Schon drei Stunden nach den Anschlägen im Grenzort Reyhanli präsentieren die türkischen Behörden Aufklärung und Hinweise auf die Täter. Es dauert noch einmal etwa genauso lange, bis die Nachricht kursiert, es gäbe die ersten Verhaftungen und Geständnisse gleich dazu. Wohl dem, der in einem Staat lebt, dessen Sicherheitskräfte mit solch beeindruckender Effektivität arbeiten. Und das in einer Region, die unübersichtlicher kaum sein kann.
In der Südost-Provinz Hatay sind seit 2011 Zehntausende von Flüchtlingen aus Syrien gestrandet – dort rekrutiert die Freie Syrische Armee (FAS) ihr Personal, finden Deserteure aus den Streitkräften des Assad-Regimes Zuflucht, ist die kurdische Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegung unterwegs, was auf eine ansehnliche Präsenz des türkischen Geheimdienstes schließen lässt. Jeder hätte Verständnis, wenn Tage vergehen, bis aus einem Raum mit dieser politischen Topografie erste, seriöse Erkenntnisse vorliegen. Aber in Hatay geht alles rasend schnell. Keine 24 Stunden nach den Autobombenanschlägen, bei denen 42 Menschen ums Leben kamen und mehr als 100 verletzt wurden, kann Außenminister Ahmet Davutoğlu seinem Kollegen Guido Westerwelle in Berlin erklären, die Schuldigen seien erkannt – Assads Geheimdienst. Wer sonst? Assad ist immer schuld. Alles passt, hätte er hinzu fügen sollen, wir können es uns nicht besser wünschen.
Gefahrenherde produziert
Die Transrapid-Ermittlung bieten der Regierung Erdogan eine ideale Vorlage, sich wieder einmal als Opfer terroristischer Attacken eines unberechbaren Diktators bedauern zu lassen und darauf zu bauen, dass Einwände aus Anstand und Respekt vor den Opfern unterlassen werden. Angebracht sind sie dennoch und damit der Hinweis, dass die türkische Verstrickung in den syrischen Bürgerkrieg Gefahrenherde produziert, denen nicht zuletzt die eigene Bevölkerung ausgesetzt ist, vor allem die in Grenznähe lebende.
Die Türkei ist seit Jahren Rückzugsort und Ausbildungscamp syrischer Aufständischer, dazu Waffenkorridor und Nachschubbasis. In Istanbul sitzt und tagt die syrische Exilopposition mit ihrem Dachverband, der Nationalen Koalition. In der türkischen Grenzregion sind außerdem seit Ende 2012 moderne Flugabwehrsysteme aus mehreren NATO-Staaten, darunter Deutschland, disloziert, die Chemiewaffen-Angriffe und mögliches Artillerie-Feuer aus Syrien abwehren sollen, dies aber gar nicht können, sondern für den Fall des Falls Flugverbotszonen durchsetzen würden. Also für präventive Interventionsszenarien zuständig sind. Warum redet niemand darüber, dass sich Syrien davon bedroht fühlen muss?
Wie selbstmörderisch veranlagt und irrational in ihrem Handeln muss die Regierung in Damaskus sein, wenn sie der Türkei Attentäter schickt, die anrichten, was am 11. Mai in Reyhanli passiert ist? Damit wird nicht nur die Türkei provoziert, sondern auch die NATO, die sich in ihrem Mitgliedsland klar exponiert hat. Warum sollte es das Assad-Regime auf eine Kraftprobe ankommen lassen, bei der es nur verlieren kann?
Eine nicht zu unterschätzende Wirkung entfalten die Ereignisse von Reyhanli in ganz anderer Hinsicht. Sie beeinflussen eine Debatte, wie sie augenblicklich besonders in den USA, in Großbritannien und Frankreich geführt wird. Dabei wird gefragt: In welchem Maße und womit soll man die Rebellen (wen eigentlich genau?) in Syrien hochrüsten? Welche Risiken sind damit verbunden? Präsident Obama und der britische Premier Cameron haben bei ihrem soeben absolvierten Treffen in Washington Skrupel und Zweifel nicht ignorieren können. Sie dürften wissen, welches Spiel mit dem Feuer sie gegebenenfalls eingehen. Es wirkt zudem wenig glaubwürdig, in Genf eine internationale Syrien-Konferenz einberufen zu wollen und gleichzeitig Vorsorge zu treffen, dass es in Syrien keine politische Lösung, sondern eine militärische Entscheidung gibt.
Geraten die zum Versand bestimmten „letalen Waffen“ in die Bestände radikaler Rebellenverbände, werden damit unter Umständen Dschihadisten aufmunitioniert, deren Glaubensbrüder die französische Armee in Mali und die US-Armee in Afghanistan ausschalten wollen. Wie man weiß – mit keineswegs durchschlagendem Erfolg.
Lieber nicht
Und dann gibt es bei jeder Alimentierung mit Waffen auch noch die Macht der Erinnerung: Während der sowjetischen Präsenz am Hindukusch (1979 – 1989) hat der damalige US-Präsident Ronald Reagan aufständische Mudschaheddin, bei denen es sich vielfach um aus Pakistan eingesickerte Taliban handelte, großzügig mit mobilen Flugabwehrraketen des Typs Stinger bestückt. Gut ein Jahrzehnt nach dem Abzug der Sowjets 1989 richteten sich diese treffsicheren Geschosse dann gegen die Lieferanten.
Wer das in Syrien vermeiden will, deckt diesen Gabentisch lieber nicht. So wird in Washington, London und Paris gezögert, sich von der Türkei für eine massiven Waffentransfer in die Pflicht nehmen zu lassen, damit Präsident Assad zur Räson gebracht wird und Ankara seine regionalmächtigen Ambitionen einmal mehr ausspielen kann.
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