Was ist das "rot-grüne Projekt"? Wie mit vielem, von dem andauernd die Rede ist, so ist auch hier unklar, was gemeint sein könnte. Der "ökologische Umbau der Industriegesellschaft", die Förderung alternativen Wirtschaftens, die sozial etwas weniger brutale politische Ausgestaltung der Globalisierung, das sind einige der Antworten, die im Umlauf sind. Dass dieses Projekt von Karrieristen verraten wurde, ist eine gängige Sichtweise. Plausibel wiederum ist die Ansicht, ein solches Projekt habe es nicht gegeben.
Allerdings erscheinen zwei Einwände sinnvoll. Es gab ein rot-grünes Projekt, das 1990 bei der Bundestagswahl, zu der Oskar Lafontaine als Kanzlerkandidat antrat, reale Chancen besaß, und es war zuvörderst und zuerst ein grün-alternatives. Mit ökologischen, anderen bürgerrechtlichen oder sozialkulturell motivierten Bewegungen konnten die Sozialdemokraten nichts anfangen. Es gab einige vorzeigbare Galionsfiguren, Lafontaine, Eppler und andere Versprengte und Wohlmeinende, die Einfluss gewannen, weil vieles, was aus diesen Bewegungen kam, unter großem Aufwand und Mobilisierungskraft in den achtziger Jahren, in der Gesellschaft mehrheitsfähig geworden war. Aber diese Entwicklung sollte nicht überschätzt werden; in seiner Partei musste ein Kanzler Schröder keine nennenswerten Korrekturen vornehmen.
Mit dem Wahlsieg 1998 stellte sich nicht mehr die Frage, ob dieses grüne und alternative Projekt in Politik umgesetzt werden könnte. Es ging darum, wie die gesellschaftlichen Mehrheiten, etwa für den Atomausstieg, gegen Rüstungsexporte oder für die Abkehr von der neoliberalen Politik, bekämpft und unschädlich gemacht werden können. Wenn jetzt also allerorten Abgesänge auf das "rot-grüne Projekt" zu lesen sind, ist zu entgegnen: Diejenigen, die bald abtreten, sind die, die das grüne und alternative Projekt beerdigten. Es geht also bei der anstehenden Wahl, kurz gesagt, um die Beerdigung der Sargträger.
Wie die Grünen für das Establishment zu nützlichen Personen werden konnten, ist zuweilen explizit, manchmal zwischen den Zeilen in diversen Publikationen nachzulesen. Natürlich steht dort auch, was für große Strategen diese Protagonisten doch sind, aber das ist für die jeweilige Gemeinde geschrieben und soll hier nicht weiter interessieren. Bemerkenswert ist auf jeden Fall, wie mit denen verfahren wird, die dem Aufstieg der Porträtierten im Weg standen. Wie etwa Michael Schwelien in seiner schon etwas zurück liegenden Biografie Joschka Fischers - mit dem bezeichnenden Untertitel Eine Karriere - mit den von den Medien als "Fundamentalisten" etikettierten Personen umgeht, ist kaum zu glauben. Jutta Ditfurth und andere figurieren als eine Art Roadkill, als Kröten, denen vorsätzlich keine Auffangzäune gebaut werden. Mit welcher Schäbigkeit gemeinhin die Geschichte der Sieger erzählt wird, hat man in diesem Milieu gut gelernt.
Wie das so funktioniert, der große soziale Aufstieg, auch dazu findet sich gelegentlich in dieser sonst wenig ergiebigen Biografie der ein oder andere Hinweis. So hielt Fischer 1996 auf Einladung der Herbert-Quandt-Stiftung, die leider nicht weiter beschrieben wird, aber für Anlässe dieser Art berufen zu sein scheint, eine Rede in Maryland, USA. Selbige wurde unter anderem von Horst Teltschik, dem ehemaligen Kohl-Berater, als ministrabel gelobt und fortan der Kandidat als kooptierbar anerkannt. Die zweite Anekdote spielt nach der erfolgreichen Wahl 1998, aber noch vor der Amtseinführung der neuen Regierung. Bill Clinton bedrängte die neu gewählte Führungsspitze, seiner Kriegsdrohung für das Kosovo zuzustimmen. Der alte Kanzler Kohl signalisierte Zurückhaltung, der neue soll Fischer ultimativ gedroht haben, wenn er diesem Kurs nicht zustimme, könne er seine Amtsträume begraben. Auf diese Weise wurde die verbliebene systemische Inkompatibilität diesem grünen Prätendenten ausgetrieben und etwas später bekanntlich ähnlich rüde mit dem grünen Umweltminister verfahren.
Zwei Bücher illustrieren nun den Weg des grünen Protagonisten Fischer. Zum einen verarbeitet Wolfgang Kraushaar in mehreren Essays das Thema Fischer in Frankfurt. Und zweitens erklärt der Außenminister die Weltlage in seinem neuen Buch Die Rückkehr der Geschichte. Wer Kraushaars Buch liest, wird über die Details des Frankfurter Häuserkampfes bestens informiert. Auch Dokumente, zum Beispiel Fischer-Texte aus Sponti-Jahren sind hier abgedruckt. Verblüffend ist: Alle reden immer von den Wandlungen dieses Menschen. Aber stilistisch hält sich der Wandel in Grenzen. Natürlich benutzt er heute nicht mehr Worte wie "Knast" oder "Weltrevolution". Aber rhetorisch scheint er früh fertig gewesen zu sein. 1976 schrieb er: "Am 8. Mai wurde Ulrike im Knast in den Tod getrieben, ja im wahrsten Sinne des Wortes vernichtet." 2005: Es "fällt bei all den vielen historischen Fortschritten sofort auf, dass es für die Welt nach dem Ende des Ost-West-Konflikts kein übergreifendes Ordnungsprinzip mehr gab, ja vermutlich auch gar nicht mehr geben konnte." Wann schrieb er: "Ein weiteres Mal hatten gewaltsame Eruptionen einerseits und die Angst andererseits sich als stärkende, überlebensnotwendige und daher untrennbare Korrektive" usw.? Inhaltlich hat er sich asymptotisch dem Mainstream angenähert, aber er benutzt dabei die gleichen Metaphern, den gleichen Satzbau, eine Rhetorik, die eine verständige, aber nicht brillante Amalgamierung des Gelesenen und Gehörten verrät.
Der Vergleich des neuen Fischer-Buches mit anderen, in denen es um Geo- und Machtpolitik geht, fällt eher negativ aus. Vor allem Zbigniew Brzezinksis viel gelesenes und zitiertes Buch Die einzige Weltmacht ist, was das große Schachspiel der Weltpolitik betrifft, ungleich kühler und auch acht Jahre nach seinem Erscheinen empfehlenswerter. Fischers Buch ähnelt einer überlangen Politikerrede vor Diplomaten, und wer mag die schon rezensieren. Bedauerlich ist, dass mit diesem Buch nicht zugleich eine Weltkarte inklusive eines Zeigestocks ausgeliefert wurde, um die Einübung in Weltpolitik auch dem Proseminaristen vermitteln zu können. Doch auch so hat sich der Minister einen schönen Themenfundus zusammengestellt, aus dem er nach dem Ausscheiden aus dem Amt noch lange die Vortragsreisen wird bestreiten können.
Ein anderer Fall ist Daniel Cohn-Bendit. Eigentlich kennt man ihn, warum sollte man also über ihn schreiben? Die Antwort lautet: Einige kennen ihn noch nicht. Glücklicherweise ist eine Einführung in Cohn-Bendit und eine Biografie dasselbe. Wer seinen Weg verfolgt hat, kann leicht die Angaben ergänzen. Zum Beispiel ist er ein sehr mäßiger Fußballer. Er kann besser schreiben als spielen, auch wenn er ersteres, und das aus gutem Grund, nicht gerne tut. Andere mögen anderes wissen, wer mit seiner Person gar nicht vertraut ist, kann in dem Buch von Sabine Stamer alles Grundlegende erfahren.
Irgendwie hat sich Dany le vert-rouge nicht sehr verändert. Man kann ihm nicht wirklich böse sein, auch wenn er wieder den letzten Blödsinn erzählt, denn eben deshalb ist er ja für das System nicht brauchbar. Aber letztlich sind das alles Psychologismen, die politisch nicht weiter führen. Es ist an der Zeit, das Verschwinden des letzten Restes der grün-alternativen Bewegungen zu registrieren. Viel zu wenig von dem, was während der achtziger Jahre erarbeitet und erkämpft wurde, hat Eingang in die Politik gefunden. Ein künftiges "linkes Projekt" wird das sorgfältig analysieren müssen; denn die Schwäche der Linken liegt auch darin, dass es gelang, alle Erinnerungen an das, was damals bezweckt wurde, hinter diesen Sargträgern, allen voran dem noch amtierenden Außenminister, zu verstecken. Nach der Wahl wird das schwerer sein.
Joschka Fischer: Die Rückkehr der Geschichte. Die Welt nach dem 11. September und die Erneuerung des Westens. Kiepenheuer 2005, 304 S., 19,90 EUR
Sabine Stamer: Cohn-Bendit. Die Biografie. Europa Verlag 2001, 286 S., 19,90 EUR
Wolfgang Kraushaar, Fischer in Frankfurt. Hamburger Edition 2001, 256 S., 18 EUR
Michael Schwelien: Joschka Fischer. Eine Karriere. Hoffmann und Campe 2000,
316 S., 20,40 EUR
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