Netanjahu in Berlin Wenn Kanzlerin Merkel heute Israels Premier empfängt, muss sie dessen Siedlungspolitik öffentlich kritisieren. Es sei denn, sie will sich in der EU weiter isolieren
Polarisierer und Nationalist: Israels Premier Benjamin Netanjahu
Foto: Lior Mizrahi/Getty Images
Es irrt, wer glaubt, allein Angela Merkel sei es als Verdienst anzurechnen, Ende 2008 die Solidarität mit Israel und die Verantwortung für dessen Sicherheit zur Staatsräson erklärt zu haben. Einige Jahre zuvor bereits formulierte der SPD-Politiker Rudolf Dressler, während der Kanzlerschaft Gerhard Schröders Botschafter in Tel Aviv: „Die gesicherte Existenz Israels liegt im nationalen Interesse Deutschlands, ist somit Teil unserer Staatsräson.“
Und während der Debatte über das Wiedergutmachungs-Abkommen (Luxemburg-Vertrag) mit Israel im Jahr 1953 meinte der damalige Kanzler Adenauer, dass „die Art, wie die Deutschen sich den Juden gegenüber“ verhielten, „die Feuerprobe der deutschen Demokratie“ sein werde.
Demokratie“ sein werde. Eine konsistente Israel-Politik gehört insofern zu den außenpolitischen Kontinuitäten der Bonner wie Berliner Republik, auch wenn das zur Staatsräson erhobene Verhältnis zum Staat Israel 1949 kein Gründungskonsens des westdeutschen Staates war. Zur gegenseitigen diplomatischen Anerkennung kam es erst 1965, was besonders opportunistischem Kalkül in Bonn geschuldet war. Es gab die Hallstein-Doktrin und somit die Furcht, sollte man mit Israel Botschafter austauschen, könnten arabische Länder im Gegenzug das Gleiche mit der DDR tun. Nach dem von Außenstaatssekretär Walter Hallstein 1955 kreierten Dogma hätten mit diesen Staaten daraufhin die Kontakte eingefroren werden müssen. Wer die DDR wie einen Staat behandelte, hatte das Recht verwirkt, mit der BRD einen normalen zwischenstaatlichen Verkehr zu pflegen. Endgültig vorbei war es mit diesem Entweder-Oder-Schema des Kalten Krieges erst in den siebziger Jahren dank der Ostpolitik des Kanzlers Willy Brandt. Revanche oder gar RacheZurück zu den israelisch-deutschen Beziehungen, in denen es für die Bundesrepublik darum geht, einer ethisch-moralischen Reputation gerecht zu werden, die sich zwigend aus unheilvoller Geschichte ergibt. Was nichts daran ändert, dass es solcherart Staatsräson verdient, als historische Kategorie betrachtet zu werden, und Ausformungen unterliegt, die ihre Zeit haben und in ihre Zeit gehören oder nicht. Wenn das so ist, muss die Frage erlaubt sein: Inwieweit darf ein derartiger Verhaltenskodex zur stupiden Unempfindlichkeit gegenüber politischem Verhalten und davon geprägten Verhältnissen führen? Augenblicklich gibt es auf Seiten Israels die kompromisslose Verstiegenheit seiner Regierung, viel, wenn nicht alles zu tun, um eine Zweistaatlichkeit in Palästina auf Dauer zu verhindern. Die jüngsten Ausschläge in der obsessiven Siedlungspolitik von Premier Netanjahu bestätigen das. Sie wirken makaber, weil sich schwerlich übersehen lässt, dass hier Revanche – wenn nicht Rache – wegen einer aufgewerteten palästinensischen Präsenz in der UNO im Spiel sind. Den Umgang Deutschlands mit seiner Staatsräson kann das so wenig unberührt lassen wie die andauernde Annexion der Westbank und der syrischen Golan-Höhen, mit der seit Jahrzehnten Völkerrecht gebrochen wird. Dies hinzunehmen, wenn möglich kritiklos, wie das israelische Politiker in der Regel erwarten, sollte für die Regierung Merkel eine Zumutung sein. Wenn Deutschland derzeit als nichtständiges Mitglied dem UN-Sicherheitsrat angehört, kann es schwerlich Okkupationen gutheißen, die aus der UN-Charta einen Witz machen. Was Solidarität nicht bedeutetEs kommt hinzu, innerhalb seines wichtigsten außenpolitischen Handlungsrahmens muss Deutschland mehr denn je zur Kenntnis nehmen, wie sehr in Europa die Bereitschaft sinkt, Israels Maximalismus zu tolerieren, geschweige denn zu unterstützen. Wer sich dieser Tendenz entzieht, segelt unwiderruflich in die Isolation. In einem Anflug von Realismus hat sich UN-Botschafter Wittig am 29. November in der UN-Generalversammlung enthalten beim Votum über den Beobachterstatus für Palästina. Wäre das unterblieben, hätte man sich folgenden neun Staaten angeschlossen, die mit Nein stimmten: Palau, Nauru, Mikronesien, den Marshallinseln, Tschechien, USA, Kanada, Panama und Israel. Unter den 41 UN-Mitgliedern, die sich wie Deutschland enthielten, waren neun EU-Staaten, darunter Großbritannien, Polen, die Niederlande und Ungarn. Das heißt, von den 27 EU-Mitgliedsstaaten stellten sich 16 und damit die Mehrheit hinter den palästinensischen Antrag und gegen Israel. Hätten es mehr sein können, wären die Pläne zur weiteren Landnahme durch Siedlungsbau schon am 29. November bekannt gewesen? Als Schweden im zweiten Halbjahr 2009 mit Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt den EU-Ratsvorsitzenden stellte, hielt der die Zeit für gekommen, im Namen Europas Ost-Jerusalem als legitime Hauptstadt eines palästinensichen Staates anzuerkennen. Reinfeldt musste darauf verzichten. Deutschland legte sein Veto ein und schwächte die EU, indem es deren außenpolitischen Konsens verhinderte. Wäre das auch heute noch denkbar? Solidarität muss nicht bedeuten, einem Partner wie Israel blindlings zu folgen, sondern stattdessen vor Irrtümern und schwer reparablen Fehlern zu bewahren. Auch darin kann sich Verantwortung vor der Geschichte spiegeln. Man muss dazu nicht mit Paradigmen brechen, sehr wohl aber mit der Vorstellung, es sei ein Sakrileg, einem Polarisierer und Nationalisten wie Benjamin Netanjahu Paroli zu bieten. Und das öffentlich. Wie vorzüglich die Kanzlerin derartige Auftritte beherrscht, ließ der jüngste deutsche-russische Gipfel erfahren, als Angela Merkel Präsident Putin wegen des Umgangs mit Oppositionellen (u.a. die Band Pussy Riot) belehrte, laut und deutlich, auf dass es auch der Letzte im großen Saal hören konnte.
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