Poroschenko und seine Hampelmänner

Ostukraine Statt politische Lösungen zu suchen, wie das ein Außenministertreffen in Berlin beschlossen hat, will Kiew die militärische Entscheidung. Und das diplomatisch flankiert
Pressekonferenz in Berlin am 2. Juli
Pressekonferenz in Berlin am 2. Juli

Foto: AFP - Getty Images

Norbert Röttgen (CDU) wollte forsch und entschlossen wirken, war aber eher desorientiert, wie sich bald zeigen sollte. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag antwortete am Morgen des 1. Juli im Interview mit dem Deutschlandfunk (DLF) auf die Frage, wann wegen der Ukraine die nächsten EU-Sanktionen gegen Russland verhängt würden, mit einem Satz:

Heute kommt der Beschluss“.

Nichts dergleichen geschah. Der 1. Juli verging. Er war warm, eben sommerlich und irgendwann wieder vorbei, ohne dass sich in seinem Ereignis-Repertoire der von Röttgen angekündigte „Beschluss“ aus Brüssel fand. Was einleuchtete. Die EU hatte sich gerade mit ihrer Sanktionswaffe und dem ständigen Gerede darüber clever selbst ausmanövriert. Zur gleichen Zeit kassierte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko einseitig die am 20. Juni ausgerufene Waffenruhe für die Ostukraine und befahl eine Großoffensive. Da schien es doch mehr als verwegen und argumentativ heikel, dafür Russland bestrafen zu wollen.

Sollte für Brüssel oder für Berlin – den Vormund der EU-Ukraine-Emissäre – so etwas wie ein Verursacher-Prinzip gelten, hätten man nun Kiew belangen und zum Einlenken zwingen müssen. Die Androhung einer Kreditsperre bot sich an. Die zu verhängen, würde den ukrainische Staat endgültig über die berühmte Kante stoßen, hinter der es nur noch den tödlichen Absturz des Bankotteurs gibt. Aber wer will das? Schon jetzt ist das Land für Europa zu teuer. Unerschwinglich werden darf es nicht. Also blieb man dem geltenden Prinzip europäischer Krisen-Mediation treu: Die inner-ukrainischen Konflikte zu managen, heißt gebenenfalls dieselben verschärfen.

Wozu wurde verhandelt?

Dem widerspricht nur auf den ersten Blick das Ergebnis des Außenminister-Treffens zwischen Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland am 2. Juli in Berlin. Danach sollte nach einem politischen Kompromiss gesucht werden. Von einer dringend gebotenen militärischen Entscheidung war nicht die Rede. Vielmehr wurde vereinbart, dass am Wochenende mit allen Konfliktparteien – auch den Anhängern einer autonomen Ostukraine – unter Ägide der OSZE erneut verhandelt wird.

Stattdessen feuerten ukrainische Armee und Nationalgarde aus allen Rohren und holten zum Enthauptungsschlag gegen die Aufständischen aus. Ganz klar wird eine militärische Lösung vorangetrieben – keine politische. Nur zu welchem Zweck wurde dann am 2. Juli in Berlin verhandelt? Sind Laurent Fabius und Frank-Walter Steinmeier Proroschenkos Hampelmänner? Oder die Chefdiplomaten der beiden wichtigsten EU-Staaten?

Was die ukrainische Regierung derzeit tut, erinnert lebhaft an den 20. Februar, als in Kiew die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens mit dem damaligen Präsidenten Janukowitsch und der Maidan-Opposition sprachen. Das getroffene und von allen unterzeichnete Agreement – es sah u.a. eine Übergangsregierung und Neuwahlen bis Ende 2014 vor – hatte keine 24 Stunden Bestand. Janukowitsch musste unter putschartigen Umständen gehen.

Vorsätzlich getäuscht

Der 20. Februar in Kiew und der 2. Juli in Berlin. Wer beide Daten zu Sternstunden einer Ukraine-Diplomatie erklärt, muss unter Wahrnehmungsstörungen leiden.

Damals wie heute sind EU-Außenminister vorgeführt worden – oder haben das wissentlich und willig mit sich geschehen lassen? Es gab nach dem Bruch der Kiewer Vereinbarung nicht einmal zaghafte Proteste. Weder in Brüssel noch in Berlin, Warschau oder Paris. Weshalb auch? Man wäre unversehens in Verdacht geraten, ein Janukowitsch-Verteidiger zu sein. Den zu entmachten, galt als gemeinsames Ziel von Jazenjuk und Klitschko wie von Steinmeier, Fabius und Sikorski. Was den Verdacht erhärtet, dass ein abgekartetes Spiel aufgeführt und die Gegenseite vorsätzlich getäuscht wurde.

Vor sechs Monaten hat der putschähnliche Machtwechsel von Kiew die Ukraine einen Teil ihres Territoriums gekostet. Wenn es das wert war – bitteschön.

Diesmal verantworten Poroschenko und seine Gefolgschaft die Beschießung von Städten, in denen Millionen Menschen leben, die einer kollektiven Strafaktion ausgesetzt werden. Wer glaubt in Kiew ernsthaft, damit das Land befrieden und gar innerlich versöhnen zu können. Schon ist von von einem "Völkermord" gegen die russischsprachige Bevölkerung des Ostens die Rede. Der Vorwurf dürfte um so vehementer erhoben werden, je mehr sich die Angreifer tatsächlich dazu hinreißen lassen, einen Blockadering um Lugansk und Donezk zu legen. Wann und von wem sind zuletzt Städte in Osteuropa blockiert und ausgehundert worden?

Die politischen und moralischen Kollateralschäden werden verheerend sein. Was besonders bestürzt – am diplomatischen Flankenschutz des Unterfangens, den Donbass mit allen Mitteln zur Räson bringen – war und ist auch Deutschland beteiligt.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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