Neue Amerikaner, neue Europäer

Feindbilder Die neue US-Regierung will die osteuropäischen Staaten nicht erneut wie George W. Bush gegen das „alte Europa“ und Russland instrumentalisieren

Ächzt Europa nicht länger unter der Fuchtel der Vereinigten Staaten? Es mag wegen der vielen transatlantischen Freundlichkeiten noch zu früh sein, auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Frage abschließend beantworten zu wollen. Doch eines zumindest fiel angenehmen auf. Man muss bei derartigen Treffen nicht länger den Übereifer willfähriger Parteigänger Amerikas aus dem Osten Europa ertragen. Wer sich erinnert, wird wissen, das war zu Hochzeiten der Bush-Administration anders. Vor allem im Vorfeld des Irak-Krieges trieben viele osteuropäische Staaten durch ihre „uneingeschränkte Solidarität“ mit den USA den alten Kontinent an den Rand der Spaltung.

Alte Achsenlogik

Ende Januar 2003 sprach der Pariser Elysée-Palast von einer „handfesten europäischen Krise“. Gerade hatten sich acht europäische Regierungschefs mit einem „Offenen Brief“ als verlässliche Gefolgsleute Georg Bushs zu erkennen gegeben, der in diesem Augenblick letzte Weichen für den Irak-Krieg stellte. Der Spanier Aznar, der Portugiese Barroso, der Italiener Berlusconi, der Brite Blair, der Däne Rasmussen und die beiden Premierminister Leszek Miller (Polen), Peter Medgyessy (Ungarn) und Václav Havel (Tschechien) schrieben der „Koalition der Willigen“ eine Art Geburtsurkunde, um keine sechs Wochen später gegen Saddam Hussein aufzumarschieren. Die Kriegsskeptiker Deutschland und Frankreich fühlten sich brüskiert vom pro-amerikanischen Ungestüm Polens und Ungarns, die eine Vorhut bildeten für andere im Osten. Auch Tschechien, Bulgarien oder die baltischen Staaten wussten, was zu tun war, wenn eine US-Regierung zur Solidarität ohne Wenn und Aber rief. Das Bekenntnis zum Irak-Krieg war als Entscheidung für Amerika kein Votum gegen Europa, aber ein klares Signal, wem man im Zweifel den Vorzug gab.
Nach 1990 hatten die Staaten Ost- und Mitteleuropas ihre Souveränität vorzugsweise gegen Russland definiert.

Die Nach-Wende-Führungen der Walesas und Havels handelten in dem Glauben, ihre antikommunistische Legitimation sei ohne einen antirussischen Reflex weder denkbar noch glaubwürdig. Wie sich bald zeigen sollte, war das außenpolitisch kein belastbares Fundament, weil die Interessen Westeuropas, besonders Deutschlands und Frankreichs, einen konfrontativen Umgang mit Russland nur in Maßen erlaubten. Überdies konnte der „Weg nach Europa“, den der Osten von Estland bis Bulgarien einschlug, nur ein Weg in die EU sein, natürlich verbunden mit einem erheblichen Souveränitätsverzicht. Also zogen sich die Osteuropäer auf die Formel zurück „NATO is for life – EU is for a better life“. Was soviel hieß wie: Für die nationale Sicherheit sind die NATO und die USA zuständig, für Ökonomie und Lebensstandard kommt die EU auf. Wo im Ernstfall die Priorität lag, wurde aus osteuropäischer Sicht mit dem „Brief der Acht“ so eindeutig geklärt wie nie zuvor seit 1990.
Dabei signierte Polens Premier Leszek Miller das Treuebekenntnis zu Bush, ohne Berlin und Paris kontaktiert, geschweige denn konsultiert zu haben, obwohl es mit dem „Weimarer Dreieck“ durchaus ein Gremium für einen Abgleich gegeben hätte.

Mit anderen Worten, die westeuropäischen Mäzene der osteuropäischen Wendeeliten sahen sich plötzlich als Außenseiter einer neuen Weltordnung stigmatisiert, in der man nur noch auf „Achsen des Guten“ oder „Achsen des Bösen“ unterwegs sein sollte. Miller, Havel und Medgyessy lieferten die Vorlage für Donald Rumsfeld, damals Bushs Verteidigungsminister, der prompt eine "neue Ordnung" für Europa ausrief und den Kontinent nach „alten“ und „neuen Europäern“ sortierte. Wer sich wo wiederfand, darüber entschied der Glaube an die Unausweichlichkeit „neuer Kriege“ wie im Irak. Zuweilen entstand der Eindruck, Osteuropa wurde von einem europäischen zu einem amerikanischen Projekt.

Neue Partnerschaft

An diese Vorgeschichte zu erinnern, erscheint notwendig angesichts der eher vorsichtigen Töne, die Vizepräsident Joe Biden auf der Münchner Sicherheitskonferenz gegenüber den „neuen Europäern“ anschlug. Die Außenpolitik der Obama-Administration will offenbar ohne den ideologischen Firnis der Ära Bush auskommen. So könnte ein allzu engagierter Pro-Amerikanismus der osteuropäischen postkommunistischen Eliten aus der Sicht des Weißen Hauses nur noch als stille Eingreifreserve gut sein – abrufbar als Drohkulisse gegenüber Moskau. Doch dürfte Barack Obama wenig Neigung verspüren, die „neuen“ gegen die „alten“ Europäer oder die „demokratischen“ Europäer gegen die „autoritären“ Russen auszuspielen. Er braucht statt alter Feindbilder neue Partnerschaften.

Russland ist für eine offensivere Afghanistan-Politik der USA unverzichtbar. Einst haben die Amerikaner mit den Taliban paktiert, um die Sowjetunion zu schwächen und zum demütigenden Abzug aus Afghanistan zu zwingen – heute brauchen sie den Schulterschluss mit Moskau, um einem ähnlichen Trauma zu entgehen. Und die russische Führung wird wissen, zu welchem Preise sie sich bitten lässt, um den Makler nationaler Interessen zu geben. Es ist vorstellbar, dass Obama einer baldigen NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgien weniger abgewinnt als sein Vorgänger. Joe Biden hat in München zu verstehen gegeben, für seine Regierung gelte die Beschlusslage des NATO-Gipfels von Bukarest im April 2008: privilegierte Beziehungen, aber keine überstürzte Mitgliedschaft.

Noch sind keine US-Patriot-Raketen in Polen stationiert. Präsident Medwedjew hat als Geste des guten Willens die Verlegung von Iksander-Raketen in die Nähe von Kaliningrad verschoben und eine „doppelte Nulllösung“ offeriert. Die besagt: Wer auf Raketen in Polen und Radaranlagen in Tschechien verzichtet, der wird erleben, dass Russland ebenso verfährt. Dies wurde nicht als vage Option lanciert, sondern von Medwedjew keine 24 Stunden nach der Wahl Obamas am 4. November 2008 als offizielles Angebot formuliert. Sollte die US-Administration – auch im Interesse der drängenden START-Verhandlungen, bei denen es um die strategischen Arsenale geht – der Raketenstationierung abschwören, wären freilich die Regierungen in Warschau und Prag düpiert. Polen Ministerpräsident Tusk hat denn auch in München die Amerikaner demonstrativ aufgefordert, bei den zu Zeiten der Bush-Regierung geschlossenen Verträgen zu bleiben. Genauso wie der tschechische Außenminister Schwarzenberg. Beide schienen instinktiv zu begreifen, wegen der „neuen“ Amerikaner plötzlich als „alte Europäer“ dazustehen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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