Resolute Einladung zur Neuen Weltordnung

BOMBEN AUF CHINAS BOTSCHAFT Die NATO ist um Klarheit bemüht

Hatte sich die westliche Kriegspartei nicht erst kürzlich der Präzision ihrer Luftaufklärung gerühmt, die es - wie im Brüsseler Hauptquartier vorgeführt - sogar erlaubte, frisch aufgeworfene Erdhügel im Kosovo als Massengräber von den Serben hingerichteter Albaner zu identifizieren? Bald darauf wird einem in Loyalitätspflicht genommenen Pressekorps - und damit uns - glaubhaft gemacht, man sei ausgerechnet beim Erkennen der chinesischen Botschaft in Belgrad Fehlinformationen der eigenen Spionage oder veraltetem Kartenmaterial aufgesessen, obwohl ein Geschwader von AWACS-Maschinen tagtäglich Jugoslawien überfliegt und dafür sorgt, daß in Brüssel detailliertere Stadtpläne Belgrads vorliegen dürften als sie irgendein Fremdenverkehrsverein jemals anzubieten vermag. (Der allerdings mit primitiverem Gerät in der Lage sein dürfte, Botschaften dort einzuzeichnen, wo sie wirklich stehen.)

Bei der Dreistigkeit und blasierten Selbstgefälligkeit, mit der eine gezielte Bombardierung der chinesischen Botschaft seitens der NATO offiziell begründet wird, käme es einer Verharmlosung gleich, darauf nur mit energischem Zweifel zu reagieren. Vielmehr muß gefragt werden, wenn es so ist, wie die NATO behauptet, sind dann paranoide Strategen, skrupellose Intriganten oder ganz einfach gemeingefährliche Dilettanten dabei, mit dem Schicksal der Welt Fangball zu spielen? Wird ihr munteres Treiben demnächst mit dem flotten Spruch aller Unzurechnungsfähigen entschuldigt, sie wüßten leider nicht immer, was sie täten - schließlich sei Krieg.

Doch man sollte der NATO andererseits nicht den Gefallen tun, allein die Verhöhnung des Publikums zu beklagen und über den realen Kern dessen hinwegzusehen, was gegenwärtig tatsächlich passiert. Denn die desaströsen »Fehlplanungen« und »Irrtümer« charakterisieren immerhin eine neue NATO-Strategie, die ihre Feuertaufe per Krieg selbst gesucht und gewollt hat. Ein globales Interventionsrecht, das man sich künftig »von Fall zu Fall« einräumen will, muß zwangsläufig immer wieder dem Punkt entgegensteuern, von dem aus - »im Interesse der Glaubwürdigkeit« - ein Krieg nicht nur als mögliche Fortsetzung von Politik, sondern als Politik an sich zu begreifen ist. Die militärische Option dürfte nach dem »Fall Jugoslawien« mehr denn je der zwanghaften Versuchung ihres Vollzugs ausgesetzt sein. Gerade weil sich die NATO nicht der Vermutung aussetzen wird, ein erneutes Jugoslawien, wo auch immer, sei nach dem jetzigen Krieg kaum denkbar. Solchen Spekulationen sind die USA nach ihrem wenig erfolgreichen Luftkrieg gegen den Irak - wie zu sehen ist - nun seit sieben Wochen mit einem weiteren Luftkrieg entgegengetreten.

Worauf also wird in Zukunft die derzeit höchst apologetisch klingende Formel von einer »Rückkehr zur Politik« anspielen? Auf die Möglichkeit taktischer Variationen zwischen diversen Formen militärischer Gewalt? Die Rochade zwischen Kriegen höherer und niederer Intensität? Zwischen Kriegen, die sich bis an die Schwelle zur thermonuklearen Konfrontation herantasten? Glaubt denn wirklich noch irgendjemand ernsthaft daran, diese NATO-Strategie werde sich nach dem Jugoslawien-Krieg wieder in einen Zustand zivilisationsstiftender Politik zurückführen lassen? Jeder (»Schurken«-) Staat, der damit rechnen muß, daß auch an ihm ein Exempel nach der Folie Jugoslawien statuiert werden könnte, wird seine Vorkehrungen treffen. Ihm bleibt nur die Chance, die Schwelle zur militärischen Eskalation nach Kräften anzuheben und so den Preis, den die NATO für den Vollzug ihrer Strategie zu entrichten hätte, so hoch wie möglich zu schrauben - um letztlich unter dieser Schwelle bleiben zu können. Niemand von Libyen bis Afghanistan wird sich darauf einlassen, dies durch ostentative Friedfertigkeit erreichen zu wollen. Der Krieg in Europa dürfte eine weltweite Rüstungseskalation provozieren, deren Dimensionen uns Indien und Pakistan mit ihren Nukleartests gerade vor Augen geführt haben. Wäre denn eine Nuklearmacht Jugoslawien auch nur eine Stunde lang bombardiert worden? Der Sog dieses Krieges reißt uns zurück in die siebziger Jahre und deren Verdikt von der Unverzichtbarkeit atomarer Abschreckung. Mit der Auferstehung eines »Gleichgewichts des Schreckens« muß nicht gerechnet werden, aber unterhalb dieses Levels bieten sich diverse Möglichkeiten.

Wenn eine »Wertegemeinschaft« vorführt, daß ausgerechnet sie die Schwellenangst vor dem Militärischen so resolut abzustreifen versteht, um sich per Krieg zu bestätigen, dürften das alle anderen als ein unmißverständliches Signal deuten, damit künftig leben oder sterben zu müssen. Die Chinesen können für sich in Anspruch nehmen, auf eine äußerst robuste Art und Weise aufgefordert worden zu sein, diesen neuen Realitäten Rechnung zu tragen.

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