat erlaubt daraufhin, alle "notwendigen Mittel zu ergreifen", um die Milizen außer Gefecht zu setzen.
Juli bis Oktober 1993 - bei Angriffen von US-Eliteeinheiten auf vermutete Rebellenstellungen kommen mehrfach unbeteiligte Zivilisten um. Gleichzeitig sterben US-Soldaten bei Überfällen der Clan-Milizen.
November 1993 bis März 1994 - unter dem Druck der öffentlichen Meinung zu Hause leiten die USA den Rückzug ihrer Truppen aus dem Bürgerkriegsland ein.
März 1995 - die letzten UNOSOM-Einheiten verlassen Somalia. Während des Einsatzes sind 133 UN-Soldaten gefallen, die meisten davon als Opfer der Milizen Aidids oder des einstigen Präsidenten Ali Mahdi.
Für die politische Klasse in Deutschland blieb nach UNOSOM als Fazit, dass mit einem Bundeswehreinsatz im Gebiet von Belet Huen endgültig der Präzedenzfall für Militäreinsätze außerhalb der NATO-Grenzen gegeben war. Der humanitäre Zweck heiligte das Mittel. Die deutsche Außenpolitik hatte sich aller hemmenden Fesseln entledigt und die militärische Option nach Jahrzehnten auferlegter Enthaltsamkeit wieder in ihr Arsenal aufgenommen.
Ansonsten jedoch scheint die somalische Lektion wenig Tiefenwirkung hinterlassen zu haben, andernfalls gäbe es wohl gerade jetzt kaum nassforsche Erklärungen deutscher Politiker (Beer, Kinkel), die erneut insistieren: Man könne am Horn von Afrika allein schon deshalb ungestraft intervenieren, weil Somalia eben kein Staat und nach wie vor ohne gesamtnationale Regierung sei. Diese Arroganz blendet - vorsätzlich oder nicht - "somalische Realitäten" aus, die 2001in manchem, aber bei weitem nicht in allem denen von 1992/93 gleichen.
Die Regierung Abdikassim Salad Hassan
Bereits Ende August 2000 hat sich - bezeichnenderweise in Djibouti - wieder eine somalische Regierung gebildet. Die erste seit 1991, der gewisse Erfolgsaussichten bescheinigt werden. Der Geschäftsmann Abdikassim Salad Hassan wurde immerhin von 600 Vertretern einer "Nationalen Versöhnungskonferenz" zum Präsidenten gewählt. Dieses Gremium, das in der Kleinstadt Arta (in Djibouti) fast drei Monate getagt hatte, empfahl sich insofern als Novum in der von Kratern zerrissenen Versöhnungslandschaft Somalias, als es nicht nur traditionelle Clanchefs, Ältestenräte (shir) und religiöse Führer vereinte, sondern auch Intellektuelle, Frauen und Emigranten aus einer in der ganzen Welt verstreuten somalischen Diaspora einbezog. Über Arta lag eine Hauch von Zivilgesellschaft. Inspiriert weniger durch die UNO, eher von den Nachbarstaaten Djibouti, Kenia und Äthiopien, die sich mit ihrer Intergovernmental Authority on Development (IGAD) in Arta als Schirmherr einer möglichen Renaissance somalischer Staatlichkeit anboten. Das heißt, wer heute den Arta-Prozess von außen gefährdet, brüskiert damit auch die IGAD, die als Minimalziel einen Rückfall in den Bürgerkrieg der frühen neunziger Jahre verhindern will. Nicht zuletzt deshalb wurde in Arta nach einer Lösung gesucht, die nicht in den aussichtslosen Versuch mündet, am Horn von Afrika eine Staatskultur zu regenerieren, die es nie gab. Was der Versöhnungsprozess erreichen will, zielt auf "somalische Sozialkultur", auf austarierte Beziehungen zwischen Clans und Subclans als Fundament innerer Stabilität. Die Balance zwischen diesen Gemeinschaften entspricht der ethnischen Balance, die anderswo Staatlichkeit konstituiert. Wird sie von außen gestört, geht das Gleichgewicht verloren.
Natürlich kann niemand ausschließen, dass die jetzige Regierung, die international nicht anerkannt ist, auch wenn sie im Vorjahr vor der UN-Vollversammlung auftrat, sich nicht bald als Konfliktpartei des noch immer schwelenden Bürgerkrieges wiederfindet. Ihre Autorität leidet unter der geschleiften Integrität des Landes. Zu den Gegnern des Arta-Prozesses gehört beispielsweise die Separatregierung der Issaq-Clane im nördlichen Somaliland (s. Karte). Eine Region, die 1992/93 im Windschatten der in Mogadischu geführten Diadochen-Kämpfe als staatsähnliches Gebilde einen gewisse Autarkie entwickelt hat, gestützt auf Handelsbeziehungen zu den Nachbarn Djibouti und Äthiopien. Auch die fundamentalistische Al Ittihad al Islami wie die Somali National Alliance (SNA) des Aidid-Sohnes Hussein (*) verweigern sich dem Arta-Prozess vehement, konnten ihn aber bisher nicht sprengen. Die eigentliche Gefahr jedoch ergibt sich mehr aus der sturen Ambivalenz der UNO, die bei aller Anteilnahme zu verstehen gibt, dass sie ihr Mitglied - den Staat Somalia - eigentlich abgeschrieben hat.
(*) Mohammed Farah Aidid starb im August 1996 an den Folgen eines Attentats. Sein Nachfolger wurde der zweitälteste Sohn Hussein.
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