Man kann das zur Trennung in gegenseitigem Einvernehmen erklären. Oder auch verklären. Die Bundeswehr zieht sich demnächst vom Stützpunkt Incirlik zurück, aber die Kollateralschäden dieses Ausstiegs für die bilateralen Beziehungen erscheinen nicht irreparabel. Ankara und Berlin haben sich darauf geeinigt, sich nicht zu einigen, dafür aber gegenseitig zu maßregeln, um das Gesicht wahren zu können.
Die Regierung von Präsident Erdoğan hält es für einen Affront, dass in Deutschland türkischen Diplomaten und Militärs Asyl gewährt wird, die sie für Sympathisanten des Predigers Fethullah Gülen und damit ihres ärgsten Feindes hält. Wenn Machterhalt und Staatsräson zusammenfallen, kann Erdo
son zusammenfallen, kann Erdoğan nicht anders. Die Regierung in Berlin sieht sich über Gebühr brüskiert, wenn daraufhin Bundestagsabgeordnete die eigenen Soldaten auf der Basis Incirlik nicht aufsuchen dürfen. An diesem Zerwürfnis ist bemerkenswert, dass es zwischen Mitgliedern einer Militärkoalition ausgetragen wird, die im Notfall zum gegenseitigem Beistand genötigt, tatsächlich aber schwer zerstritten sind. Wie beruhigend, dass es deutsche Militärverbände mit den NATO-Dislozierungen hin zur russischen Westgrenze nach Litauen und nicht nach Polen verschlagen hat. Die steten Friktionen zwischen Berlin und Warschau könnten sich auf der nach oben offenen Zerrüttungsskala dem deutsch-türkischen Richtwert nähern. Wie würde Russland auf einen Abzug deutscher Soldaten aus Polen reagieren? Natürlich in die Bresche springen und unverzüglich angreifen, was sonst? Was lässt sich rettenWie bei der EU ist auch der Nordatlantikpakt gegen Überdehnung durch zu viel Erweiterungsdrang nicht gefeit. Er wird sich bei aller selbstauferlegten Out-of-Area-Markigkeit irgendwann einmal die Frage nach seiner Kernkompetenz stellen müssen und froh sein, sich eines ursprünglich dem eigenen Territorium gewidmeten Verteidigungsauftrages erinnern zu dürfen. Daraus ergäben sich beste Argumente, um Donald Trumps Aufrüstungswahn entgegenzutreten. Doch zurück zur deutsch-türkischen Fehde. Auf das Patt der Aversionen folgt nun also das Unwiderrufliche der Reaktionen. Der Kampf der Gegensätze wird ausgetragen, um die Einheit in der NATO wie der Anti-Terror-Allianz zu wahren, wenn denn die Dialektik bemüht werden soll. Die Frage ist nur, ob sich mit dem deutschen Exit wirklich Restbestände an Partnerschaft mit der Führung in Ankara retten lassen, wie das Außenminister Gabriel suggeriert, wenn ihn die Sorge umtreibt, das Russland allzu sehr von alldem profitiert. Die Dislozierung der Bundeswehr-Systeme und des entsprechenden Personals nach Incirlik war Anfang 2016 erfolgt, weil die Türkei nicht umhin konnte, per Stationierungserlaubnis die Luftaufklärung für die Anti-IS-Allianz zu unterstützen. Auch waren damit Vorkehrungen getroffen, gegebenenfalls Flugverbotszonen im syrischen Luftraum durchzusetzen. Diese Option hat sich vorerst erledigt, seit Russland mit eigenem Material den syrischen Himmel bevölkert. Insofern hätte die Incirlik-Präsenz der Bundeswehr demnächst von ganz anderen Interessengegensätzen überlagert sein können als denen zwischen türkischem Machtstolz und deutschen Erziehertum. Gegensätze, die nicht aus einem zerrütteten bilateralen Verhältnis resultieren, sondern viel mit Syrien zu tun haben. Sollten sich für diesen Konflikt irgendwann realistische Lösungsansätze abzeichnen, dürften Russland und die Türkei eher an einem Strang ziehen als Ankara und das Gros der NATO-Staaten. Darüber hinaus wird es das türkische Verhältnis zur Anti-IS-Allianz merklich tangieren, sollte eine von kurdischen Verbänden geführte Kampffront demnächst die IS-Kapitale Rakka einnehmen und dies vornehmlich amerikanischer Luftunterstützung zu verdanken sein. Dass damit eine Kurden-Entität – sprich weitgehende Kurden-Autonomie im Norden Syriens mit staatsähnlichen Zügen – näher rückt, liegt auf der Hand. Die türkische Führung hat dem nie tatenlos zugesehen, wie in den zurückliegenden Jahren vereinzelte Vorstöße ihrer Armee in diese Region gezeigt haben. Und sie wird dem auch künftig nicht zusehen. Zu groß sind Unbehagen und Furcht vor der paradigmatischen Wirkung auf die kurdische Community in Südostanatolien. Gunst der Stunde Bliebe die Bundeswehr weiter auf türkischem Boden stationiert, wäre sie von diesem Konfliktpotenzial direkt betroffen. Wie sich verhalten, wenn die Türkei – noch mehr als das bereits der Fall ist – als Garantiemacht einer Waffenruhe in Syrien und einer Nachkriegsordnung gefordert ist? Was wäre, wenn die NATO oder die USA entsprechende Lösungen oder Kompromisse nicht mittragen? Sie boykottieren oder bekämpfen? Die Interessen von Gastgeber und Auftraggeber der Incirlik-Präsenz könnten auseinanderdriften bis zur Unvereinbarkeit. Dem entgeht, wer geht. Doch wozu nach Jordanien ausweichen? Wer sich dort militärisch niederlässt, gerät in eine direkte Nachbarschaft zur Westbank, zu Israel und zu einem Konflikt, der jederzeit das Zeug zur Eskalation hat. Egal, wie Israel involviert wäre, die Frage nach dem Verhalten deutscher Soldaten bzw. der deutschen Politik wäre sofort gestellt. Warum nicht die Gunst der Stunde für einen generellen Rückzug nutzen?