Das lässt einen nicht los

Rostocker Schule Der Protest war symbolisch, aber die Erfahrung ist real - eine persönliche Bilanz der G 8-Tage

Franziska Wiegand aus Dortmund. Das Abi liegt ein Jahr zurück, für ein halbes Jahr war sie in Guatemala bei einem sozialen Dienst, zur Zeit ist sie in Berlin und bereitet sich auf ein Architekturstudium vor. Ihr Praktikum in einer Baufirma hat sie gerade beendet. Während der G 8-Proteste Anfang Juni kommunizieren wir über das Handy. Vier Wochen später zieht sie ihre Bilanz.


SMS 28.05. / 10:14

Ich bin im Zug nach Rostock. Es macht Spaß, wieder mit meinem Rucksack loszufahren. Ohne zu wissen, was kommt.


Ihr wart vielleicht überrascht, dass ich wirklich losgefahren bin, aber ich hatte Lust, mittendrin zu stecken, nicht nur zur Demo zu fahren und wieder nur jemand zu sein, der teilnimmt an etwas Organisiertem, sondern schon vorher anzupacken. Habe im Internet geguckt, wo in Rostock noch Hilfe gebraucht wird. Da war das Convergence-Center in einer leerstehende Schule.

Mittags kam ich in Rostock an. Bin am Zaun der Schule entlang und habe gedacht, sieht ja abgerockt aus. Aber die Erfahrung habe ich schon aus Guatemala, dass es nachher immer anders wird, als man zuerst denkt. Und vielleicht sucht man auch solche Situationen, in denen man sich ausprobiert.

Im Hof haben welche an Fahrrädern rumgeschraubt, die haben gar nicht hoch gesehen. Dann hat mich ein Mädchen zum Begrüßungspoint geschickt. Einer hat mir das Haus gezeigt, die Duschen, die Gemeinschaftsräume, ich habe meinen Schlafsack in einem Klassenzimmer abgelegt, sechs schliefen da, nach einer Woche waren es 30.

Nach außen aber war das Convergence-Center ziemlich in sich verschlossen. Im Internet stand, sie haben ein Café eingerichtet, wo sonntags die Anwohner hinkommen und sich informieren können, aber das gab es nicht. Das war auch kein Thema bei den Leuten in der Schule. Immer mehr Leute trafen ein, man hörte Russisch, Englisch, Spanisch, Italienisch. Jeden Morgen gab es ein Plenum. Ich half in der Küche und zimmerte im Camp Reddelich Bänke aus Brettern.


SMS 30.05. / 19:09

Fühle mich wohl in der Schule. Aber hier interessieren sie sich nicht besonders für die Demo und Aktionen in Rostock, nur für die Blockaden in Heiligendamm.


Es lag noch viel Material da, auch von Attac, eine Amerikanerin und ich haben es genommen und uns einer Block G 8-Gruppe aus Nürnberg angeschlossen. Die hatten einen Bulli mit Lautsprecher auf dem Dach und haben als einzige aus der Schule in Rostock für die Aktionen gegen den Gipfel geworben. Der Block G 8 hat sich ja als offenes Netzwerk für diesen Protest gebildet, ob das nun weiterbesteht, weiß ich nicht. Bei unseren Ständen habe ich versucht, den Leuten auf der Straße zu erklären, warum sie zur Demo kommen sollen. Viele meinen, es ist eh egal. Ich habe gesagt, man kann da seine Meinung ausdrücken, es soll ein Zeichen sein, und das wird umso größer, je mehr Menschen da sind.

In den zwei Wochen ist mir selbst immer klarer geworden, dass man als Einzelner doch zählt. Ein Einzelner kann wichtig sein und andere nachziehen.

Wenn wir mit dem Bulli unterwegs waren, wurden wir ständig von Polizei begleitet. Einmal sind wir, nachdem wir an zwei Schulen Material verteilt hatten, zum Imbiss gefahren. Die Nürnberger wollten ihren Wagen im Auge behalten, und ich dachte noch, jetzt übertreiben sie aber. Er stand um die Ecke. Als wir kamen, sahen wir am Auto zwei Männer, die durch die Scheiben guckten. Sie sind hastig los, die anderen hinter ihnen her, da sind die beiden irgendwie marschiert, die Ellbogen angewinkelt, hektisch, sie wollten offenbar nicht rennen, vielleicht hatten sie die Anweisung. Sie sind in ein Auto mit bayerischem Kennzeichen gestiegen - die Nürnberger meinten, die waren vom Verfassungsschutz. So ging es den ganzen Tag weiter. Wir stellten uns an einem Platz auf, Polizisten, Typen wie Bodybuilder mit rasiertem Kopf und Hosenträgern, hielten und haben immer wieder alle Papiere durchgesehen. Wir mussten den Stand abbrechen. Ein Polizeiauto ist uns gefolgt, hat sogar beim Bäcker auf uns gewartet. Wirklich ein Verfolgungsspielchen, ich hätte so was nie gedacht.

Dass ich schon eine Woche eher da war, war das Schöne. Ich habe Menschen kennen gelernt, die so anders denken als ich. Später habe ich mich immer gefreut, wenn ich bei den Aktionen Leute aus der Schule traf, mit denen ich vorher so viel geredet hatte. Wir haben dann auch über die Demo und über die Gewaltsache diskutiert, und wieder hatten sie eine ganz andere Einstellung dazu als ich.

Trotzdem sehe auch ich das nicht mehr ganz so wie vorher. Ich finde es nicht mehr ungeheuerlich, dass Scheiben im Hotel, wo die amerikanische Delegation saß, eingeschlagen wurden. Es hat für mich etwas Symbolhaftes. Das ist das, was mich verändert hat in den zwei Wochen: ich habe mitgekriegt, wie das Gefühl ist, wenn man deutliche Aktionen machen und eine Grenze überschreiten will.


SMS 2.6. / 18:43

Ziehe heute Abend mit Freundinnen aufs Camp um. Stimmung ist unten. Ich melde mich wieder.


Wir waren erschöpft nach der Demo, waren sauer auf die Steinewerfer, auf die Randale, die Polizei, fertig vom Hubschrauberkrach. Die Schule kam mir trist vor. Auf den Stufen saßen ein paar Leute und fragten: "Ach, ihr wart auf der Demo? Wie war´s denn so?" Die waren gar nicht mitgekommen, ich dachte, das kann nicht wahr sein. Wir sind mit dem Zug zum Camp Reddelich in der Nähe von Heiligendamm gefahren. Es hat angefangen zu regnen, wir haben die Zelte aufgebaut, jeder war mit sich beschäftigt, es war ganz still, schien mir.


SMS 3.6. / 21:52

Wir sind auf dem Konzert im Stadthafen. Wunderschönes Abendlicht. Gerade spielt die katalanische Ska-Band, die wir unbedingt hören wollten.


Am Montag wieder zur Demo nach Rostock: für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten. Zug war voller Leute aus dem Camp. Er hielt noch vor Rostock. Ersatzbusse kamen. An der ersten Kreuzung wartete eine Menge Polizei. Großes Gelächter: offensichtlicher konnten sie es nicht machen. Sie hatten uns alle im Bus in der Falle, und wir wussten nicht, was sie vorhaben. Wir mussten zur Kontrolle auf einen Parkplatz fahren. Der Busfahrer hat uns anschließend in der Nähe der Demo rausgelassen. Dadurch kamen wir von hinten durch die Polizei, eine Straße war voller Wasserwerfer, links und rechts diese hohen Tanks wie Panzer, so bedrohlich.

Und dann fing das an, dass eigentlich nichts anfing! Erst nach zwei Stunden durften wir endlich losziehen, aber nur 100 Meter, wieder ein Stopp. Die Stimmung war unglaublich ruhig und gelassen, vielleicht, weil wir im Camp und auf der Busfahrt zusammen gewachsen waren. Wir saßen auf dem Boden, wir hatten alle Hunger und teilten das Essen. Leute guckten aus dem Fenster. Die Polizisten wirkten vollkommen überflüssig. Sie standen direkt hinter uns, so weit man sehen konnte, eine dichte Kette an den Rändern. Ich durfte nicht zu einem Bäcker, der nur vier Meter entfernt war. Um mich waren viele schwarz angezogen, aber das war kein fester "schwarzer Block", und ich hatte nicht das Gefühl, dass ich da unter einem anderen Menschenschlag bin. Es ist an dem Tag kein Stein geflogen, dabei wurden wir eine ganze Weile neben Schienen festgehalten, wo Schotter lag. Uns kam es wie eine Aufforderung vor: Greift zu, tut uns was! Wir brauchen das!

Schließlich kam die Durchsage: Wir sollen Käppis, Kapuzen, Sonnenbrillen und Halstücher abnehmen, dann könnten wir vielleicht durch. Die meisten haben das auch getan, dann ging es wieder 100 Meter weiter. Nach vier Stunden die letzte Durchsage: Die Demo wird aufgelöst, weil zu viele Demonstranten und zu wenige Polizisten da sind.


SMS 4.6. / 17:08

In einer Stunde bin ich im Stadthafen, ohne Polizeibegleitung. Wir sind zu viele!!


Als ich dann abends mit vier Jungs auf dem Weg zum Bahnhof war, wurden wir wieder kontrolliert, mit der Begründung, es hätte Ausschreitungen auf der Demo gegeben. "Wo denn?", haben wir gefragt, "wir haben nichts gesehen." Der Polizist sagte: "Sie hatten nicht den Überblick." Ich meinte: "Das stimmt vielleicht. Wo waren denn Ausschreitungen?" Da antwortete er: "Na überall."

Ich habe im Camp ein Blockade-Training mitgemacht. Die Fünf-Finger-Strategie ist ein ganz einfaches System, es baut darauf auf, dass man eine Bezugsgruppe bildet mit Leuten, denen man vertraut. Wenn man auf eine Polizeikette stößt, spaltet man sich auseinander. Die Gruppen sind dann wie fünf Finger, die fünf Farben bekommen. In den Bezugsgruppen bildet man nochmals kleine Gruppen mindestens zu zweit. Wenn einer sagt, ich möchte jetzt aufhören, soll er nicht allein zurücklaufen müssen.

Wir haben geübt, durch eine Polizeikette durchzubrechen. Das fand ich das Unangenehmste von allem, denn es gehört zum System, dass einige von der Polizei festgehalten werden und dadurch die anderen durchkommen. Das heißt ja, dass in jedem Fall Leute eingefangen werden. Ich war entschlossen, nicht mitzugehen, hatte auch keine Gruppe, der ich mich zugehörig fühlte.

Am nächsten Morgen bin ich doch früh mit allen aufgestanden, die Farben für die "Finger" wurden bekannt gegeben, für mich galt Orange. Alle, die vom Camp Reddelich loslaufen wollten, waren eine Hand. Ich habe schnell eine Wasserflasche und meine Regenjacke eingepackt und bin einfach mit. Als wir eine Polizeisperre auf der Straße sahen, sind wir abgebogen in die Felder und hindurch gezogen, es war schön, ich dachte paar mal: Was machst du hier eigentlich? Aber ich wollte nicht zurück. Wir haben einen Bach überquert, einen Drahtzaun. Dann stießen wir auf die Schienen der Dampflokbahn Molly.

Oben stand eine lange Polizeikette, Mann an Mann, Helme mit Visier, Knüppel in der Hand. An einer Stelle ist eine Kuhherde auf sie zugerannt, die Polizisten sind im Gleichschritt ein Stück weggetrabt, wir mussten lachen. Aber da war diese Situation, die wir trainiert hatten. Da mussten wir nun durch.

Ich bin langsamer geworden. Die Mutigen sind vor, sie haben sich wirklich verprügeln lassen von den Polizisten, mit Schlagstöcken und Fäusten, ich habe gesehen, wie zwei Polizisten einen auf den Boden geworfen und sein Gesicht in den Schotter gedrückt haben. Zwei Französinnen und ich waren die letzten, wir haben uns einfach nicht getraut, auf die Polizisten zuzurennen. Wir wollten schon umkehren. Aber auf einmal war die Polizeikette weg. Wir stiegen hoch und sahen hinter den Gleisen, parallel zu ihnen, die Straße, die wir blockieren wollten. Rechts sahen wir eine Kreuzung, da waren einige Blockierer im Polizeikessel eingeschlossen. Wir hielten uns links, fanden dann alle unsere Leute. Wir waren ungefähr 500 Meter vom Zaun entfernt, haben uns eingereiht in die Blockade. Das war die Straße mit dem Tor an der Galopprennbahn.

Ein Polizeisprecher näherte sich, er bekam eine Mohnblume, die hielt er die ganze Zeit in der Hand. Mehrfach kamen Polizeitrupps angerannt, dann haben wir uns alle eingehakt. So ging das den ganzen Tag. Natürlich haben wir auch überlegt, warum werden wir nicht geräumt? Was ist hier los? Aber wir wussten, dass alle Straßen blockiert sind und sie den Transport nach Heiligendamm über See organisieren müssen. Am Abend haben wir abgestimmt: bleiben oder nicht. Ich war für Aufhören, hatte Angst, dass wir in der Nacht geräumt werden. An anderen Toren wurden Wasserwerfern eingesetzt. Aber als die Mehrheit für Bleiben war, bin ich nicht gegangen. Ich wollte nicht, dass wir auseinander fallen.


SMS 6.6. / 23:06

Es löst sich hier nichts auf, nach dem Motto: wir sind gekommen, um zu bleiben. Noch in guter Stimmung. Ich meld mich morgen.


Wir haben direkt dort geschlafen, in unsere Jacken und Erste-Hilfe-Folien gewickelt. Am nächsten Tag haben wir alle zwei Stunden abgestimmt, ob wir bleiben. Wir hörten, dass an anderen Toren hart geräumt wurde. Den ganzen Tag diskutierten wir über den Sinn unserer Aktion. Block G 8 hat endlich allen vorgeschlagen, noch eine Nacht durchzuhalten und am folgenden Morgen gemeinsam mit einer Demo nach Bad Doberan die Blockaden abzuschließen. Da war auch für mich klar, das ich endgültig bleibe.

Am Ende sind wir auf dem Platz am Rostocker Stadthafen eingezogen, wo eine Woche vorher die große Demo so bedrückt zu Ende gegangen war. Von allen blockierten Toren kamen sie, die Clowns waren auch dabei. Wir hatten unsere Transparente und Fahnen, es war heiß, wir waren müde und verschwitzt, aber ganz locker.


Vier Wochen später - das Ganze lässt einen nicht los. Weil diese zwei Wochen so intensiv waren. Eigentlich ist es eine Bewegung geworden. Für mich war das alles etwas Neues, eine andere Wirklichkeit, auch die Polizeikontrollen, aber vor allem, dass so viele Menschen gekommen sind, man hat sich zusammen gefunden. Es war wie ein Aufenthalt in einer anderen Welt. Man will eigentlich nicht, dass das so ganz aufhört.


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