Wenn die Lunte einmal brennt

Griechenland Plötzlich werden Wachstumsprogramme für den moribunden Eurostaat im Süden gefordert. Doch die Vernunft hat es schwer. Vorerst wird weiter geschrumpft

In Athen wird hektisch verhandelt, auf dass von Griechenlands Kreditwürdigkeit gerade noch soviel übrig bleibt, um die Staatsinsolvenz aufzuhalten. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, die Wegbegleiter der griechischen Tragödie aus der EU oder vom Internationalen Währungsfonds (IWF) beugen sich wie Leichenbeschauer über den Torso eines Landes, das einmal ein Staat war. Weltbankpräsident Robert Zoellick hat gerade erst auf der Münchner Sicherheitskonferenz vergeblich davor gewarnt, nur auf Sparprogramme und Strukturreformen zu starren und jeden Wachstumsimpuls aus dem Auge zu verlieren. Er hätte in aller Klarheit hinzufügen sollen: Weil wir uns dessen bewusst sind, dass nur wachsen kann, wer nicht ständig schrumpft. Und weil wir bedauern, dies so lange ignoriert zu haben.

Leider zeigen die vergangenen Tage, in denen die Troika aus EU-Kommission, IWF und EZB mit der Regierung in Athen verhandelt hat, dass es keinen Nerv dafür gibt, darüber nachzudenken, wie einem Land, in dem jeder Fünfte unterhalb der Armutsgrenze überlebt, das ökonomische Existenzminimum erhalten werden kann. Um es sehr zynisch zu sagen – es geht um den Aufprall beim Absturz, das Durchatmen nach einem Staatsbankrott, das Weiterleben nach dem Scheintod, falls die Eurozone verlassen werden muss, wofür immer mehr spricht.

Schuldenschnitt oder Schuldenverzicht?

Was könnte jetzt noch helfen? Kurzfristig vielleicht der Verzicht auf so manches Junktim, das auf Erpressung hinausläuft. Die Troika sollte davon Abstand nehmen, einen irgendwann vom Internationalen Bankenverband (IIF) abgenickten Schuldenschnitt zur Bedingung für die nächste Kredittranche aus dem Eurorettungsfonds zu erklären. Die Formel, keine neuen Schulden ohne Abschreibung der alten, geht an den Realitäten vorbei. Heißt doch Schuldenschnitt nicht automatisch Schuldenverzicht. Griechenlands Gläubiger können damit rechnen, vorhandene Schuldscheine zum Teil gegen andere Anleihen des griechischen Staates mit längeren Laufzeiten, veränderten Tilgungsfirsten und Zinsen zu ersetzen. Dieses Verfahren ist lange vereinbart und zwingend, weil allein griechische Investoren – vorzugsweise Banken und Pensionsfonds – beim griechischen Staat 70 Milliarden Euro geparkt haben. Der nationale Bankensektor würde kollabieren, wäre ausgemacht, dass dieses Kapital für alle Zeit verloren ist.

Ebenso verzichtbar erscheint das Junktim zwischen einem erneuten sozialen Aderlass – weiteren Lohnkürzungen, Zusammenstreichen des Mindestlohnes, Entlassung von Staatsangestellten – und der Bewilligung des für Athen überlebenswichtigen Hilfspakets von 130 Milliarden Euro, die im März gebraucht werden (unter anderem. weil dann 14,5 Milliarden Euro an Altkrediten abgelöst werden müssen). Der äußere Druck zur Totalaskese entfaltet sich seit fast zwei Jahren. Und doch gaben die griechischen Staatsschulden nicht nach, sondern wuchsen unablässig weiter in ungekannte, ungeahnte Höhen – auf einen Wert von derzeit mehr als 270 Milliarden Euro oder 162,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP).

Es begann im Mai 2010

Und dabei ist Griechenland sicher ein Sonder-, aber eben kein Einzelfall. Auch in den anderen hoch belasteten Staaten der Eurozone hat sich 2011 die Defizitquote (sprich: Neuverschuldung) nicht eklatant verringert – trotz oder besser wegen der oktroyierten Sanierungsprogramme: In Portugal lag sie bei etwa 7,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, in Irland bei 10,5 und in Spanien bei 8,2 Prozent.

Es hätte im Mai 2010, als alles anfing, eine gemeinsame Erklärung von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy genügt: Wir bürgen für Griechenland und wissen, dass es notwendig ist, diesen Staat in der Eurozone zu halten. Wir wissen das, weil wir um unsere Interessen wissen. Stattdessen wurde die Forderung aufgestellt, besonders in Berlin, erst wenn die Griechen in Vorleistung gehen und sich akutem Spardruck beugen, werden wir ihnen helfen. Das fragt doch jeder Gläubiger unwillkürlich: Und was geschieht, wenn die Griechen nicht mehr in Vorleistung gehen können? Was geschieht dann mit unserem Geld?

Dieses Junktim hat das Vertrauen der Investoren oder „Finanzmärkte“ für immer zerstört. Es klang nachvollziehbar, erschien logisch und vielleicht auch legitim, hatte jedoch mit der Logik der Märkte absolut nichts zu tun.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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