Pole-Position

Griechenland Syriza und Alexis Tsipras haben gewonnen, weil nur ihnen ein radikaler Umbau der Gesellschaft zugetraut wird. Doch dürfte dem zweiten kein drittes Mandat folgen
Für Tsipras auch ein stolzer Sieg
Für Tsipras auch ein stolzer Sieg

Foto: Louisa Gouliamaki / AFP - Getty Images

Die dramatische Brüsseler Gipfelnacht vom 12. zum 13. Juli hat viele Deutungen erfahren. Es habe einen Staatsstreich gegeben, um die Syriza-Regierung zu stürzen, ist eine davon. Alexis Tsipras musste vor der geschlossenen Front der Euro-Staaten kapitulieren und das nächste Spardiktat schlucken.

Tatsache ist, Griechenlands Premier stand zu diesem Zeitpunkt unter einem enormen Druck. Die Banken blieben seit einer Woche geschlossen, die EZB hätte deren Notversorgung soweit drosseln oder einstellen können, dass jeder Geld- und Kapitalverkehr erloschen wäre. Das beschwor einen ökonomischen Kollaps herauf, der die griechische Ökonomie vorübergehend aus dem Verkehr gezogen hätte. Wie wäre man in der Eurozone unter diesen Umständen mit Überlegungen des deutschen Finanzministers umgegangen, die Griechen temporär aus der Währungsunion zu entfernen?

Tsipras hatte keine andere Wahl, als mit dem dritten Rettungspaket vielem von dem abzuschwören, was seine politische Identität prägte und seiner Glaubwürdigkeit schaden musste. Er war zur Real- und Erfüllungspolitik genötigt. Aber alle Welt konnte wissen, warum.

Rücktritt – Neuwahl – Abtritt

Es blieb nur die Alternative, den eigenen politischen einem Staatsbankrott vorzuziehen, denn beim Referendum am 5. Juli hatten zwar mehr als 60 Prozent neue Auflagen abgelehnt, aber gleichermaßen bekundet, den Euro behalten zu wollen. Die Konsequenz aus der Horror-Woche zwischen dem 5. und 12. Juli schien für Tsipras auf den Dreiklang Rücktritt – Neuwahlen – Abtritt hinauzulaufen.

Einiges sprach dafür, dass die konservative Nea Dimokratia (ND) an die Regierung zurückkehren würde. Es roch nach der fatalen Nobilitierung einer Partei, die Griechenlands Misere maßgeblich verschuldet hatte, aber den politischen Stallgeruch verströmte und die gleiche politische Heimat vorweisen konnte wie viele Regierungen in der Eurozone, die sich Austeritätsdogmen freudig hingeben.

Vielleicht fällt das Wort Staatsstreich für ein solches Szenario zu gewaltig aus, um zu beschreiben, welches Exempel an einer linken Partei und Regierung in Athen statuiert werden sollte. Aber angesichts der fundamentalen Unterschiede zwischen Syriza und Nea Dimokratia darin den Versuch eines von außen forcierten "regime change" zu erkennen – das mag angehen.

Mut zur Macht

Wie das Wahlergebnis vom 20. September zeigt, hat dieses Kalkül nicht funktioniert. Syriza hat – verglichen mit der Parlamentswahl vom 25. Januar – wohl Wähler verloren (etwa 670.000), aber dies geschah nicht in einer Größenordnung, dass es kein zweites Mandat für Tsipras geben konnte.

Viele Wählerinnen und Wähler erkennen offenbar in ND-Chef Evangelos Meimarakis keine Alternative zu Tsipras. Sie glauben daran, dass der Syriza-Vorsitzende den radikalen Wandel für ein Land will, das jahrzehntelang von Klientelwirtschaft und Korruption gezeichnet war. Sie nehmen ihm ab, dass er den griechischen Staat reformieren und modernisieren – sprich: soweit europäisieren will, dass es sein Zustand ermöglicht, den Euro zu verkraften. Und es gibt in Griechenland die verbreitete Überzeugung: Tsipras und Syriza lassen sich nicht beirren in ihrem Vorsatz, die Lasten der Gläubiger-Auflagen und Finanzkrise gerechter zu verteilen und das oligarchische Establishment daran zu beteiligen wie nie zuvor. Tsirpas will das – die Frage wird sein, inwieweit er kann.

Was er anstrebt, ist Programm und Utopie gleichermaßen. Es muss Macht mobilisiert und gebraucht werden, um mehr Gerechtigkeit durchzusetzen. Damit haben Linksparteien in Europa kaum Erfahrungen, dagegen haben sie – in Abgrenzung zur kommunistischen Tradition – naturgemäß Vorbehalte, auch wenn Syriza besser als andere zu verstehen scheint, wie das Zusammenspiel von parlamentarischen und außerparlamentarischen Kampfformen aussehen kann. Hier falsche Rücksichten abzulegen, wird notwendig sein. Die Erwartungen an Syriza nach der zweiten Wahl innerhalb von sieben Monaten sind eher noch gewachsen.

In Betracht zu ziehen ist auf jeden Fall, dass die Quadriga aus ESM, EZB, IWF und EU-Kommission weiter über viel Interventionsmacht verfügt, um eine Regierung in Athen am kurzen Zügel zu halten. Dieses Kartell der Fremdbestimmung kann Tispras ein Maß an Schmach und Selbstverleugnung zumuten – wie in jener Brüsseler Juli-Nacht. Die Auszahlung der nächsten Kredittranchen ab November wird das erprobte Mittel sein, um für konformes Verhalten zu sorgen.

Tsipras und Merkel

Wirklich gesiegt hat nicht, wer sich mit einem Sieg brüstet, aber damit umgehen kann, was dieser Sieg an Last und Chancen bietet. Siegen heißt auch, sich nicht zu rühmen, dass ein solcher Triumph möglich war, sondern zu wissen, dass es nach diesem zweiten so schnell kein drittes Mandat geben wird. Natürlich, das lässt sich leicht sagen. Es ist aber ungeachtet dessen geboten, dass die künftige Regierung, wenn sie wieder aus Syriza und den Unabhängigen Griechen (ANEL) besteht, soviel Stabilität verkörpert und Realitätssinn aufbringt, dass sie sehr viel länger als sieben Monate besteht.

Daran wird auch Kanzlerin Merkel in Berlin nichts auszusetzen haben. Auch wenn das so nicht gesagt wird – es gibt gemeinsame Interessen, wenn es um den entschiedenen Umbau von Staat und Gesellschaft in Griechenland geht. Und es gibt ein überragendes gemeinsames Interesse: Das dritte Hilfspaket möge nicht scheitern wie die bisherige Rettungspolitik. Noch stehen die Aussichten schlecht, nach dem 20. September aber vielleicht ein wenig besser.

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