Merkels Verhältnisse

Deutscher Sonderweg Die Bundesregierung kompensiert ihre militärische Enthaltsamkeit bei der Libyen-Intervention durch ihren politischen Beistand für die Interventen

Warum enthält sich Deutschland im UN-Sicherheitsrat der Stimme, wenn es eine Militärintervention gegen Libyen trotzdem gutheißt? Ein Ja zur Resolution 1973 (2011) hätte keinen Automatismus in Gang gesetzt. Wer dem Papier zustimmt, muss seinen Vorgaben nicht aus eigener Kraft das militärische Leben einhauchen – sprich: Kampfjets nach Libyen oder Schiffe auf Kreuzfahrt vor der libyschen Küste schicken. Sich aus Furcht vor innenpolitischen Komplikationen oder gar aus Überzeugung den kriegerischen Part zu ersparen, ist den Befürwortern der Resolution durchaus erlaubt. In der NATO gibt es derzeit mit der Türkei mindestens einen Dissidenten, Deutschland wäre nicht allein.

Tatsächlich aber gibt es in der Bundesregierung keine Vorbehalte gegen eine Intervention. Das gilt für einen von außen bewirkten Regimewechsel in Tripolis ebenso wie für Luftschläge, die zu Hunderten oder Tausenden von Opfern unter der Zivilbevölkerung führen können. Sich einer solchen Eskalationsdynamik mit politischen Argumenten zu verweigern, hätte Merkel und Westerwelle jenseits allen lavierenden Geplänkels eben Überzeugung abverlangt. Und die haben sie nicht wirklich. Damit können weder die Kanzlerin noch der Vizekanzler aufwarten, weil es keine klare Haltung gegen einen militärischen Ausfallschritt des Westens nach Nordafrika gibt, sondern lediglich ein taktische Verhalten zu damit verschränkten Risiken und Gefahren. Am Horizont dämmern innenpolitische Flurschäden herauf, die für Union und FDP kurz vor den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mehr als nur ein hauchzarter Schlag ins Kontor sein könnten. Man würde durch einen aktiven Part beim Intervenieren vorsätzlich die afghanische Erfahrung ausblenden, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Deutschland längst davon überzeugt hat, derlei Abenteuer künftig zu meiden.

Diese Stimmung ist der Humus für Merkel demonstrativen Opportunismus, der einer Koalition der Eingreifwilligen wohl die Soldaten, nicht aber den politischen Beistand versagt. Mit einem deutschen Sonderweg, womit einmal der aus historischen Lehren vorgezeichnete Mittelweg einer Mittelmacht zwischen Ost und West in Europa gemeint war, hat das wenig bis nichts zu tun. Mit Anpassung und Augenmaß dagegen viel, wie sie die Kanzlerin gern für ihr politisches Überleben beansprucht. Insofern gibt es zum Fall Libyen keine eindeutige Haltung, sondern ein zweideutiges Verhältnis, bei dem Kalkül und Taktik so gut wie alles, Prinzipien dagegen nichts zu suchen haben. Von daher bringt es Merkel inzwischen auf ein hohe Maß an Berechenbarkeit. Oder sollte man sagen: Durchschaubarkeit? Sie pflegt einen taktischen Umgang mit der Eurokrise, mit den akademischen Betrugsmanövern eines ihrer Spitzenpolitiker, mit den Hartz-IV-Korrekturen, mit der Kernenergie und den AKW-Laufzeiten – schließlich mit einem jederzeit ausbaufähigen Hang zum Populismus. Sie steht für nichts und vieles. Das mag Puristen stören, doch es gibt Schlimmeres.


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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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