Als die erste Greencard vergeben wurde - mit Foto und Text auf den Titelseiten aller Zeitungen - erschien im Wirtschaftsteil derselben Blätter eine Mahnung des Bundes der deutschen Industrie: rechte Gewalt gefährde den Standort Deutschland. Bald folgte der diskrete Hinweis, rassistisches Auftreten im Betrieb dürfe durchaus als Kündigungsgrund gelten, auch vor den Arbeitsgerichten.
Alle, die sich schon seit langem gegen die rechte Gewalt engagieren und dabei wenig Unterstützung fanden, reiben sich die Augen: Wirtschaft, Politik und Medien sind sich einig, dass gegen die wachsenden rechten Strukturen energische Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die aufflammende Empörung ist schwer zu glauben. Geht es um die Optik, soll das deutsche Image poliert werden? Oder hat in diesem Sommer die politische Vernunft so aufgeleuchtet, dass mit ihr die Gesellschaft eine neue Haltung gegenüber rassistischen und nazistischen Tendenzen hervorbringen kann?
Durch die Neiße schwimmen Flüchtlinge. Der Bundesgrenzschutz (BGS) jagt sie in einer Zone von 30 km entlang der Grenze, manche ertrinken, manche werden aufgegriffen und nach Polen zurückgeschickt, andere tauchen in Deutschland unter, ohne Papiere, ohne Rechte, nur mit dem unendlichen Überlebenswunsch, der sie alle treibt. Der BGS versucht, die Bewohner dieses Grenzstreifens zu Komplizen zu machen: Sogenannte Bürgertelefone wurden eingerichtet, um schnell und direkt Beobachtungen über Fremde mitzuteilen, Taxifahrer wurden genötigt, Verdächtige zu melden.
Im Städtchen Forst an der Neiße hat sich für eine Woche ein "antirassistisches Grenzcamp" angesiedelt. "Kein Mensch ist illegal", unter diesem Namen agiert eine lockere Kampagne und ruft schon das dritte Jahr zu einem solchen politischen Camp auf. Diesmal kamen an die 400 Leute mit ihren Zelten. Während sich aufgeregt Staatssekretäre und Länderinnenminister treffen, um über Mittel gegen rechte Gewalt zu beraten, während Partei- oder Polizeichefs ihren Abscheu gegen Rassismus artikulieren, muss dieses "Grenzcamp" Tag für Tag das Recht erstreiten, auf einer Wiese am Stadtrand die kleinen und großen Zelte aufzuschlagen, den Bauwagen der "Volxküche" mit den rußigen, rostigen kleinen Holzöfen aus der "Republik Wendland" zu postieren und die Toiletten zu installieren.
Aus einem Städtchen des Rhein-Main-Gebiets kommt Marion. Mehr müsse über sie nicht bekannt sein, meint sie. Sie ist zart, kann sich wie ein Taschenmesser zusammenklappen. Große dunkelblaue Iris, kleine Pupille an dem hellen Tag. So schaut sie prüfend der Wirkung ihrer Sätze nach. Sie hat längst für sich genau formuliert, warum sie sich gegen Rassismus engagiert. Nach Schicksalen von Flüchtlingen, die sie berührt und motiviert hätten, will sie sich nicht fragen lassen. "Ich sehe es im Gesamtzusammenhang." - Die Ursachen der Rechtsentwicklung liegen ihres Erachtens im staatlichen Rassismus. "Rassismus wird gefördert, durch Schlagwörter wie Schlepperbanden, Kriminelle, das Boot ist voll, das wird ja total gepuscht, Gesetze werden verschärft, Leute werden weggesperrt. "
Zu den Appellen an die Bürger, mehr Zivilcourage aufzubringen, hat sie eine sehr abweichende Meinung. "Man kann sagen: greift ein, schaut nicht weg. Das ist oft gesagt worden. Aber Eingreifen ist gar nicht erwünscht. In dem Land, in dem wir uns hier bewegen, ist es so geregelt: Wenn was ist, ruf die Polizei, die macht das für dich. Du sollst nicht selbst aktiv sein. Du sollst brav andere verpfeifen, aber du sollst ansonsten eigentlich deine Klappe halten. Und wenn du den Mund aufmachst, kann das ja für dich auch teilweise blöde Folgen haben. Das schreckt ab. Ich finde natürlich nicht, dass es ein Grund ist, den Mund nicht aufzumachen oder nicht einzugreifen, aber es ist nicht nur die Feigheit der Leute. Auf der einen Seite schon, aber auf der anderen Seite sollte man diesen Hintergrund nicht vergessen. Das ist mein Hauptangriffspunkt. Wenn Leute BGS-Denunziations-Telefone benutzen und sagen, da ist jetzt wieder einer rübergekommen, nehmt den mal mit, da würde ich ganz klar sagen: mit den Leuten will ich nichts zu tun haben, die gehören für mich - zur anderen Seite. Aber wenn Leute sich nicht trauen, kann man nur - wie wir es tun - die Leute in der Region stärken, die den Mund noch aufmachen, und ihnen zeigen, hier sind jetzt auch mal mehr und machen den Mund auf. Und sonst denke ich, man muss gegen die was machen, die das Mundaufmachen verhindern. So."
Kaum waren im Oktober 1990 die Neuen Bundesländer als Teil der Bundesrepublik etabliert, wurden ihnen Kontingente von Asylbewerbern zugeteilt. Leere Kasernen, abseits von Städten, gab es jede Menge. Auf einmal zogen also Afrikaner, Asiaten, Kurden, bald Bosnier und Albaner auf langen Wegen durch Kiefernwälder zu den nächstgelegenen Orten, wo sie bei Penny oder Spar mit ihren Gutscheinen einkauften. Diese Menschen lernte man nicht kennen. Wo auch? Nicht bei der Arbeit, nicht in der Kneipe, nicht als Nachbarn. Wenn sie eine Wohnung erhielten und die Sprache lernten, entstanden die ersten normalen, anständigen Kontakte, wie in Rostock beobachtet. Als Gruppen aber blieben sie fremd. Noch dazu würdigt sie auch der Staat deutlich herab und beraubt sie mit dem unterstellenden Begriff "Wirtschaftsflüchtlinge" ihrer Geschichte, ihres ganzen Schicksals. Wie soll man sich solchen Menschen nähern?
Die Asylbewerber kamen zusammen mit den Westlern, der Schließung der Betriebe, den neuen Gesetzen. Mit der Wende kamen aber aus Westdeutschland auch die rechten Ideologen in den Osten. Seltsam, dass es niemand erwähnt bei den jetzigen Debatten. Die NPD, auch ihre zeitweiligen Wahlerfolge, die DVU, Freys "Nationalzeitung", die Buchverlage mit kriegsverherrlichender Literatur und vieles mehr an nazistischer Vernetzung gab es schon. Besonders dicht im schönen Bayern, am Starnberger See. Das steht so nicht im Bayerischen Verfassungsschutzbericht, der gerade für 1999 herauskam, auch wenn die wichtigsten rechten Publikationsorgane genannt sind. Aber die Virulenz wird eher klar in den Veröffentlichungen der "Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V." (A.I.D.A.).
Auch hier sind es junge Leute, die die rechte Szene beobachten und die gefundenen Materialien archivieren. Markus war vor zwanzig Jahren als Halbwüchsiger auf der Theresienwiese beim Oktoberfest, als die Bombe explodierte, die ein Mitglied der "Wehrsportgruppe Hoffmann" gelegt hatte. Sie zerriss 14 Menschen, er erlebte die Panik, das Entsetzen, die schnelle Schuldzuweisung an die RAF, später verfolgte er die Ermittlungen. So begann sein politisches Engagement.
Markus und das kleine Grüppchen von Leuten um das Archiv weisen auch auf die Kontakte zwischen Rechten und CSU hin, wenn sie darauf stoßen. Macht sie das schon zu Außenseitern? Das Bayerische Innenministerium gibt sich selbstzufrieden, es habe alles im Griff, durch Härte und Entschlossenheit. Innenminister Günther Beckstein versucht, mit der Forderung nach dem NPD-Verbot vorzupreschen. Aber er will auch die übliche Gleichsetzung von "Links- und Rechtsextremismus" retten. Als einziger brachte er "die linke Gewalt" bei einer ZDF-Diskussion über Rechte Gewalt im Internet ins Spiel. Es passte nicht, niemand ging darauf ein, aber niemand verwahrte sich auch dagegen. Das Motiv ist wohl nur kurzfristig ausgesetzt.
In Dessau, wo am 6. Juni Alberto Adriano aus Mocambique von drei jungen Männern zu Tode geprügelt wurde, reagierten viele Menschen mit Erschrecken und Anteilnahme. Ein großer Trauerzug begleitete seinen Sarg, ein Steinmetz stiftete sofort einen rosa Sandstein mit einer eingemeißelten Rose. Der steht am Tatort, im kleinen Stadtpark, Blumen liegen dort. Immer wieder bleiben Leute stehen. Was denken sie? Kommen sie über den Satz nicht hinaus, den jemand ins Mikrophon sprach: "Warum ging er auch um zwei Uhr nachts durch den Stadtpark?" Adriano lebte hier seit 20 Jahren, arbeitete, hatte drei Kinder. Er fühlte sich offenbar nicht gefährdet, denn er sprach die drei betrunkenen Typen an, die von einer rechten Fete kamen und ihren Zug verpasst hatten: Sie sollten sich nicht so aufführen.
Auch hier beobachtet und veröffentlicht eine kleine Antifa-Gruppe, wo sich in Dessau die Neonazis sammeln, dass sie ein Jugendzentrum quasi in ihren Besitz genommen haben und dessen Infrastruktur nutzen, wie sie ihre "Kameradschaften" aufbauen, sich schulen. Niemand sonst teilt diese Dinge mit, auch wenn sie der Polizei bekannt sein dürften. Dass die DVU Busreisen wie Verkaufsausflüge in die Städtchen Sachsen-Anhalts organisierte, nachdem sie hier im April 1998 mit 16 Abgeordneten in den Landtag einzog, nahmen nur diese jungen Leute der Antifa-Gruppe nicht widerstandslos hin. Sie blockierten die Busse, dafür wurden sie gerichtlich verurteilt.
Thilo erhielt 20 Tage auf Bewährung oder 300 DM Strafe. Der Kampf gegen Rechts ist seit zehn Jahren sein Thema, nachdem er in Leipzig den ersten Großaufmarsch von Nazis erlebte. Und dann gibt es für ihn noch einen eigenen Grund: sein Vater, ein Holländer, war im Krieg als Zwangsarbeiter in Deutschland. Anfang der sechziger Jahre kam er in die DDR und blieb. Thilo kann ihn nicht mehr fragen, was ihn dazu bewog, er ist früh gestorben. Aber auch wegen dieses väterlichen Lebenswegs will er sich nicht beruhigen über die Rechtsentwicklung.
Diese kleinen aktiven Gruppen sind beharrlich, kompetent, bedroht von gewalttätigen Rechten, denen sie bekannt sind. Überall finden sie sich, Gruppen meist junger Leute, die den Behörden suspekt sind, die man nicht anhört, weil sie "die bestehende Ordnung" in Zweifel ziehen, weil sie in ihrer Kritik weiter gehen als nur zu den Symptomen. Sie sind einsam mit ihrem Engagement.
Dass es keine Akzeptanz für linkes, gar für radikales linkes Denken gibt, ist der Grundfehler, der auch die aktuelle Mobilisierung gegen neonazistische Entwicklungen scheitern lassen kann, wie schon oft in der Geschichte. Dieser Geburtsfehler des deutschen Bürgertums macht die Gesellschaft letztlich handlungsunfähig. Sie hat - was immer auch passiert - als erstes die "linke Gefahr" im Visier, die der CSU-Innenminister so eilig in Erinnerung rief, als einmal eine Stunde über rechte Gewalt diskutiert wurde, ohne sich von "Linksextremisten" zu distanzieren.
Die treffende Frage wurde vor fünf Jahren gestellt, als in Solingen von Jungen aus der "rechten Szene" das Haus voller Asylbewerber angezündet wurde und fünf Menschen in den Flammen starben, und als Bundeskanzler Kohl sich weigerte, zu ihrer Beerdigung zu kommen. Da fragte der Schriftsteller Ralph Giordano öffentlich: Kann sich der politische Typus Kohl überhaupt von Rechts bedroht fühlen? Kohl ist weg, der politische Typus ist geblieben.
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