Der Theatersaal ist voller Leute. Cohn-Bendit ruft: Tja, Luc Jochimsen, jetzt bist du nicht mehr unter Kollegen, jetzt bist du Politikerin! Keine Schonung mehr, mag es heißen. Sie aber will Cohn-Bendit nicht auf das Polemik-Terrain folgen, das er vom ersten Augenblick an betritt und - begleitet von seinem grünen Parteigenossen Werner Schulz - nicht mehr verlässt. Jochimsen betont das Gemeinsame. Florian Havemann appelliert: Nicht aufeinander einschlagen. Schon an den politischen Biografien scheitert das schöne Ziel. Ärgerlich greift Cohn-Bendit, der Veteran der Linken, in seinen Erfahrungsschatz: Haben wir alles schon probiert! Die Gegengesellschaft zu leben, hat viele Leute erschöpft, sogar kaputt gemacht. Die 35-Stunden-Woche wurde in Frankreich gesellschaft
llschaftlich nicht akzeptiert. Pazifismus ist in Deutschland eher ein Kneifen. Manchmal schnappen wegen seiner Stimmgewalt die Lautsprecher über. Werner Schulz assistiert mit einigen bösen Formeln. So an Havemann: Sie treten den Namen ihres Vaters in den Dreck. Oder: Ich habe dem Druck stand gehalten, Sie sind ausgewichen, als Sie 1971 in den Westen gegangen sind. Und über die PDS: Nichts als eine Selbsthilfegruppe. In diesem Saal in Frankfurt-Bockenheim trat 1913 Rosa Luxemburg gegen den sich ankündigenden Krieg auf und musste dafür 27 Tage ins Gefängnis. Hier findet nun die Wahlveranstaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS statt, zu der beide Parteien einladen. Mehr Gemeinsamkeit wird an diesem Abend nicht zugelassen. Neben den beiden grünen Routiniers erscheinen sowohl Jochimsen als auch Havemann als Neulinge im politischen Schlagabtausch. Beide sind keine Mitglieder der PDS, aber kandidieren auf deren Listen für den Bundestag und sind loyal, trotz ihres Abstands zur PDS. Der Saal beobachtet, wie die versierte Moderatorin, langjährige scharfe Panorama-Redakteurin, ARD-Großbritannien-Korrespondentin und von 1994 bis 2001 Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, bei einer solchen Veranstaltung an Grenzen stößt, die ihr möglicherweise neu sind. Vielleicht musste sie als Journalistin nie derart ungeschützt aus der Deckung gehen? In einer SFB-Sendung sagte sie: "Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Seitenwechsel von den Medien zur Politik gut bewerkstelligen kann. Die jahrzehntelange Haltung eines Beobachters, Chronisten, Kommentierenden und Analysierenden zu vertauschen mit - sich mit der Person für die Politik einzusetzen - ?" Sie wisse nicht, ob das gelingen werde. Aber sie habe sich gesagt: "Lernfähig war ich immer. Ich probiere es."In roten Städten wie Bologna Als Luc Jochimsen 1994 aus London zurück kommt - DDR-Auflösung und deutsche Vereinigung hat sie von außen beobachtet - verblüfft es sie, wie verkrampft man mit der PDS umgeht, auch unter Journalisten. Sie hat geglaubt, es sei allen klar, dass die "liberale, permissive, hedonistische Bonner Republik nun eine andere und die PDS ein Bestandteil dieser Veränderung" sein würde. Stattdessen ist PDS ein Unwort und man hofft, die Partei werde sich bald von selbst erledigen. "Vor allem habe ich nicht verstanden, warum man das überhaupt wollte. Ich dachte, die Auseinandersetzung mit der PDS ist Teil der neuen politischen Kultur des Landes, das müsste eine Selbstverständlichkeit sein. Was habe ich nicht alles erlebt unter Chefredakteuren der ARD, wenn man stritt, ob man zu großen politischen Sendungen und Hearings die PDS einlädt oder nicht: Bloß denen kein Forum geben, sie nicht einbeziehen, bloß nicht anerkennen als eine Partei unter anderen." Jochimsen lädt dann selbst PDS-Politiker ein, nicht nur den brillanten Gysi, betont sie. Sie will sich als Journalistin mit ihnen auseinandersetzen. Gleich 1994 führt sie ein Interview mit Gerhard Zwerenz, der als erster prominenter Unabhängiger in Hessen für die PDS kandidiert. Der bissige Schriftsteller schockiert bei seinen Wahlveranstaltungen mit dem Satz: Ich schicke eines voraus, ich bin Antikommunist, bin gegen den Staatskommunismus. Aber ich bin Sozialist und überzeugt, dass der Sozialismus durch die Geschichte der Sowjetunion und der DDR nicht von der Agenda unserer Welt verschwunden ist. "Eine solche Haltung empfinde ich als politische Kultur! Das hat mich fasziniert, und ich habe ihn dann beobachtet." 1998 kandidiert der nächste Unabhängige für die PDS, Fred Gebhardt, früher ein in Hessen bekannter Landtagsabgeordneter der SPD. Wieder ein Interview, Gebhardt sagt, dass ihm vielleicht die spannendste politische Zeit seines Lebens bevorstehe. "Das war eines der seltenen, tief gehenden Gespräche, die einen im journalistischen Alltag, wo man viele Interviews mit Politikern führt, begleiten und die man nicht vergisst." Eine schwere Krankheit bringt Gebhardt um die erhoffte Erfahrung. Er stirbt 2000. Die junge Abgeordnete Pia Maier aus Marburg rückt nach. Ob hinter Jochimsens Interesse an diesen Personen eine frühe Prägung steht? Ihr Vater, ein leitender Speditionsangestellter, trat 1947 aus Respekt vor dem kommunistischen Widerstand gegen die Nazis der KPD bei. Er nahm die elfjährige Tochter mit zu Vorträgen und Filmen über Konzentrationslager, über Polen und die Sowjetunion. Wegen der Slansky-Prozesse in Prag hat der Vater die KPD 1948 wieder verlassen. Aber die Tradition eines Antifaschismus, der mit sozialistischen Vorstellungen gekoppelt ist, blieb ihr vertraut. Die italienischen Kommunisten haben sie später beschäftigt, vor allem in roten Städten wie Bologna. Sie spricht Italienisch, kennt das Land. Sie gehört zu den Journalisten, die anerkennen, dass in der DDR für die Qualifikation der Frauen, für Kinder und Schulerziehung vieles besser gemacht wurde als in der Bundesrepublik. Staatssozialismus aber war die "Todsünde", so sagt sie es: Wenn die Idee zum Monopol und eine Partei zum Staat werde, führe das in menschenunwürdige Verhältnisse.Es gibt Zeiten zum Verzweifeln Reicht das alles schon für eine so ungewöhnliche Entscheidung, sich für eine Partei in die Waagschale zu werfen, die vielen als unanständig, anderen als nicht beachtenswert und manchen auch als gefährlich gilt? Reichen diese Gründe, um einen solchen Schritt aus dem Establishment zu machen, aus der respektierten Karrieresituation, aus dem herrlichen Ruhestand in Venedig an der Seite des Filmemachers Lucas Maria Böhmer und sich den politischen Auseinandersetzungen in Deutschland auf Seiten der PDS auszusetzen? Da ist noch London: Als sie kam, im Januar 1985, tobte der Kampf zwischen der stark sozialistisch orientierten Bergarbeitergewerkschaft und der Thatcher-Regierung. Sie erlebte, wie die konservative Elite die Bewegung mit allen polizeilichen und gesetzlichen Mitteln niedermachte. Sie sah, wie die Gewerkschaften ohne Urabstimmung in den Streik gingen und die Arbeiter jahrelang mit leeren Streikkassen durchhielten, bis sie resignierten. Sie konnte als Fremde ohne Selbstbegrenzung beobachten, ohne das Gefühl der Einmischung oder Loyalitätsverletzung, wenn sie das Für und Wider wahrnahm und aussprach. Noch früher ist da ihre Doktorarbeit, in der sie sich mit den Zigeunern als Minderheit in der Bundesrepublik befasste. Ihre Filmbeiträge handelten später oft von Randgruppen. Vernachlässigte Grundschulen waren ein Thema. Der Osten interessierte sie, in Frankfurt/Oder drehte sie mit dem ostdeutschen Regisseur Volker Koepp ein Stadtporträt. Heute erregt sie vor allem der soziale Rückschritt, der in der Bundesrepublik vor sich geht. Sie hat es schließlich schon anders erlebt: als sie aufwuchs, wurde das Schulgeld abgeschafft, gab es kostenlos Schulbücher, der Wohlstand verteilte sich anders als heute. Jetzt verkommen Städte, die eine reiche Infrastruktur hatten. Die Kommunen sind in Geldnot. In Frankfurt werde nach wie vor Geld transferiert und angehäuft, sagt sie, und doch verarme die Stadt. Das könne doch nur ein Defizit der Politik sein, die nicht einmal mehr ein ungefähres Gleichgewicht schaffe zwischen den privat erwirtschafteten Vermögen und der gesamten Gesellschaft. Stattdessen mache die Politik Riesenschritte "von der Zivilmacht hin zum militärisch operierenden Trabanten in unverbrüchlicher Loyalität. Sieben Militärmandate - ihr Ende nicht absehbar!" Vielleicht aber hat die Politik gar keinen Spielraum und täuscht die Menschen nur ständig darüber hinweg? Auf den Einwand antwortet sie knapp: Wenn man es nie testet, weiß man es nicht. "Es gibt Zeiten zum Verzweifeln, da rührt sich nichts. Aber man muss beharrlich sein, und wenn man großes Glück hat im Leben, kommen die Momente, und endlich verändert sich etwas, und dann verändert sich nicht nur die eine Sache, sondern mit ihr auch anderes." Als der Paragraf 175 fiel und damit die Angst, habe sich eine tolerantere Atmosphäre ausgebreitet. Vorher werde immer gewarnt, die Bevölkerung trage dies oder jenes leider nicht mit. Und dann stelle sich heraus, dass die Bevölkerung weiter sei als die Politiker. Luc Jochimsen ist auch als nüchterne Beobachterin eine Optimistin. Ende vergangenen Jahres meldete sich jemand von der PDS bei ihr in Italien, ob sie bereit sei, eine Idee zu besprechen. In Hessen wurde wieder ein unabhängiger Kandidat für die Wahl gesucht. Das kam unerwartet. Luc Jochimsen nahm an und bewarb sich. Unumstritten war ihre Nominierung nicht, auf der PDS-Wahlkonferenz erhielt sie 31 Stimmen, ihre Gegenkandidatin Pia Maier 19. Jochimsen hatte gesagt: "Ich komme von außen. Ich möchte für ein neues Verständnis der PDS hier im Westen werben, weg von der Zwei-Prozent-Partei, dem ewigen Looser West im Vergleich zum stetigen Winner Ost. Eine europäische Normalität, in der Tradition Hessens während der Nachkriegszeit, das selbstbewusst eine rote Hochburg war und Gegenmodell zum konservativen Adenauer-Regime."Eine Weltreise ins Innere Deutschlands Auf dem Podium des alten Theatersaals hat jeder der Vier sein Thema: Luc Jochimsen eine antimilitaristische Außenpolitik, wobei Deutschland für die europäischen Staaten ruhig eine Vorreiterrolle übernehmen dürfe, darin sieht sie nichts Anstößiges. Havemann hat den Kampf gegen Rechts im Auge. Cohn-Bendit propagiert ein starkes Europa als Gegenmacht zu den USA, aber ohne "deutschen Weg". Schulz verteidigt mit ihm die NATO-Einsätze, an denen Rot-Grün beteiligt war. Fast übertreffen sie sich da gegenseitig. Falls Saddam noch einmal Giftgas einsetze, müsse man auch dort zuschlagen, obwohl im Moment - im Moment! betont Cohn-Bendit - ein militärisches Eingreifen im Irak nicht geraten sei, denn es fehle ein Konzept für die Zeit "danach". Das Gewirr von Erwägungen und Einwänden verbirgt nicht, dass Cohn-Bendit und Schulz die Vorstellung von einer nichtmilitärischen internationalen Politik aufgegeben haben. Wie auch die SPD den Antimilitarismus und die soziale Gerechtigkeit als Ziel. Deshalb hat sich Jochimsen, die im Umfeld der linken hessischen SPD, ohne ihr Mitglied zu sein, immer gut aufgehoben war, der PDS zugewandt, wo sie diese Prinzipien noch vertreten kann. Sie ist auch bereit, im Wahlkampf durch Dorfkneipen zu tingeln und an Infoständen zu stehen. Wenn die PDS in den Bundestag kommt, wird sie dabei sein, ihr Listenplatz ist ein sicherer. Innerhalb der SPD stufe man sie nicht als eine "zuverlässige" journalistische Verbündete ein, erfuhr sie einmal von Peter Merseburger, dem Panorama-Chef. Weil ihr, gestärkt durch britische Erfahrungen, das Lagerdenken abging und sie die Berührungsängste der Partei, auch gegenüber der CDU, nicht ernst nahm. Manche, denen der hessische "Rotfunk" über Jahrzehnte ein Ärgernis war, wussten früher als sie selbst, wohin ihr Weg führen würde: "Ein Geheimnis waren Luc Jochimsens politische Präferenzen nie". So die FAZ vor einem Jahr, als sie noch keine PDS-Kandidatin war, aber Gregor Gysi gewünscht hatte, Bürgermeister einer roten Hochburg wie Bologna zu werden. Damit sei sie eindeutig zu weit gegangen als Chefredakteurin eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wurde ihr vorgeworfen. Du hättest doch von dem Geld, das Du in den Wahlkampf steckst, eine Weltreise machen können!, sagen ihr Freunde, die wissen, dass sie einen solchen Traum hegt. "Ich mache ja", antwortet Luc Jochimsen, "eine Weltreise. Die geht tief ins Innere Deutschlands, abenteuerlicher kann es kaum sein".
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