Warum hält sich Barack Obama 20 Tage vor ultimo an Russland schadlos, weist 35 Diplomaten aus und verhängt noch ein paar Sanktionen mehr?
Will die Administration noch mal kraftig durchpusten vor ihrem letzten Atemzug? Die eher magere außenpolitische Bilanz lässt sich durch den Hang zum Biss schwerlich kaschieren. Im Nahen Osten wirkt sie geradezu desaströs. Jedenfalls agiert Obama erstaunlich kleinkariert und nimmt sich die Aura des Präsidialen, bevor er als Präsident ausgedient hat.
Ein Bedürfnis nach Revanche oder gar Rache gegenüber der russischen Führung lässt sich kaum verleugnen. Nur welchen Sinn hat es, die russisch-amerikanischen Beziehungen in verwahrlostem Zustand zu hinterlassen, wenn man doch ziemlich sicher sein kann, dass es der kommende Präsident nicht dabei belassen wird. Eben deshalb tun, was man nicht lassen will?
Erst die Schwelbrände im Verhältnis zu Israel, dann verbrannte Erde in dem zu Russland? Ein bisschen viel des Vorspurens für Donald Trump, deshalb ist diese Fährte wohl bald vom Winde verweht.
Natürlich wiegt der momentane Verlust an politischer Federführung in Syrien schwerer als schwer. Die wird ausgerechnet an Russland abgetreten, auch wenn längst nicht absehbar ist, ob das auf Dauer der Fall sein wird. Und welche Konsequenzen dies hat.
Mein Syrien, Dein Syrien
Was der Regierung in Moskau unbestreitbar zum Vorteil gereicht, und wovon sie jetzt zehrt, das ist ihre Fähigkeit zum pragmatischen, wert- und ideologiefreien Kompromiss. Das bewährt sich besonders gegenüber der Türkei, die nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe im November 2015 beim Moskauer Ranking in die Kategorie Feindstaat abgerutscht schien. Es gab russische Sanktionen gegen den Import türkischer Nahrungsmittel, türkische Baufirmen wurden von Ausschreibungen suspendiert und russische Charterflüge in die Türkei gestrichen, was dem Tourismus dort absolut nicht bekam.
Recep Tayyip Erdogan geriet erkennbar in die Defensive, entschuldigte sich schriftlich bei Wladimir Putin für den militärischen Übergriff und traf sich seither dreimal mit dem Präsidenten Russlands. Erst Anfang August 2016 in St. Petersburg, als der türkische Staatschef für seine Verhältnisse erstaunlich konziliant und wortweich auftrat. Man sah sich wieder beim G-20-Gipfel von September in Hangzhou sowie Anfang Oktober in Istanbul, als es nicht nur um die Frage „mein Syrien, dein Syrien“ ging, sondern um Energieprojekte, die das „mein“ und „dein“ womöglich auflösen halfen.
Seit die syrische Regierungsarmee Aleppo wieder vollständig kontrolliert, gibt es nun das ehrgeizige Projekt Russlands, der Türkei und des Iran, eine Waffenruhe für große Teile Syriens zu verantworten und durchzusetzen
Das heißt, externe Paten des Syrien-Konflikts haben sich trotz aller Gegensätze arrangiert.
Von der Türkei düpiert
Nach letztlich gescheiterten landesweiten Feuerpausen im April und September bleibt abzuwarten, was diesmal geschieht. Zumindest gibt es Schirmherren einer Waffenruhe, die in dieser Konstellation und zu solchem Zweck noch nie in Erscheinung traten. Da wollte die Obama-Administration einen bemerkenswerten Beitrag zum Gelingen dieses Versuchs nicht schuldig bleiben, indem sie die Bedingungen für Waffenlieferungen an das Anti-Assad-Lager lockerte und damit überzeugend nachwies, wie ernst es ihr ist, etwas gegen die prekäre humanitäre Lage für die syrische Bevölkerung zu tun.
Die EU, die sich für einen relevanten diplomatischen Akteur in der Region hält, hat das bisher mit keinem Wort moniert. Eingeschnürt in ein Korsett falscher Rücksichten sind ihr die rührigen Hände gebunden, gegen derart kriegsverschärfende Maßnahmen Stellung zu nehmen. Dies übrigens könnte eine Erklärung für die Randexistenz sein, in die sich Europa beim Syrien-Konflikt manövriert hat und nun von der wendigen Türkei düpiert wird.
Marionette seiner selbst
Um auf Barack Obama zurückzukommen – zu guter Letzt wird er zur Marionette seiner Inkonsequenzen und macht keine glückliche Figur. Er ist davor zurückgeschreckt, den üblichen Interventionismus während seiner Amtszeit (so wie Vorgänger George W. Bush) auf die Spitze zu treiben und in Syrien mit Bodentruppen einzumarschieren. Doch aus dem Luftkrieg gegen Gaddafi 2011 in Libyen hielt er sich mitnichten raus und wurde zum Geburtshelfer eines weiteren Failed State.
Von daher wäre jedwede Idealisierung seiner Nahostpolitik verfehlt. Es hat ihr nicht an Machtdemonstrationen gefehlt, sondern am Willen, etwas gegen die Langzeitfolgen des jahrzehntelangen Machtexports der USA in eben diesen Subkontinent zustande zu bringen – mit einer Ausnahme: Es gab den friedlichen Ausgleich mit dem Iran. Nur was hat von diesem Erbe Bestand? Hoffentlich mehr, als das beim Kleinkrieg mit Russland der Fall ist.
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