Alles Weitere ist offen

Milena Von der Verweigerung zum Punk zum Ich

Du wirst meine Stimme nicht erkennen, nicht mal meine Mutter hat sie in einer Aufnahme erkannt. Ich singe nicht, ich schreie." Kaum zu glauben, dass sie so extrem auftreten und sich entäußern kann, denn sie wirkt eher gefasst, sogar nüchtern. Milena spielt E-Gitarre und singt in der Berliner Punkband Allee der Kosmonauten. Es sind ihre Texte. Die Musik entsteht gemeinsam bei den Proben.

Die Allee der Kosmonauten gibt es in Berlin-Marzahn, eine endlos lange Straße an Neubauten entlang. Den Namen fanden die vier Band-Mitglieder cool, eine kleine Extravaganz, weil es in der Punkszene eigentlich als uncool gilt, sich keinen englischen Namen zu geben. Ihnen gefiel der Kontrast zwischen der hässlichen Straße und ihrem "irgendwie romantischen Namen", wie sie ihn empfinden. Seit fünf Jahre ist Milena schon dabei. In diesen Wochen entsteht die erste LP der Band. Sie bleiben bei den schwarzen Schallplatten.

Das große Rätsel war Milenas Entscheidung, kein Abitur zu machen. Zwei Jahre vor dem Datum. Ihrem Vater, einem Filmregisseur und Emigranten aus Jugoslawien, gingen die Argumente aus. Ließ seine Tochter nicht eine Tür zufallen, hinter der ungekannte Möglichkeiten warteten? Ihr Bruder verstand sie nicht: Sie macht es doch mit links, ihr fliegt es zu! Ihre Mutter Maca, die weiterhin in Belgrad lebt, und Freunde der Familie akzeptierten ihre Entscheidung: Da würden sie ihr nicht reinreden, sie hätten Vertrauen zu ihr. Vielleicht trösteten sie sich mit der eigenen Toleranz, die auch Resignation war. Niemand konnte Milena abbringen von ihrem Plan: Sie wird jetzt Punkmusik machen. Alles Weitere ist offen.

Sie schien einem inneren Leitfaden zu folgen, der für sie sicher war: Musik machen, von früh bis spät, mit Haut und Haar, herumfahren und Menschen kennen lernen. Sich aussetzen. Das Leben nicht in der Schule verpassen, die sie unterforderte und lähmte. Sie war damals und ist auch heute überzeugt, dass sie ohne Schule besser lernen könne, was sie braucht oder interessiert. Mit einem Minimum überleben und Musik machen, die nie kommerziell werden soll, ist ihr Ideal. Das "arbeitswahnsinnige Dasein" lehnt sie ab, wie sie es bei ihrem Vater beobachtet. "Ich verstehe, dass er es muss, aber ich will eine andere Möglichkeit für mein Leben finden, als mich tot zu ackern. So wäre es, wenn ich mich entscheiden würde, ich werde Musikerin und will davon auch leben. Dieses Künstlerdasein und für seine Kunst kämpfen - das ist nicht mein Ding. Dann verdiene ich lieber mein Geld mit etwas anderem und mache meine Kunst nebenbei."

Was aber lehnt sie am "normalen Leben" so sehr ab? Darauf antwortet Milena überraschend: Alles. "Ich habe alles verabscheut, von dem Tag, an dem ich die ersten Schritte aus der Familie hinaus in die Gesellschaft getan habe, im Kindergarten, noch in Jugoslawien. Ich fand die Kinder schlimm und die Erzieherinnen: Wie sie miteinander umgingen, immer Wettkampf zwischen den Kindern, ihre Aggression, Brutalität. Und die Kommunikation stimmte von vorn bis hinten nicht, was ich immer noch finde, bei den meisten Menschen, auch bei mir selbst. Mich hat das Verhalten komplett gestört oder verstört. Autorität kannte ich von zu Hause nicht."

Als der Vater mit ihr und ihrem Bruder nach Berlin kam, war sie acht. Eine nationalistische, selbstzerstörerische Politik ergriff gerade die Massen in Jugoslawien. Milena hat damals in der neuen Umgebung keine Besserung gesehen, obwohl die Lehrer in der Grundschule weniger autoritär als in Belgrad waren. Die Kinder aber fand sie genauso schlimm.

Sie war kein "geprügeltes Schulkind", und vielleicht sah niemand, dass sie Angst fühlte, vor allem, als sie noch nicht gut Deutsch konnte. "Es hat lange gedauert, bis ich die Angst überwunden habe. Ich habe sie immer noch, jetzt weniger. Aber man merkt es nicht, ich bin nicht so offensichtlich ängstlich. Ich habe es schon als Kind versteckt, das ist ein bisschen mein Charakter. Auch als ich klein war, bin ich nachts, wenn ich Angst hatte, aufgestanden und habe unters Bett und unter den Tisch geguckt und habe mir selbst gesagt, dass alles Blödsinn ist."

Ihre Freunde fanden ihre Entscheidungen gegen die Schule und für die Punkmusik absolut in Ordnung. Einer sagte es so: "Milena ist stark. Sie weiß, was sie will. Sie geht nie unter, da braucht sich niemand Sorgen zu machen, sie geht ihren Weg."

Sie lacht und sagt: "Ich mache den Eindruck, so stark zu sein. Aber der ist nicht richtig, ich weiß oft nicht, wo es lang geht." Eine solche Unsicherheit gibt sie wohl immer erst preis, wenn sie dabei ist, sie hinter sich zu lassen.


Punk öffnet Türen. Punk ist für mich die Möglichkeit, überallhin zu reisen. Mir fällt keine andere Szene ein, in der ich irgendwo weit weg auftauchen könnte, anklopfen und sagen: Du, ich kenne den und den, du kannst mir vertrauen, weil du dem vertraust, und ich schlafe bei dir die nächsten zehn Tage. Wenn ich das erzähle, sind die Leute total verwundert, dass so etwas geht. Vielleicht gab es das in der Hippie-Bewegung, von der sich Punks viel abgeguckt haben, obwohl sie die nicht abkönnen. Aber jetzt gibt es so ein Netzwerk nur im Punk. Und alles ist unkommerziell. Das ist überhaupt das Besondere. Es gibt natürlich auch kommerziellen Punk, aber was wir machen, ist komplett unkommerziell. Wir veranstalten Konzerte ohne Eintritt, kleben Plakate, wir kochen für Bands, alles umsonst. Die Bands kriegen Geld, aber nur für Benzin oder auch für ihre Tickets, wenn sie aus Südamerika oder den USA kommen. Niemand verdient daran, und die Leute sollen es für ganz wenig Geld genießen können."

Wenn sie und ihre Band auf Tour gehen, nehmen sie alles mit, von den Schlafsäcken bis zu den schweren Boxen und Verstärkern. Das Auto ist überfüllt, dazu zwei Hunde, es ist immer chaotisch. Aber die Atmosphäre im Auto ist entspannt. Die Fahrten sind weit, nach Skandinavien, Polen, Slowenien. Irgendwo kommen sie abends an, essen schnell etwas, tragen die Geräte rein und spielen.

Die Gastgeber müssen vegan kochen, Milena und andere in der Band sind nicht nur Vegetarier, wie viele Punks, sondern gehen weiter zur veganen Küche. Sie essen nicht nur keine Tiere, sondern nichts, was den Tieren durch Züchtung, die auch eine Form von Gewalt ist, entzogen wird. Keine Milch oder Butter, kein Ei.

Sie erzählt, bei ihr habe es schon viel früher, lange vor der Punkzeit angefangen. "Mit fünf habe ich zum ersten Mal gesagt, ich will kein Fleisch mehr essen. Mit zwölf war ich Vegetarierin. Vegan wurde ich mit 20." Aber wer würde vermuten, dass Punks, die sich in ihrem schroffen Auftreten gefallen, Fleisch ablehnen? Dass es eines ihrer Zeichen gegen das Gewalttätige in der Gesellschaft ist?" Das ist schwierig zu erklären und zu verstehen", räumt Milena ein, "Punk ist auch gewalttätig. Die ganze Szene ist von ihrem Ursprung her widersprüchlich - wild tanzen, ausrasten, brutal aussehen, es auch sein, kaputt machen. Zugleich ist Punk gegen Rassismus, gegen Ausgrenzung, gegen Militär, für die Verlierer."

In Polen war ihre Band zwei mal, und die Erlebnisse dort gehören zu den besten für Milena. Denn die Punks, die sie kennen lernten, bemühen sich, in der Nachbarschaft Kontakte zu knüpfen und kümmern sich oft um arme Kinder, erzählt sie. In Bialystok hat eine Gruppe junger Punks ein Fabrikgebäude für ihre Veranstaltungen besetzt und daneben ein kleines Haus für Kinder ausgebaut, die da Schularbeiten machen und essen können, was die Jungs für sie kochen. Deutsche Punks finden Kinder grundsätzlich blöd und interessieren sich nicht für die Nachbarn. In Polen seien sie wohl mehr darauf angewiesen, vermutet Milena: "Wir waren dort teilweise in superarmen Häusern von Familien, aus denen die Punks kamen. Sie waren so arm, wie man es sich hier gar nicht vorstellen kann, einfach eine andere Liga. Die beiden Söhne einer Familie studieren trotzdem, einer kommt regelmäßig nach Berlin, putzt Autoscheiben, um einen Englischkurs zu bezahlen."

Manchmal kommt bei ihr und ihren Freunden aus der Band auch Wut gegen ihr Publikum auf: Arbeiten sie sich nicht tot für faule Konsumenten? Die sich besaufen, ein Fan-Shirt kaufen und nur an der Party interessiert sind? Aber immer wieder lernen sie unter Punks die tollsten Leute kennen, sagt Milena. Wie zum Beweis hängt bei ihr ein großes Foto von ihrer Band und polnischen Punkern, die den Blick immer wieder anziehen. Milena empfindet sich mit ihren 23 Jahren inzwischen als die Ältere, vielleicht nicht bewusst, eher verrät es die Sprache: "Auf Tour kommen manchmal junge Leute, die Köpfchen und noch total viel Kraft haben und alles noch verändern wollen, dann lasse ich mich immer wieder begeistern. Wenn ich gerade die vielen Prolls sah und dachte, warum bin ich nur in der Szene, dann kommt plötzlich so ein Wunder - ein Wundermensch. Das motiviert mich wieder."

Als sie von sechs jungen Leuten hört, die in den Irak fahren, um dort in einer kleinen Stadt eine Ambulanz auszubauen, sagt sie heftig: "Das täte ich auch gern." Das Vorhaben imponiert ihr. Später, beim Lesen ihrer Gedichte, begreife ich erst, wie mächtig der Traum ist, authentische Erfahrungen zu machen.

NATO FACTO

Isolationshaft,
Dann Irrenanstalt,
Geschlossene Abteilung,
Freizeitraum mit Fernseher,
Am Himmel Feuerwerk,
Hin ist die Chemiefabrik
Kommt jetzt Freude auf
Oder Trauer?

Ach hätte ich
Die Flieger gern selbst gesehen
Und mein Gesicht
In eine Ölpfütze getaucht.
Nur Zigaretten und Kaffee
Zum nicht sterben.
Augenringe
Pechschwarz
Im Sonderangebot
Alles andere Spione
Oder Vaterlandsverräter
ALLE gegen DU.

Ach hätte ich
Die Flieger gern selbst gesehen
Dann wäre ich
Wenigstens nicht ALLE
Sondern ein DU.

Aus ihren Gedichten macht sie keine Lieder. Deutsche Texte - findet sie - eignen sich nicht für Punkmusik. Englisch habe einen anderen Klang, der passe besser. Milena und ihre Freunde haben Englisch wie durch Osmose in sich aufgenommen, über Musik, beim Reisen, mit Freunden. Ihre Weltsprache. Milena hält Englisch für direkter, leichter, moderner, weil die Sprache offen für Slang sei. In ihr könne sie einfache Dinge einfach sagen, ohne dass sie blöd klingen.

Vielleicht sind die englischen Wörter für sie unbelastet von eigenen Emotionen, die für sie in den deutschen Wörtern stecken Vielleicht sind sie nicht mit doppeltem Sinn aufgeladen. Es ist komplizierter, denn sie spricht ja auch Serbisch, sie ist nun wirklich dreisprachig, was ihr nichts Exklusives zu sein scheint, eher eine der heutigen Selbstverständlichkeiten.

Als sie mit 18 aus der Vaterwohnung auszog, ging sie in ein besetztes Hause und blieb ein paar Jahre. Dieses ständig umkämpfte Haus war voller Leute. Es war aufregend und auch anstrengend. Milena gehörte zum festen Stamm, übernahm einen Teil der Verantwortung für die fluktuierende und chaotische Gemeinschaft. In den Hausversammlungen wurde ihre Meinung ernst genommen. Sie hat da etwas gelernt, was unter dem Begriff soziale Kompetenz heute immer häufiger als wichtige Voraussetzung im Berufsleben gefordert wird. Aber sie selbst würde ihre erworbenen Kenntnisse auf keinen Fall im Sinne der Verwertbarkeit buchen. Es sind ihre absichtslos gesammelten Erfahrungen, die von Berechnung rein bleiben sollen. Einfach ein wichtiger Teil ihres Lebens.

Jetzt wohnt sie mit einem Freund aus der Band zusammen, nicht ihrem eigentlichen Freund Thomas, ihrer Liebe. "Manche Freundinnen wundern sich, mit wie vielen Männern ich zusammen bin, in der Band, auf Touren, in der Wohnung. Hast du mit denen was? - wollen sie wissen und können kaum glauben, dass es echte Freundschaften sind. Bei Männern ist es mir wichtig, dass sie nicht nur flirten, sondern wirklich mit mir zusammen sein wollen, mit mir als Mensch."

Im schneereichen Winter des Vorjahres hat sich Milena für vier Wochen in ein fast verlassenes Dorf in Istrien abgesetzt. Niemand durfte mit. Es gab dort kaum Menschen. Das Haus hatte sie für sich. "Jeder Mensch muss einmal im Jahr allein sein", verkündete sie. Es war der absolute Gegensatz zu ihrem turbulenten Alltag. In der Einsamkeit dort hat sie sich von allem gelöst. Raus, alles weg, isoliert sein - das war ihr das Wichtigste. Lange Wanderungen hat sie gemacht und so in einer gewissen Askese Kraft gesammelt. Meditieren hingegen habe sie noch nie gereizt, erklärt sie. "Das ist Hippie, ich bin Punk. Eso mag ich nicht, bin eher so realistisch."

In diesem Winter gab es keine solche Reise. Von einem Tag zum anderen hat sie sich in einer Schule angemeldet, in der sie das Abitur machen kann. Im Moment ist sie dort in der Probezeit. Eine Überraschung. "Ach", sagt sie lächelnd und wie immer ohne Aufregung, "eigentlich wusste ich, dass ich das irgendwann machen würde. Hab es hinausgezögert. Ich wusste auch nicht wozu. Vielleicht würde ich ja gar nicht studieren. Ich wollte versuchen, mein Leben auf einem eigenen Weg hinzukriegen, nicht so Schule - Studium - Job. Jetzt habe ich mich ziemlich plötzlich zum Abi entschlossen. Ich dachte: So geht es nicht weiter, immer rumjobben, mal was übersetzen, aber auch nicht richtig arbeiten, sondern so hin und her. Da ist es besser, Sprachen zu studieren, ein Examen zu machen und als Übersetzerin das Nötige zum Überleben zu verdienen."


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