Die Polizei, dein Freund und Helfer? Angesichts des Polizeigesetzes, das im Mai in Bayern verabschiedet werden soll, scheint man sich von diesem Credo gerade zu verabschieden. Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünen, warnt vor der Gefahr, die dadurch für die Grundrechte entsteht.
der Freitag: Frau Mihalic, Sie waren Polizistin und haben in NRW Ihre Ausbildung gemacht. Dort kursiert ein Entwurf für ein neues Polizei-Leitbild, das auf mehr Härte setzt.
Irene Mihalic: Ich bin mir sicher, dass es nicht dem Selbstverständnis der Polizei NRW entsprechen kann, eine formulierte Abkehr von Bürgernähe, Deeskalation und Kommunikation zu praktizieren. Im Übrigen kann ich mir nicht erklären, wozu ein solches Leitbild, in dem von „robustem Au
ich mir nicht erklären, wozu ein solches Leitbild, in dem von „robustem Auftreten“ und ähnlichen Schlagwörtern die Rede ist, dienen soll. Damit suggerieren die Autoren, dass die Polizei NRW bisher nicht konsequent eingeschritten ist, wenn sie Gewalt und anderes gesetzwidriges Verhalten festgestellt hat. So etwas würde ich mir als Polizistin nicht nachsagen lassen wollen.Die Autoren behaupten, die Polizei brauche für ihre Einsätze eine schärfere Leitlinie.Dieses ganze Getöse um ein neues Leitbild ist nur ein Placebo, um von den teilweise sehr schlechten Arbeitsbedingungen politisch abzulenken. Die Polizei NRW braucht kein neues Leitbild, um ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen, sondern genügend Personal und eine professionelle Ausstattung.Placeholder infobox-1Spiegelt sich in solchen Forderungen die Angst vor polizeilich unkontrollierbarem Chaos?G20 hat gezeigt, wie ein Polizeieinsatz, der einseitig auf Härte setzt, schiefgehen kann. Dabei ist wissenschaftlich sowie in der Praxis längst erwiesen, welche Strategien tatsächlich verhindern, dass Situationen polizeilich nicht mehr zu kontrollieren sind.Wie sehen diese Strategien aus?Kommunikation ist in der polizeilichen Arbeit extrem wichtig. Polizeieinsätze im Zusammenhang mit Versammlungen können davon profitieren, wenn die Teilnehmer und Teilnehmerinnen das polizeiliche Vorgehen verstehen. Das gilt übrigens auch für die Einsatzkräfte, die jederzeit wissen sollten, warum sie was tun sollen. Eine kluge, auf Deeskalition setzende und konsequente Einsatzstrategie kann dabei helfen, Verletzungen und Schäden auf allen Seiten weitestgehend zu vermeiden und so letztlich zum Erfolg führen. Der 1. Mai in Berlin kann hier durchaus als positives Beispiel gelten.Verbirgt sich hinter der Debatte um polizeiliche Strategien die Sorge um staatliche Ordnungsmechanismen?Die Polizei ist nicht dazu da, gesellschaftliche oder politisch verursachte Probleme zu lösen. Das Durchsetzen von Regeln mit polizeilichen Mitteln ist kein Politikersatz.Die CSU will in Bayern ein Polizeigesetz verabschieden, mit umfassenden Kontrollbefugnissen, auch bei der Überwachung ohne konkreten Verdacht.Staatliche Überwachung muss Grenzen haben, sonst können die Grundrechte ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag klagt bereits gegen das „Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen“ und hat schon angekündigt, wenn nötig auch gegen das neue Polizeigesetz klagen zu wollen.Wo sehen Sie das größte Risiko im Hinblick auf die Einhaltung der Grundrechte?Besonders problematisch ist, dass umfassende Überwachung schon bei einer „drohenden Gefahr“ möglich sein soll. Gefahren drohen überall und gehören zum allgemeinen Lebensrisiko. Deshalb waren polizeiliche Eingriffe bisher stets an genau bestimmbare Anlässe geknüpft, um ganz konkrete Gefahrensituationen zu beseitigen. Eine Abkehr von diesem Grundsatz führt zwangsläufig ins Uferlose.Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht, dass man „Zonen unterschiedlicher Sicherheit in Deutschland“ vermeiden will. Horst Seehofer ist Bundesinnenminister, muss sich bald die ganze Republik auf bayrische Verhältnisse einstellen?Die Erzählung von der unterschiedlichen Sicherheit in Deutschland teile ich so nicht. Im Föderalismus kann es durchaus unterschiedliche Antworten auf die Frage geben, was für die Innere Sicherheit notwendig ist. Die Große Koalition erweckt damit außerdem den Eindruck, dass die Gewährleistung von Sicherheit an möglichst weitreichende polizeiliche Eingriffsbefugnisse geknüpft ist. Damit macht sie Sicherheitsprobleme, die aufgrund von sozialen Konflikten oder durch politisches Versagen entstanden sind, zu einem rein polizeilichen Problem. Das hat mit verantwortungsbewusstem politischen Handeln nichts zu tun.Wie sieht es mit der Beziehung von Bürgerinnen und Bürgern zur Polizei aus? Droht da eine Verschlechterung?Historisch betrachtet ist das Verhältnis zur Polizei heute vielfach entspannter als früher. Da wurde viel erreicht. Andererseits ist das ein stetiger Prozess, an dem kontinuierlich gearbeitet werden muss. Umso bedauerlicher wäre es, wenn das Verhältnis zwischen den Bürgern und Bürgerinnen und ihrer Polizei durch krude Leitbilddebatten oder grundrechtsaushöhlende Gesetzesänderungen beschädigt würde.In NRW hat die schwarz-gelbe Landesregierung die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte im Einsatz abgeschafft.Die Kennzeichnungspflicht dient dazu, eine spätere Überprüfung polizeilicher Maßnahmen zu erleichtern. Überprüfbarkeit ist dabei eine wichtige Garantie des Rechtsstaates und im Verwaltungsverfahren im Übrigen auch allgemein üblich. Die Umkehr in NRW finde ich daher falsch.Aber der Schritt passt zu einer Polizei, die auf Stärke statt auf Beschwichtigung setzt.Mit Stärke der Polizei hat das nichts zu tun. Ganz im Gegenteil. Eine professionell agierende Polizei beweist ihre Stärke durch die selbstbewusste und persönliche Übernahme von Verantwortung für ihre Arbeit und muss eine rechtsstaatliche Überprüfbarkeit in keiner Weise fürchten.Placeholder link-1