Als noch Kanzler Gerhard Schröder das deutsch-französische Verhältnis justierte, schien als Devise gegenüber Paris zu gelten: Wir brauchen euch im Interesse Europas, aber das braucht uns mehr als euch. Unter Kanzlerin Merkel wurde die Formel kantiger und beschrieb nun erst recht ein Kräfteverhältnis: Es dient den Interessen Europas, wenn Deutschland führt und Frankreich das anerkennt.
Damit hatten sich zwei Präsidenten abzufinden, der bald resignierende François Hollande mehr als der bis zuletzt rebellische Nicolas Sarkozy. Was gilt für Emmanuel Macron? Vielleicht die Version, wenn Frankreich Europa nicht zur Last fallen will, muss es werden wie Deutschland? In diesem Fall dürften viele Franzosen im Nachhinein bereuen, nicht für Ma
ür Marine Le Pen gestimmt zu haben.Wenn dieser 7. Mai mehr gewesen sein soll als republikanische Selbstbehauptung gegen den Front National, muss der neue Staatschef nachweisen, welchen Sinn sein Sieg hat. Derzeit liegt in Frankreich die Arbeitslosigkeit bei 9,6 Prozent, die Staatsschuld bei 2.180 Milliarden Euro oder 98,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Es würde eine ganze Jahresproduktion gebraucht, um sich freizukaufen. 2016 gab es ein Außenhandelsdefizit von 48 Milliarden Euro, was auf weiter schwindende Wettbewerbsfähigkeit deutet.Das Haushaltsdefizit bleibt höher, als die EU-Kommission erlaubt. Macron ist von ökonomischen Realitäten umstellt, die ihn in Haftung nehmen und die Frage nahelegen, ob er sich selbst oder nur dank fremder Hilfe befreien kann. Vorgänger Hollande suchte 2012 in ähnlicher Lage den Beistand Europas und plädierte für einen Umbau der Eurozone, die wie ein Cadillac mit Vélosolex-Motor vor sich hin schlich. Es fehlten Wille und Werkzeug, um für unterschiedliche Volkswirtschaften unterm gleichen Währungsdach den fairen Wettbewerb zu garantieren. Hollande warb für Eurobonds und die kollektive Einlagensicherung von Großbanken, für ein Investitions- und Wachstumsprogramm der EU. Angela Merkel ließ ihn an sich abtropfen und sah zu, wie Frankreich wirtschaftlich weiter abfiel.Präsident Macron will sich ebenfalls auf dem europäischen Laufsteg zeigen, aber kein Kostgänger, sondern Kosmopolit sein – agil, elegant, mit einer zutiefst französischen Kollektion. Er setzt auf die institutionelle Innovation, eine Allianz der Parlamente in der Eurozone, ein gemeinsames Budget der Euro-Staaten und einen Finanzminister für den Währungsraum. Letzteres hatte schon eine Christine Lagarde als Ministerin unter Sarkozy gewollt, um in Berlin auf tote Augen zu stoßen. Was widerfährt Macron? Wenn seine Ideen das Ansinnen spiegeln, Frankreichs gaullistisch angehauchten Etatismus zu europäisieren, hat Deutschland leichtes Spiel und kann abwinken. Ohnehin muss, wem ein erneuerter Überbau für die Eurozone vorschwebt, zunächst einmal sagen, was aus den Playern werden soll, die momentan das Überleben der Gemeinschaftswährung sichern wie die EZB, der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) und Deutschland mit einem elementaren Interesse an diesem Euro. Warum verliert sich Macron überhaupt in Projekten, die er so wenig durchsetzen kann wie Hollande sein Europa der keynesianischen Vernunft? Weshalb nicht dialektisch denken und die Stärke Deutschlands als Schwäche verstehen?Die Bundesrepublik hat sich, befördert durch den Brexit, als europäische Führungsmacht eingerichtet, aber Gefolgschaft eingebüßt. Einsame nationale Entscheidungen mit Konsequenzen für alle wie in der Flüchtlingspolitik haben daran ebenso Anteil wie der notorische Reflex, das Euro-Krisenmanagement vorzugsweise eigenen Interessen unterzuordnen, statt solidarisch zu sein. Kein Wunder, dass sich besonders EU-Staaten in Osteuropa deutschem Wertepatronat entziehen und nationale Souveränität über europäische Solidarität stellen, was die EU mit Siechtum bedroht. Einst hätten sich Frankreichs große Europäer wie Robert Schuman, Jacques Delors oder Valéry Giscard d’Estaing deutsche Richtlinienkompetenz in Europa verbeten, nur war François Hollande Tausende Schuldenmilliarden weit davon entfernt, es ihnen gleichzutun.Macron wird es kaum anders ergehen. Doch kann es ihm jemand verwehren, sich auf die Geschäftsgrundlage der deutschen Einheit zu berufen, wie sie einst zwischen François Mitterrand und Helmut Kohl ausgehandelt wurde? Sie sollte deutsche Macht europäisch binden. Die Fehlkonstruktion der Währungsunion hat das verhindert und sämtliche Regierungen unter Kanzlerin Merkel dazu verführt, daraus politisch Kapital zu schlagen. In der Konsequenz steht Deutschland als eine europäische Übermacht da, der zusehends die europäische Mitte fehlt. Um dieser Hegemoniefalle zu entkommen, werden selbstbewusste EU-Mächte gebraucht: Italien, Spanien, auch Polen, vor allem Frankreich. Darin liegt die Chance für Macron. Er kann EU und Eurozone nur dann erneuern, wenn er Deutschland von der Gefahr erlöst, als zentrale Macht Gegner zu sammeln, aus denen Feinde werden können. Offenbar wiederholen sich die 1950er Jahre. Nur dass diesmal statt deutsch-französischer Aussöhnung eine Versöhnung gebraucht wird, die weiterer Entfremdung vorbeugt. Auf eine Formel gebracht: Wenn Frankreich Europa erhalten will, muss es Deutschland vor sich selbst schützen.