Ein Blick zurück: Im April 2003 bekam Sir Peter Ustinov in der Titanic eins übergebraten. Der Schauspieler hatte seine pazifistischen Thesen im Rahmen eines Exklusivinterviews "ausgerechnet" (Titanic) Gerhard Freys National-Zeitung anvertraut. Zu Recht beklagte die Satirezeitschrift, Ustinov sei hier "völkischen ‚Pazifisten‘" auf den Leim gegangen. So weit, so überraschungsfrei. Bemerkenswert wurde die Kritik nur dadurch, dass bereits im Juni 2002 ausgerechnet der Titanic-Mitbegründer Eckhard Henscheid der rechtsnationalen Jungen Freiheit unter der Überschrift "Ganz große Gaunerei" seine Meinung zum Thema Walser, Bubis, Schirrmacher, in einem Interview zum besten gegeben hatte.
Seit den späten neunziger Jahren war Henscheid durch sporadische Ausfälle aufgefallen, die man als tendenziell antisemitisch bezeichnen konnte. Oft, so wollte man als Verehrer sich einreden, war’s ohne böse Absicht, sondern Teil des großen Rundumschlags, den er beherrschte wie kein zweiter; auch konnte man seine wiederholte Parteinahme für Martin Walser gegen etwa Ignatz Bubis mit viel gutem Willen deuten als eine werweißwie motivierte "Idiosynkrasie gegen Ignatz Bubis" (Konkret). Allein, es nutzte nichts: Einer der besten Schriftsteller des Landes, ein begnadeter Humorist und brillanter Satiriker, ein liebenswerter Mensch verwandelte sich beim Thema Juden in ein Kinderakkordeon – egal, wie man ihn drückte, es kam immer derselbe Ton.
Manch einem wurde das bald zu viel. Sehr erwartbar inszenierte Henscheid sich - na klar, im Namen der Meinungsfreiheit - 2006 in der JF als Opfer der politischen Korrektheit. Nun also hat es ihn wieder gepackt. In der JF vom 4. September hat er über die anstehende Wahl und die Bundeskanzlerin einen Kübel Spott ausgeschüttet, diesmal nicht in Form eines Interviews, sondern als Artikel, wie er so (oder besser, so ähnlich) auch in der Titanic hätte stehen können. Da geht es um die unerträgliche Belanglosigkeit und Ödheit des Wahlkampfes (stimmt), um die "Augenpein" der Merkel'schen Hosenanzüge (stimmt zwar auch, aber was soll das?), den Unsinn, den sie so von sich gibt (wohl wahr) und so weiter. Business as usual, also?
Nun, nicht ganz. Henscheid weiß die besonderen Akzente, die die Macher und Leser der JF von ihm offenbar wünschen, subtil zu setzen. Da wird apropos of nothing noch mal Martin Hohmanns "eigentlich ziemlich tadelsfreier" Satz über Täter- und Opfervölker aus dem Hut gezogen, der ihn die politische Karriere gekostet habe; beklagt wird Merkels gewiss sprücheklopfender Auftritt in Yad Vaschem ("Ich bin tief beeindruckt und auch im Namen Deutschlands mit tiefer Scham erfüllt"); sowie ihre wortklingelnd an Benedikt XVI. gerichtete Aufforderung: "Es geht darum, daß von seiten des Papstes sehr eindeutig festgestellt wird, daß es natürlich einen positiven Umgang mit dem Judentum insgesamt geben muß" (alle Zitate nach EH); zuletzt sei noch die von Henscheid genüsslich ausgebreitete Petitesse genannt, dass Brandt seine Kanzlerschaft nur der NPD zu verdanken habe, da sie die entscheidenden Stimmen der CDU entzogen habe.
Henscheid ist viel zu professionell, um nicht zu wissen und damit zu billigen, wie begeistert diese Zungenschläge von den Lesern der JF aufgenommen werden. Er konnte sich stets dem jeweiligen Publikum anpassen: Titanic war immer etwas anderes als etwa die FAZ, wie man heute noch bei anderen Künstlern der Neuen Frankfurter Schule (NFS) beobachten kann. Henscheids Text in der JF ist natürlich genau so fein formuliert, dass er ausschließlich als Kritik an Sprache und Ästhetik Merkels verstanden werden kann, nicht als Kritik am Inhalt ihrer Worte. Auch als Kritik am Verfall der Demokratie, nicht an der Demokratie selbst. Man kann ihn aber auch anders lesen, und da ist auf die Leserschaft der JF Verlass.
Abgesehen von dieser erfreulichen Doppeldeutigkeit ist für die Macher der JF, so darf man annehmen, der Inhalt von Henscheids Artikel völlig belanglos. Entscheidend ist das Renommee, das Henscheid dem weitgehend marginalisierten, nun ja, Intelligenzblatt der Rechten verleiht. Seine Biographie als Satiriker und Schriftsteller, die Bibliographie und die von der JF gern genannten Referenzen (Zweitausendeins! Titanic! FAZ!! Konkret!!!) – all das macht die Rechten scharf, die nur zu gerne in diese diskursiven Zusammenhänge eindringen und sich aus ihnen bedienen wollen. Henscheid hätte auch in epischer Breite das Offenbacher Telefonbuch zitieren können, und die JF hätte es gedruckt.
Es gehört zur Tragik dieses großen Künstlers, dass er sich dafür hergibt, sei’s politisch billigend, sei’s in eitler Verblendung. Hat er denn niemanden mehr, der ihm rettend in den Arm fällt? Um hier noch mal auf den ohne Not geschmähten Peter Ustinov zurückzukommen: Als die Titanic die Rubrik "Die 7 peinlichsten Persönlichkeiten" einstellte, erschien 1990 ein Sammelband, in dessen Vorwort Bernd Eilert zahlreiche Methoden der Peinlichkeit auflistete. Eine davon passt zur Haltung von Henscheids Freunden wie hineingemalt: "... viel Lärm, wenn es um nichts geht, betretenes Schweigen, wenn es darauf ankäme zu widersprechen ... Peinlich, oh so peinlich sein."
Marc Fabian Erdl studierte Wirtschaftswissenschaften, Germanistik und Berufspädagogik. Er arbeitet als Berufsschullehrer in Köln. 2004 erschien sein Buch Die Legende von der Politischen Korrektheit. Zur Erfolgsgeschichte eines importierten Mythos im Transcript-Verlag.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.