Kobold und Elfe - wie der kleine Unterschied groß geredet wird

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Ich habe ja, vor meinen beiden letzten Beiträgen, eine längere Pause eingelegt. Nun ist der Raum zum Schreiben wieder da. Nun kann ich wieder zurückkommen.
Auch zurück zum Thema.

Sex&Gender.

Als ich etwa fünf Jahre alt war, spielte ich mit meinen Brüdern und den Nachbarjungen Räuber und Gendarm. Da wir alle Räuber sein wollten, fehlte es an Gendarmen. Das hielt uns freilich nicht davon ab, uns zu verstecken.

Irgendwann kam der Tag, an dem hieß es: wir müssen auf die Aufsichtspunkte. Ausschau halten. Ich fasste einen der Äste an, um hinauf zu klettern und hörte plötzlich ein bestimmtes: Du nicht. Du bist ein Mädchen. Du musst in der Höhle bleiben und kochen. Ich schaute an mir herunter, überlegte kurz und sagte dann: ok, dann heiß ich ab jetzt John. Und ohne Widerspruch durfte ich auf die Aufsichtsplattform.
Ein Kind in meinem Bekanntenkreis ist gerade drei. Der Kleine läuft durch die Gegend und erzählt stolz: ich bin ein Kobold und ein Elfe! Seine Erzieherin in der Krippe sagte: nein, jedes Kind kann nur eins sein -ein Kobold oder eine Elfe. Und Du bist ein Kobold. Empörte Kleinkinder sind irgendwie witzig. Der Kleine hat sich auch wieder beruhigt, als seine Mutter ihm versicherte, dass er alles sein könne, was er will.

Unlängst fiel mir ein Paper von einer gewissen Lise Eliot in die Hände.
Sie setzt sich mit der frühen Hirnentwicklung des Menschen auseinander und versucht, Missverständnisse aufzuklären. Eliot fragt ob Gehirne tatsächlich so unterschiedlich sind, wie das propagiert wird. Der Untertitel eines ihrer Bücher verrät, dass sie die Studien anders interpretiert, als viele Ihrer KollegInnen: How Small Differences Grow into Troublesome Gaps – and What We Can Do About It

Also: Unterschiede ja. Aber eben: klein.

Die allseits beliebte Idee von Mars und Venus sei Schuld daran, dass die These, Jungen und Mädchen hätten von Geburt an eine grundverschiedene Hirnstruktur, so erfolgreich ist. Die Plastizität von Gehirnen, die sich ja selbst bei Erwachsenen stetig verändern, sei ein Hinweis darauf, dass es keine geschlechtsspezifische, im Hirn festgelegte Verhaltens- oder Talentstruktur, gibt.

„Of course, genes and hormones play a role in creating boy-girl differences, but they are only the beginning. Social factors, such as how we speak to our sons and daughters and whether we encourage their physical adventurousness, are proving to be far more powerful than we previously realized.” Link

Louann Brizendine, eine Psychiaterin, die emotional gesteuerte Eigenschaften für spezifisch weibliche Eigenschaften hält, wird von Eliot ebenso kritisiert, wie Leonard Sax . Sax ist „an influential physician who uses claims about brain and sensory differences between boys and girls to lobby for gender segregation in schools.”

Studien wurden fehl- und überinterpretiert. Nicht nur von Sax. Studien, die Gegenteilige Ergebnisse aufwiesen, wurden ignoriert.

Förderung, vor allem gezielte Förderung nimmt Einfluss, auf das Bilden neuer Nervenzellen, auf die Verknüpfung von Synapsen zwischen ihnen und auf das Produzieren von Hirnbotenstoffen. Wenn Jungen und Mädchen also von ihrer Umwelt vom ersten Tag wie Jungen und Mädchen behandelt werden, wenn sie eben unterschiedlich wahrgenommen werden, dann ist es zwingend, dass sich die Gehirnstruktur unterschiedlich entwickelt.

„By appreciating how sex differences emerge—rather than assuming them to be fixed biological facts—we can help all children reach their fullest potential, close the troubling gaps between boys and girls, and ultimately end the gender wars that currently divide us.” Link

Das allerdings würde bedeuten, dass Eltern Zeit (und auch Lust) haben, ihre Kinder bewusst zu fördern. Ich glaube, Lust ist nicht das schwerwiegendste Problem, die Zeit, daran könnte es scheitern. Und vielleicht auch (je nach Bildungsgrad der Eltern) am Vermögen, den Kindern die „richtige“ Förderung teilwerden zu lassen.
Genug Betreuungsplätze, die auf genderneutrale Förderung achten, gibt es auch nicht.
Wobei ich auch sagen muss, dass ich immer eine Gänsehaut bekomme, wenn ich an (früh)kindliche Förderung denke. Bekomme ich doch das Bild des überforderten Kindes nicht aus meinem Kopf, dass schon Terminstress hat, bevor die Schule überhaupt beginnt.
Vor ein paar Wochen habe ich diesen Brief gelesen. Ich war mehr als gerührt und konnte mir die eine oder andere Träne nicht verkneifen.

An meine Schwester schrieb ich nach der Lektüre: wir müssen ganz schön aufpassen, was wir den Kleinen so zumuten.

Sie antwortete: ja, deshalb ziehen wir ja auch aufs Land, damit der Wurm später Frösche fangen kann.

Kinder habe die Gabe alles sein zu können, was sie wollen und wir -die großen Leute- müssen ihnen einfach nur zuhören. Ihnen ihre Fragen beantworten und ihnen die Möglichkeit geben, sich mit dem zu beschäftigen, was sie interessiert. Ihnen aber auch die Möglichkeiten bieten, herauszufinden, was sie interessiert.

Wieso können sie nicht einfach das sein, was sie sind?

Kinder.

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Geschrieben von

luzieh.fair

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luzieh.fair

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