Plattmacher - Dummköpfe - Selbstdarsteller + Schlüpfrige - Partyhaie - Doofe - so steht es auf der Tafel einer jungen Frau. Aber auf ihrem Gesicht ein Lächeln, auch auf anderen, unübersehbar. An den weißen und grünen Kitteln zerrt der Wind. Die Leute drängen sich am Brandenburger Tor. Der Lärm von Rasseln, Spielzeugtrompeten und Pfeifen schwillt auf und ab. Nur dieses feine Lächeln scheint dem Zorn zu widersprechen. Das kenne ich, habe es schon bei vielen Demonstrationen und Streiks gesehen: es ist das Lächeln des Anfangs, gemischt aus Verlegenheit und Optimismus. Auf die Straße zu gehen, hat Überwindung gekostet. Die meisten werden nicht damit gerechnet haben, einmal als Protestierer dem öffentlichen Raum ausgesetzt zu sein. Nun sind viele gekommen, das tut gut. Die Blicke schweifen über die Gesichter, auch die Chefs sind da. Heute stehen sie dicht nebeneinander, grüßen, lesen Flugblätter. Die Zeitungen sind voller Artikel über die angekündigte, im Koalitionspapier vom 20. Dezember 2001 zwischen SPD und PDS festgeschriebene Schließung des FU-Klinikums Benjamin Franklin. Nach Silvester begann die Selbstverteidigung.
Doch alle Zahlenspiele kippen und stürzen ineinander
In Berlin gibt es ja alles doppelt, je in Ost und West. Die traditionsreiche Charité wie auch die Humboldt-Universität lagen nach dem Krieg im Ostsektor Berlins. 1959 wurde zwischen Steglitzer Villen der Grundstein für das Klinikum der Freien Universität (FU) in Westberlin gelegt. Zehn Jahre später ging es in Betrieb. Die amerikanische Benjamin-Franklin-Stiftung steuerte ein Fünftel der Kosten bei (60 Millionen Mark). 4.700 Medizinstudenten sind heute eingeschrieben. Berliner Zuschüsse betrugen 2001 rund 120 Millionen Euro. Zwei Drittel aller Kosten für die Kliniken werden von den Krankenkassen getragen. Von dort kommt Druck, sich in Berlin auf eine Uni-Klinik zu beschränken. Der neue Senat will 100 Millionen Euro in der Hochschulmedizin sparen, auf welche Weise auch immer.
Mit dieser Vorgabe begann das Rechnen. Doch alle Zahlenspiele kippen und stürzen ineinander. Schließungen bringen Verluste unterschiedlichster Art, ihre Aufzählung ist höchst beunruhigend. Ich falte zu Hause die Flugblätter auseinander - eines heißt 25 Argumente gegen die Aufgabe der FU-Medizin. Es beginnt mit den Arbeitsplätzen: bis zu 5.000 seien bedroht, darüber hinaus auch rund 150 kleine Firmen, die "aus der FU-Medizin ausgegründet" wurden. Die Finanzflüsse gehen nicht nur in eine Richtung: so würden Steuereinnahmen wegfallen, Sozialkassen belastet, Bundeszuschüsse für Forschung verschenkt, teilweise seien sie sogar zurückzuzahlen. Auf "Drittmittel" von rund 25 Millionen Euro würde verzichtet. Die finanziellen Verluste - auch die Folgekosten - wirken größer als die zu sparende Summe. Wie so oft scheint es, als könnten Politiker derartige Zusammenhänge und langdauernde Wirkungen nicht in ihrem Handeln berücksichtigen. Aber es geht um mehr: um Verluste an Spitzenleistungen, um das Renommee des "Wissenschaftsstandorts" Berlin.
FU-Vizepräsident Dieter Lenzen erklärt die Parameter der Spitzenleistung: Als wesentlich gelte die Einwerbung von "Drittmitteln" externer Auftraggeber. Beide Berliner Klinika stünden da im Bundesvergleich an der Spitze. Ein weiteres Kriterium sei der Impact-Faktor, der in den USA errechnet wird: Wie häufig werden Forschungsergebnisse der Wissenschaftler in renommierten Publikationen zitiert. Auch da beste Ergebnisse. Ein Qualitätsmerkmal sei auch die Kosten-Nutzen-Relation in der Lehre. Im Bundesdurchschnitt kostete zuletzt ein Medizinstudienplatz 400.000 DM - am FU-Klinikum waren es nur 350.000.
"100 Millionen Euro als Einsparungssumme sind eine unsinnige Zahl", sagt Lenzen. "Das ist innerhalb der SPD auch bewusst, die Zahl ist irgendwie in die Welt gesetzt worden. Wowereit braucht diese Summe im Zahlenspiel der Sanierung, ohne darüber nachzudenken, ob der Wissenschaftsbereich überhaupt geeignet ist für Kürzungen. Jede Wissenschaftsmark, die investiert ist, bringt drei Mark wieder herein. Was bedeutet der Entzug von Geld für den Wirtschaftskreislauf der Region? Wenn Kürzungen in der Kultur, im Verkehr, in der Wissenschaft geschehen, gibt es ganz unterschiedliche Effekte. So etwas muss vorbereitet werden."
Der FU-Vizepräsident ist kein Mediziner, sondern Professor der Philosophie und Pädagogik. Er habe einen Schnellkurs von sechs Wochen hinter sich und dabei erst erfahren, wie sehr die Medizin und andere Bereiche der Uni miteinander verbunden seien. "Da sind die Physik, die Chemie, die Biologie, die Pharmazie, das sind die Psychologen - ich habe in der Pädagogik die Akzeptanz von Kindern durch Erstgebärende untersucht, das ging nur zusammen mit Medizinern. Wissenschaft kann heute nur interdisziplinär gemacht werden. Der Verlust der Medizin trifft uns als Volluniversität."
Mit langen Schritten zum Abgeordnetenhaus
Gilbert Schönfelder ist ein junger Arzt und Forscher der Toxikologie. Er befasst sich unter anderem mit Wirkungen von Umweltsubstanzen aus dem täglichen Umfeld. Seine Erklärungen kommen wie gedruckt. Er gibt sie im Auto. Der Sturm, der kurz Berlin durchquert, verdunkelt den Mittag. Plötzlich liegt ein Baum über der Straße. Schönfelder ruft über Handy sofort die Polizei und redet weiter: 60 Angestellte hat sein Institut, davon sind 40 "drittmittelfinanziert" - wieder das Zauberwort. Die Charite verfügt über ein gleiches Institut. Sie könnten also im Ernstfall von dort nicht übernommen werden. Höchstens könnte die Charité die Besten abwerben. Der dortige Leiter komme von der FU, verhalte sich kollegial und fair. Aber auch der Präsident der Humboldt-Universität habe sich gegen die Schließung der FU-Klinik gewandt: Am Ende gäbe es nur Verlierer.
Schönfelder fährt im dichten Verkehr auf überschwemmten Stadtautobahnen und beantwortet konzentriert meine Fragen. Worin ist denn "Benjamin Franklin" Spitze? Klinisch gesehen, meint er, in der Augen-Tumorbehandlung mittels Protonentherapie (mit dem Hahn-Meidner-Institut), "das gibt es nur vier Mal in der Welt", weiter in der Neurochirurgie, bei lasergestützten Verfahren in der Chirurgie für die Behandlung von Lebertumoren, in der Kardiologie mit einem neuen Herzkatheter- und Rhythmologielabor. Die Pharmokologie sei ein Aushängeschild. Er weiß alles, kennt die Namen, die internationalen Partner. Auch sein Institut bringt Spitzenleistung und ist daher zum WHO-Gutachter berufen worden.
Aber in diesen Wochen ist Schönfelder vor allem Organisator des Protests. Er macht die Medienarbeit, hält Kontakte zu den Fraktionen im Abgeordnetenhaus. Das hat sich ergeben, ist keine Wahlfunktion. Er hatte eben schon gute Kontakte zu den Medien "aufgrund meiner wissenschaftlichen Arbeit". Er kennt die Infrastruktur Berlins, ist hier aufgewachsen, seine Schulkameraden haben im mittleren Bereich führende Positionen, mit ihnen gelingen ihm direktere Kontakte. "Von der Basis bis zur Spitze muss es stimmen, sonst würde nichts funktionieren."
Als das Auto eingeparkt ist, rennt er mit langen Schritten zum Abgeordnetenhaus, um rechtzeitig zur Übergabe von 160.000 Unterschriften hinzukommen, die in drei Wochen gesammelt wurden.
Die FU-Präsidenten, Personalräte, der ärztliche Direktor stehen im Foyer um die Waschkörbe voller Unterschriftenlisten. Walter Momper übernimmt sie als Parlamentspräsident freundlich-routiniert und unbeeindruckt. Die Kameraleute drängeln. Nachdem sich der Pulk auflöst, stehen die Klinikangehörigen leicht resigniert herum. Ihnen bleibt die Gästetribüne, um die nun folgende Debatte der Abgeordneten über das Schicksal des Klinikums anzuhören.
Die SPD fürchtete noch im November Proteste der Amerikaner
Die Choreographie der Zustimmung und Ablehnung ist von oben ungehemmt zu beobachten. Stimmungsmache oder Gleichgültigkeit manifestiert sich deutlich in den Partei-Segmenten, die wie breitere oder schmalere Tortenstücke locker im runden Saal angeordnet sind. Frank Steffel redet nur zum CDU- und FDP-Segment hin. Da will er Applaus und bekommt ihn von eifrigen Männerhänden. Aus dem schmalen Dreieck der Grünen, eingeklemmt zwischen den breiten Feldern der SPD und PDS, tönen Zwischenrufe. Links und rechts des Rednerpultes sitzen die Senatoren. Der Regierende liest Akten. Gysi kommt und geht. Thomas Flierl, Senator für Kultur und Wissenschaft, hört zu.
Nun sprechen auch jene, die die Schließung des Klinikums zu begründen haben. Für die SPD zeichnet Christian Gaebler die dramatische Haushaltslage Berlins als Hintergrund der Entscheidung. CDU und SPD waren in ihrer Großen Koalition handlungsunfähig. Jetzt wolle man sich "nicht mehr wegducken". Gaebler stellt auch einiges richtig: Das FU-Klinikum solle nicht geschlossen, sondern in ein Versorgungskrankenhaus verwandelt werden, Rückzahlungen und Verluste seien niedriger als meist angegeben. Brandenburg rechne zwar auch auf die Spitzenmedizin von FU-Klinikum und Charité und weiterer Berliner Kliniken, aber der erwünschten Fusion mit Berlin würde man dort erst zustimmen, wenn die Finanzen wieder geordnet seien.
Sehr genau wird der PDS-Sprecher Benjamin Hoff, ein 25jähriger Soziologe, der die Zahlen, Daten der Vorgeschichte, die schon erlassenen Gesetze und geschlossenen Verträge, die oft nicht erfüllt wurden, hastig herunterrasselt, um mit der zwanzigminütigen Sprechzeit auszukommen. Die Hochschulmedizin werde in Berlin schon seit zehn Jahren diversen Reformen unterzogen. Richtig gegriffen haben sie wohl noch nicht. Sein Vorwurf, die "strukturelle Unterfinanzierung" werde in der berüchtigten Berliner Sektlaune übersehen. Stattdessen berausche man sich an Erfolgsmeldungen über steigende Drittmitteleinnahmen. Sie seien aber gefährdet, wenn die Stadt unfähig wird zu weiteren Investitionen. Senator Thomas Flierl sagt, es würde gar keinen "Exekutionsbeschluss" über das FU-Klinikum geben. Es müsse in der gesamten Hochschulmedizin gespart werden. Eine Expertenkommission, die schon seit dem vergangenen Jahr beschlossen, aber nie einberufen und von SPD-Seite inzwischen als Verzögerungstaktik abgelehnt wurde, solle nun doch eingesetzt werden und bis zum Jahresende einen Vorschlag unterbreiten. Die Vorgabe: 100 Millionen Euro einzusparen und zugleich die Leistungsfähigkeit zu erhalten. "Effektivere Strukturen" sollen es ermöglichen. Das Wort Struktur macht mich allmählich benommen. Flierl meint aber, vielleicht sei eine Idee, die ÖTV und DAG im Jahr 2000 entwickelten, richtig: beide Unis betreiben gemeinsam ein einziges Klinikum mit vier Standorten.
Die riesige Summe einzusparen, scheint beim langen Zuhören mehr und mehr eine Illusion. Die Rechnung wirkt trügerisch. Was auf einer Seite gewonnen werden mag, kann auf der anderen verloren gehen. Nur eines fällt auf: die Pläne zur weiteren Umstrukturierung der Hochschulmedizin in Berlin scheinen nicht völlig unplausibel zu sein. Denn an dieser Stelle nehmen sich die Streitenden immer zurück. Oder bin ich mit solchen Erwägungen schon in eine Falle gelaufen?
Die PDS-Abgeordneten haben seit 1990 ungeheure Abwicklungen im Osten miterlebt und überlebt. Die Angst, sie zahlen es jetzt heim, macht sich in Berlin-West bemerkbar. Der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland bedient das Ressentiment und ruft in den Plenarsaal: "Das FU-Klinikum ist kein maroder VEB". Der bekannte Neurochirurg Professor Mario Brock klagt: "50 Jahre lang hat die Freie Universität für den Westen die Kohlen aus dem Feuer geholt, und jetzt ist sie Dispositionsmasse." Das FU-Klinikum wurde in Westberlin immer als Symbol deutsch-amerikanischer Freundschaft gefeiert. Die SPD fürchtete noch im November 2001 Proteste der Amerikaner.
Aber in den wenigen Wochen seit Amtsantritt am 18. Januar hat sich im FU-Klinikum die Meinung über die PDS geändert. Senator Flierl könne zuhören, heißt es, sei bereit, Vorschläge aufzunehmen, wohingegen Wowereit sich des Problems möglichst rasch entledigen möchte. Die FU hat für Abgeordnete eine Informationstour durch ihre Klinik-Institute veranstaltet. Von der SPD ließ sich niemand sehen. Flierl nutzte die Gelegenheit zur Ortsbesichtigung. "Die PDS verhält sich sehr viel vernünftiger als es die SPD rätselhafter Weise tut", stellte Lenzen fest.
Über die Lage an der Klinik sagte Schönfelder fast schwärmerisch: Alle seien am Protest beteiligt, soziale Abgrenzungen hinfällig. Petra Botschafter, die Vorsitzende des Gesamtpersonalrats, beschreibt es so: hierarchische Strukturen werden flacher und transparenter. Sie beobachtet es als Soziologin mit großem Interesse. Die gewohnten Konflikte innerhalb des Klinikums lösen sich auf. Die Personalräte gewinnen an Autorität. Und es profilieren sich Leute, die bis dahin nie auffielen. Erfrischend neue Organisationsmuster würden sich herausbilden, wie sie vorher nicht durchsetzbar waren und eine Kommunikation komme zustande, die für die Klinik, wenn sie bestehen bleibe, wie eine neue, positive Arbeitsgrundlage sei.n
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