Alles war anders als erwartet. Im Irak waren die 32 Reisenden aus Deutschland über die Ferne des Krieges verblüfft. Sie konnten in Bagdad kaum Vorbereitungen der Menschen auf die Gefahr beobachten, kein Horten von Lebensmitteln, keine Panik, keine Hektik, keine martialischen Bekenntnisse. Nur von den Kalaschnikows wurde gesprochen, die sich Männer zulegen, um ihr Haus zu verteidigen. Was sie sich dabei vorstellen, blieb unklar.
Die Reise der 32 nahm ihren Anfang in Weyhe bei Bremen. Aus Weyhe stammt auch Donald Rumsfeld, der US-Verteidigungsminister, der zum Krieg trommelt, wie es vielleicht zu einem alten deutschen Dragoner passen würde.
In Weyhe veranstaltet eine Friedensinitiative seit Monaten auf dem Marktplatz Mahnwachen gegen den Krieg, jeweils eine Stunde Debatte mit Passanten am Samstagvormittag. Zu ihrem Kern gehört der Ägypter Sabry Ibrahim, der hier im Reihenhaus nebst Garten mit Frau und seinen drei Kindern lebt. Sein Reisebüro aber musste er nach dem 11. September 2001 schließen. Die Reisen in arabische Länder, auf die er spezialisiert war, wurden storniert. Jetzt hat er einen Lehrauftrag an einer Bremer Hochschule für wirtschaftliche Entwicklung im arabischen Raum.
Der Plan zur Reise in den Irak entstand, um »rechtzeitig etwas gegen den Krieg zu tun, statt, wenn er da ist, zu weinen«. Den Satz höre ich Sabry Ibrahim immer wieder sagen, er wird ständig telefonisch um Erklärungen gebeten. Aus Weyhe fuhren sieben Teilnehmer mit, aus Bremen schlossen sich fünf an, die übrigen 20 kamen über das Internet aus dem ganzen Bundesgebiet dazu. Sie lernten sich erst am Flughafen Frankfurt kennen. Von dort waren es fünf Stunden bis Amman, dann Weiterflug nach Bagdad, tief in der Nacht die Ankunft.
Am Morgen danach stellen sich die Teilnehmer einander vor, ihre Motive, auch ihre Interessen und Wünsche. Das Antikriegsmotiv eint sie, die Kenntnisse allerdings sind sehr unterschiedlich. Auch Vorbehalte gegen den Islam sind manchmal nicht zu verbergen. Der Partner im Irak ist die »Organisation für Solidarität und Frieden mit den Völkern«. Die Teilnehmer können sich, wenn sie wollen, von der Gruppe trennen und allein losziehen.
Alle werden nach der Rückkehr bekunden, sie hätten im Irak keine Kriegsangst bemerkt. Wie kann das sein, angesichts des militärischen Aufmarschs rund um das Land? Sabry Ibrahim meint, die Iraker würden einfach keine Energie auf Kriegsangst verschwenden. Denn es sei unmöglich, sich auf diesen Krieg vorzubereiten. Einen Schutz gäbe es nicht, die geringe Sicherheit vor den ferngesteuerten Raketen in Bunkern sei seit 1991 bekannt.
Ob die Menschen vielleicht nicht im vollen Maß über die dramatischen Vorgänge informiert sind? Doch, meint Ibrahim, sie wüssten Bescheid, seien aber überzeugt, dass der Irak keinen Kriegsgrund liefere. Alle Gründe, die jetzt nacheinander genannt würden, betrachteten sie als Vorwände der Amerikaner. Ihnen sei klar, dass es um Öl geht, so deutet Ibrahim die vorherrschende Meinung. Sie rechneten noch immer damit, dass der Krieg aufhaltbar sei. Ihm sei oft die Auffassung begegnet, der »point of no return« sei noch nicht erreicht. Dabei spiele wahrscheinlich auch die Hoffnung auf ein Abtreten von Saddam und sein freiwilliges Exil eine Rolle - eine Möglichkeit, die Bush angeboten werden könne, sein »Gesicht zu wahren«.
Zugleich wüssten die Leute, glaubt Ibrahim, dass auch Saddam Hussein nur ein Vorwand sei. Falls er abtrete, würden die Amerikaner nach ihrer Logik wohl dennoch einmarschieren, um einen ihnen genehmen Präsidenten einzusetzen. Man werde einen Grund finden - und sei es ein humanitärer. Ihm scheine auch, so Ibrahims Eindruck, die Iraker würden Saddam nicht in dem Maße hassen, wie das von außen angenommen werde. Sie würden sich erinnern, dass sie unter ihm Wohlstand erlebten. Aber sein Terrorregime? entgegne ich. Seine Kriege gegen Iran und Kuwait? Er hat doch dem Volk des Irak die Misere des Krieges und Embargos eingebrockt! Saddam sei »nichts Besonderes«, erwidert darauf müde Ibrahim, »ein diktatorischer Präsident, wie andere auch. Die Präsidenten kommen und gehen, die Nation bleibt.«
Der erste Besuch in Bagdad gilt einer Kinderklinik. Die Gruppe hatte vor der Abreise 500 Kilogramm Medikamente gesammelt, die sie in Bagdad übergeben wollte. Auf dem Frankfurter Flughafen zeigte sich jedoch, dass auf der mitgeführten Liste zwei Medikamente standen, die unter das Embargo fielen. Vor Abflug das gesamte Gepäck noch einmal zu durchsuchen, war unmöglich, so blieb zunächst alles in Frankfurt. Freunde schickten die nicht unter das Embargo fallenden Arzneien später nach.
Berichte über die vielen, nach dem Einsatz von uranhaltiger Munition während des Krieges von 1991 an Krebs erkrankten Kinder, sind bis auf deutsche Fernsehschirme gelangt. Aber es ist noch etwas anderes, wenn die Türen zu den Krankenzimmern geöffnet werden, und in jedem Zimmer liegen acht Kinder, neben ihnen sitzen ihre Mütter, und die Ärzte sagen: keine Chance. Weder für Chemotherapie noch für die Diagnose haben sie die Geräte und Materialien. Die Medizin ist auf den Stand der dreißiger Jahre zurückgefallen.
Sabry Ibrahim ist nach einer gewissen Zeit hinunter gegangen, wartet im Eingang des Hospitals, erträgt es nicht mehr. Zu ihm gesellt sich ein Reiseteilnehmer, ihnen fällt auf der anderen Straßenseite eine Apotheke auf, die wirkt leer. Sie gehen hinüber, es gibt nichts zu kaufen. Mit seiner Hausapotheke hätte er dort ein Geschäft machen können, sagt Ibrahim.
Die Gruppe wird vom berühmten Tarik Asis empfangen, lange Jahre Außenminister des Irak, immer zur Spitze der Politik gehörend, nie vollkommen mit Saddam identifizierbar, jetzt sein Stellvertreter. Der deutschen Gruppe wird somit von irakischer Seite eine größere politische Bedeutung beigemessen, als sie erwartet hat. Asis zeigte sich überzeugt davon, dass der Irak nicht zu besetzen sei. Vor allem die Fünf-Millionen-Stadt Bagdad könnten die amerikanischen Streitkräfte nicht erobern. Die einzig mögliche Methode, sich der Metropole zu bemächtigen, sei, sie zu zerbomben. Das aber, so Asis, werde die arabische Welt nicht akzeptieren. Der Plan einer Langzeitbesetzung des Iraks sei ebenfalls ein Denkfehler. Soviel Geld hätten auch die USA nicht, um 25 Millionen Iraker mit ökonomischen Anreizen auf ihre Seite zu ziehen. Sei es nicht selbst in Afghanistan so, dass sich die US-Soldaten kaum in die Stadt Kabul wagten? fragte Asis.
Die Regierung würde jetzt daran gehen, das Volk zu bewaffnen. Zu seinen Gästen sagt er: »Sie werden sehen, die Menschen werden die Gewehre nicht gegen die Regierung richten, sondern gegen die Amerikaner.«
Aus Bremen ist auch Harm Dunkhase mitgereist. Er studierte Geschichte und Politik, ist jetzt Verwaltungsangestellter, sammelt unermüdlich Informationen über den Irak und die arabische Staatenwelt, um sich ein eigenes Bild unabhängig vom herrschenden zu verschaffen. Er fotografiert Menschen auf Märkten, bei Moscheen, in Läden, irgendwo auf ihren Reisestationen, und jedes Mal fragt er, ob sie damit einverstanden seien. Niemand verweigert sich. Oft sagen die Leute: »Zeig das bei euch. Dann wird man uns nicht bombardieren!« Sie ahnen, meint er, dass ein falsches Bild von ihnen umgehen müsse, sonst könnte man sie nicht so aushungern und so bedrohen.
Einmal scheucht ein Mann Kinder von der Gruppe weg, er hat sie für UN-Mitarbeiter gehalten. »Die Inspektoren werden als Spione angesehen, die der Irak auch noch selbst bezahlen müsse«, urteilt Harm. Seit 1996 seien aus dem Programm Oil for food, das eine begrenzte Ölausfuhr genehmigte, rund 50 Milliarden Dollar Einkünfte erzielt worden, von denen die USA 30 Milliarden als Kriegsentschädigung für sich und ihre Verbündeten einbehielten. 2,5 Milliarden seien für die UN-Kontrollen abgezweigt worden, so informiert sie der Vorsitzende der gastgebenden Organisation.
Die Reisegruppe fährt auch zu den Ausgrabungsstätten Babylons und in die schiitische Pilgerstätte Karbala, zum Grab Al Husseins, eines Enkels des Propheten. Sie wollen Irak als Kulturland begreifen. In Karbala lässt man sie in den Innenhof der Moschee, was Nicht-Muslimen selten erlaubt wird. Die Moschee selbst darf kein Fremder betreten. In den Gassen von Karbala, wo Datteln verkauft und Tee serviert wird, bestellt Harm bei einer Frau Tee, hockt sich auf den Boden und trinkt, ein Vorübergehender bezahlt für ihn und verschwindet in der Menge.
In Bagdad halten sich zeitgleich mit der Weyher Initiative zwei Friedensgruppen aus den USA auf, eine von ihnen Pink women, deren Vertreterinnen im Wechsel ständig am Ort sind, und eine portugiesische Gruppe. Zwei junge Türken treffen nach einem 16-tägigen Fußmarsch gerade in Bagdad ein. Sie wollen in der Stadt bleiben wie etwa tausend andere auch, die zu Friedensgruppen aus aller Welt gehören. Sie haben ihr Pläne für den Tag des möglichen Angriffs »Schutzschild« genannt, aber bislang geben sie davon öffentlich nichts preis.
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