Drei führende NATO-Staaten habe eine Woche Libyen-Diplomatie als zu vernachlässigendes, eher beiläufiges Geplänkel abgetan. Das am Wochenende in mehreren Zeitungen veröffentliche Statement der Präsidenten Obama und Sarkozy sowie des britischen Premiers Cameron erklärt den Sturz des Gaddafi-Regimes unumwunden zum Ziel aller von außen geführten Militäroperationen gegen Libyen. Die werden offenbar als bislang unzureichend empfunden – bisher wurde besagtes Ziel nicht erreicht. Man könnte einwenden, dass die westliche Allianz im Frühjahr 1999 Serbien und Montenegro 78 Tage lang bombardiert hat, bis sich Präsident Slobodan Milosevic gezwungen sah, dem Plan des finnischen Diplomaten Martti Oiva Ahtisaari zuzustimmen, der den Einzug von NATO-Truppen in der Provinz Kosovo absegnete und später zu deren Separation führte.
Doch seinerzeit tobte in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien/Montenegro) im Unterschied zu Libyen kein Bürgerkrieg, in den NATO-Luftverbände eingriffen. Vielmehr wurde die militärische und zivile Infrastruktur eines europäischen Industrie-Staates systematisch atomisiert. Was wäre davon übrig gewesen nach 150 oder 200 Tagen Luftkrieg? Also war Belgrad nach 78 Tagen zur einlenkenden Kapitulation bereit. Gaddafi hingegen ist nicht derart verwundbar wie vor zwölf Jahren Milosevic. Libyen hat als dünn besiedeltes Flächenland weder infrastrukturell noch von seinen ökonomischen Kapazitäten längst so viel zu verlieren wie seinerzeit Serbien. Und was es verliert, das verlieren andere – nicht zuletzt die Angreifer– mit. Wer als westlicher Ölimporteur die Anlagen eines arabischen Ölförderers zerstört, muss masochistisch veranlagt sein oder ist einfach nur irrsinnig.
So treiben und stoßen die USA, Frankreich und Großbritannien die NATO weiter voran und weiter hinein in die Libyen-Expedition. Obama, Sarkozy und Cameron erklären für überholt, was in der vergangenen Woche erst die EU-Außenminister, dann die Libyen-Kontaktgruppe in Katar und danach die NATO-Außenminister in Berlin verhandelt haben. Ihnen reicht es nicht, dass die Luftangriffe intensiviert werden – sie wollen wissen, wie der Krieg gegen Gaddafi zu gewinnen und die strategische Dividende in Nordafrika einzustreichen ist. Darauf hat die NATO zu antworten, degradiert zur vollziehenden Gewalt einer neoimperialen Hybris, die sich den libyschen Brückenkopf nicht mehr nehmen lassen will. Dieser Maximalismus mag auch erklären, dass sich der UN-Sicherheitsrat vorerst zu keiner neuen Libyen-Resolution – etwa über humanitäre Korridore – aufrafft, jetzt müsste man wohl doch mit einem Veto rechnen. Immerhin haben die fünf führenden Schwellenländer Russland, China, Indien, Brasilien und Südafrika bei ihrem Gipfel im südchinesischen Sanya keinerlei Sympathien für die NATO-Intervention erkennen lassen.
Vielfach wird nun kommentiert, der deutsche Außenminister Westerwelle müsse sich vom trilateralen Unilateralismus der Amerikaner, Franzosen und Briten düpiert fühlen. Tatsächlich bestätigt deren Gebaren, wie berechtigt die deutsche Zurückhaltung und Stimmenthaltung im Sicherheitsrat waren. Da scheint im Hintergrund die Gewissheit zu stehen, das blutige Jahrzehnt der Besatzung in Afghanistan und Hunderttausende von Toten im Irak sind alles andere als ein schlechter Traum.
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