Wie vielfältig die griechische Poesie ist, zeigt der schmale Band Kleine Tiere zum Schlachten aus dem Kölner Verlag parasitenpresse, der im Jahr 2000 von Adrian Kasnitz und Wassiliki Knithaki gegründet wurde. Die Zeiten der Krise, der Alltag ist grau, die Texte sind politisch, feministisch. In den versammelten Gedichten sind aber auch eine Energie und ein ästhetischer Aufbruch zu spüren.
der Freitag: Seit der Krise ist das Interesse an kultureller Produktion in Griechenland groß – die Documenta 14 war ein Höhepunkt. Dabei schwingt das Versprechen mit, dass durch gesellschaftlichen Aufruhr neue Möglichkeitsräume für die Kunst entstehen. Bei parasitenpresse erscheint nun die erste deutschsprachige Anthologie zeitgenössischer griechischer Poesie. Ist in diesem Feld der Zusammenhang von Krise und künstlerischem Aufbruch auch zu erkennen?
Adrian Kasnitz: Die Krise mag da mit reinspielen. Viel wichtiger ist, dass in Griechenland ein ästhetischer Aufbruch in verschiedenen künstlerischen Sparten zu spüren ist. Am deutlichsten ist dies im griechischen Film – man denke an Filme wie Dogtooth von Giorgos Lanthimos oder Attenberg von Athina Tsangari. Da gibt es plötzlich eine neue Generation, die griechisches Kino auf einem internationalen Niveau macht. In der Poesie ist das vielleicht vergleichbar. Da hat sich eine Generation entwickelt, die nicht nur an der griechischen Tradition hängt. Klar, die Einflüsse der Tradition sind da – es gibt die antike Tradition sowie viele griechische Nobelpreisträger. Doch diese neue Generation setzt sich viel stärker mit Texten auseinander, mit denen wir uns auch hier beschäftigen. Das hat vielleicht mit Krise zu tun, in dem Sinn, dass das Alte aufbricht und neue Freiräume besetzt werden können. Aber ich sehe es viel positiver, ich glaube, dass die Öffnung zum einen mit der größeren Rezeption von Übersetzungen internationaler Literatur in Griechenland zusammenhängt und zum anderen mit der Intensivierung internationaler Vernetzung der Dichterszene.
Zur Person
Adrian Kasnitz, geboren 1974 im Ermland, lebt in Köln. Seine Texte wurden unter anderem mit dem Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium ausgezeichnet, in über zehn Sprachen übersetzt, vertont und verfilmt. Kasnitz ist Mitgründer des Lyrikverlags parasitenpresse
Foto: Privat
Ihr sprecht in eurem Nachtwort von einer neuen Dichterszene, die sich organisiert – in kollektiven Blogs wie „Greek Poetry Now“ oder Zeitschriften wie „Teflon“ und „FMRK“. Wie lässt sich diese Szene beschreiben?
Diese Zeitschriften sind wichtiges Ausdrucksmedium für die Szene. Teflon ist mittlerweile auch ein Verlag, wo viele dieser Autoren und Autorinnen veröffentlichen. Ihre Ansätze allerdings sind sehr unterschiedlich. Was vielleicht von Deutschland aus gesehen auffällig ist, dass es viele dystopische Texte gibt. Die Texte scheinen – wenn auch nicht immer direkt – von der Krise und der Stimmung der Unsicherheit beeinflusst zu sein. Das wird auch durch die Fotos aus den Athener Straßen verstärkt, die die Mitherausgeberin Wassiliki Knithaki reingebracht hat, um die griechische Graffiti-Szene vorzustellen. Die wirken sicherlich düster und bedrohlich. Ich denke, dass man hier in Deutschland über diese bedrückende Stimmung stolpern könnte und man sich fragt, was hier eigentlich vorgeht.
Das war auch mein Eindruck – dafür, dass die Poesie das Medium der Verliebten ist, kommt erstaunlich wenig Eros im Gedichtband vor. Insgesamt häufen sich mehr surreale und nihilistische Momente.
Wir haben da versucht zu mischen, um nicht so ein düsteres Buch zu machen. Teilweise haben wir sehr politische Texte in der Anthologie, wie zum Beispiel von Jazra Khaleed oder Lenia Safiropoulou, die sich explizit mit der Flüchtlingsthematik auseinandersetzen. Dann haben wir auch poetische Texte ausgesucht, wie zum Beispiel das Gedicht Wolken von Phoebe Giannisi. Man kann vieles auch feministisch lesen. Wir haben viele weibliche Autoren reingenommen, die feministische Ansätze haben und sich mit Macht und Gewalt in Alltagsbeziehungen beschäftigen. Das Abtreibungsgedicht von Pavlina Marvin ist so ein Beispiel. Aber der Band fängt mit Die Füchsin von Katerina Iliopoulou an, das als eine Art Liebesgedicht einer Frau gelesen werden kann.
Die Füchsin
Im Scheinwerferkegel erschien sie
Eine kleine braune Füchsin
Überquerte die Straße.
Und dann in der nächsten Nacht
Huschte sie ins Gebüsch.
Und ein anderes Mal bürstete nur
Ihr Schwanz die Dunkelheit.
Und seitdem
Berührten ihre Pfoten deine Sicht
Jagte ihr warmer pelziger Körper
Zwischen und dahin.
Lief ständig, stand niemals still.
„Aber wer bist du?“, fragten wir sie.
„Ich bin“, sagte sie, „was übrig bleibt.“
Wie seid ihr bei der Auswahl der Autoren und Autorinnen vorgegangen?
Es gibt eben diese Plattform Greek Poetry Now, da haben sich 20 Dichter und Dichterinnen dieser Generation zusammengefunden, die ihre Texte auf Griechisch und auf Englisch online veröffentlichen. Dieser Kreis diente uns zur Orientierung. Da sind Leute dabei, die bereits bekannt und vernetzt sind, wie zum Beispiel Katerina Iliopoulou oder Orfeas Apergis. Im Englischen sind schon zwei Anthologien zeitgenössischer griechischer Dichter veröffentlicht: Austerity Measures, bei Penguin erschienen, und Futures, eine Anthologie der politischen Dichtung, herausgegeben vom Dichter Theodoros Chiotis. Uns haben aber die jungen Leute aus den 1980er-Jahrgängen gefehlt. Dafür haben wir uns selbst auf die Suche gemacht und auf unseren Griechenlandreisen eigene neue Autoren und Autorinnen entdeckt, wie Tonia Kosmadaki oder auch Christos Koukis.
Die Übersetzung von Lyrik ist immer eine Herausforderung. Ich finde die Sprache der Gedichte erstaunlich nüchtern, dafür, dass die griechische Lyrik sehr ornamental sein kann. Wie ist es euch bei der Übersetzung ergangen?
Wir wollten nicht so eine dieser Übersetzungen machen, die dem Text zwar sehr treu sind, aber die eigentliche Stimmung verfehlen. Ich bin selbst Dichter und habe versucht, neue Gedichte in der Ankunftssprache zu schaffen. Das Greek-Poetry-Now-Forum hatte uns angeboten, ihre englischen Übersetzungen zu verwenden. So haben wir viel mit den bereits bestehenden englischen Übersetzungen gearbeitet, daraus auf Deutsch übersetzt und dann mit dem Griechischen gegengecheckt. Aber die Texte arbeiten wirklich nicht viel mit Sprachspiel. Vieles ist in einem berichtenden Stil gehalten, teilweise sind es schon dokumentarische Texte.
Oktober
Bei unserer ersten Begegnung
Nahmst du mich mit nach Exarchia
Wo sie ihn erschossen haben.
Vertrocknete Nelken und Graffiti
Ein Baum mit rosa Granatäpfeln
Wir trafen deinen Vater in der Straße
Vor seinem Geschäft. Ein Loch in der Wand,
Verborgen, während sie randalieren und Athen zerstören
Er erinnerte sich daran, wie Asimos ein Rad
Die Straße herunterrollte, damals in den 70ern.
Der Irre, lachte er.
Der Titel „Kleine Tiere zum Schlachten“ stammt von einem Gedicht von Orfeas Apergis. Wieso dieser Titel?
Die dystopische Stimmung des Buches hat mich dazu verleitet. Ich denke da auch an das Coverbild der Anthologie: diese endlose Athener Betonwüste, in der die Menschen wie Miniaturen erscheinen. Sie sind kleine Tiere, deren Schicksale von wenigen Mächtigen entschieden werden. Kleine Tiere, die gemolken oder geschlachtet werden können. In dem Gedicht von Orfeas Apergis ist davon die Rede, dass ein Opfer gebracht werden muss. So wie die einfachen kleinen Leute, die gerade die Leidtragenden in dieser Krise sind, geopfert werden.
Info
Kleine Tiere zum Schlachten – Neue Gedichte aus Griechenland Wassiliki Knithaki, Adrian Kasnitz (Hg.), parasitenpresse 2017, 116 S., 15 €
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