Wir befinden uns im Jahr 2001. Die ganze Welt ist von den Neoliberalen besetzt ... Die ganze Welt? Nein! Von unbeugsamen Kämpfern besetzte Regionen hören nicht auf, den Konzernen Widerstand zu leisten.
Das Flair der Résistance, der Hüttendörfer, die in ländlichen und bewaldeten Regionen den Großprojekten zum Trotze errichtet werden, will nicht recht vergehen. Subcomandante Marcos verlässt seine Wälder, und im Wendland rollten wieder die Trecker. Die alten und neuen Widerständler haben ihre Vorbilder und ihre Unterhaltung, wie in den achtziger Jahren, als Groucho Marx in den Programmkinos so berückend davon sang, dass er dagegen ist, und zwar gegen alles, überall und immer, und kreative Aktivisten Comics in Umlauf brachten, in denen gallische Krieger mit blonden und roten Zöpfen der kämpfenden Truppe das kulturelle Rahmenprogramm lieferten. Groucho Marx singt immer noch, aber die Gallier, sie mögen nicht mehr, sie raufen mit dem gleichen Elan, mit dem andernorts Souvenirs verkauft werden, vertragen keinen Zaubertrank mehr und wären geeignete Kandidaten, um zu überprüfen, ob die Pflegeversicherung hält, was sie verspricht.
Kurz gesagt, Asterix und Latraviata ist das, was herauskommt, wenn einer, der nicht mehr kann, immer noch will. Tauschwerttheoretiker werden von "muss" sprechen, auf Millionen vorbestellter Exemplare verweisen, und damit der Realität sehr nahe kommen. Natürlich sind in dem neuen Comic die Witze so alt wie die Fische von Verleihnix. Sie werden auch nur deshalb konsumiert, weil sie schon bezahlt sind, und der Konsument lieber den verdorbenen Magen in Kauf nimmt, als den Ärger über verschwendetes Geld, der bekanntlich zu weit Ärgerem führen kann. Der Blick auf das Detail lohnt dennoch, schließlich wurde das weltbekannte Widerständlernest mit Asterix der Gallier 1968 gegründet, und das Nachleben der Kombattanten von einst enthält doch immerhin Unterhaltungswert.
In der Asterix-Verfilmung des vorletzten Jahres werkelte an der Seite Gerard Depardieus in der Rolle des Obelix die schöne Falbala, gespielt von Laetitia Casta, einer aktuellen Heroine der Modebranche. Im neuen Asterix tritt ausgerechnet jene Falbala wieder auf, inclusive einer Doppelgängerin, sozusagen ein verdoppeltes trojanisches Pferd der Marketingabteilung, um den latent widerständlerischen Gehalt des Comics - der alleinverantwortliche Uderzo verweist in Interviews immer noch auf die Erfahrungen seiner Familie in der Résistance gegen die Nazis - vollends zu schleifen. Spätestens seit Asterix und Maestra war es um diesen sowieso nicht mehr gut bestellt, was bleibt, sind Ruinen.
Der Feind hat neue Kohorten aufgeboten. Die Römer haben heute Kulturindustrien. In den bisherigen Heften wurden diese mächtigen Gegner häufig verspottet. Ironische Anspielungen auf mediale Kohortenführer (Lino Ventura in Der Seher, Sean Connery und andere) sorgten dafür, dass stets ein wenig Distanz gewahrt blieb, und dies konnte auch unbesorgt getan werden, denn einige der Römer verdienten damit einen Haufen Sesterzen. Rene Goscinny konzipierte themenorientierte Hefte mit dem Hang zum historisch stimmigen Detail, Zeichner Albert Uderzo galt als einer, dessen Neigung zur platten Aktualisierung und Anbiederei besser im Zaum gehalten wird, doch eben dieser demoliert seit einigen Jahren das gallische Dorf und errichtet an seiner Statt ein Merchandising-Center samt anhängigem Museum.
Der Held des Comics war nie der kleine, listige Asterix, diese Reclam-Ausgabe von Odysseus, sondern sein Kumpel Obelix, die Verkörperung der Hoffnung, dass das, was unmittelbar Spaß macht, zugleich politisch korrekt ist. Bereits im Vorgängerheft Obelix auf Kreuzfahrt wurde dieser Wunschmaschine die Kraft genommen, denn wieder zum Kind geworden, der Sturz in den Zaubertrank liegt in der Zukunft, ist er den Launen der Römer hilflos ausgeliefert. In Asterix und Latraviata kommt es noch ärger. Von der Wildschweinjagd heimgekehrt, erwartet ihn eine Geburtstagsüberraschung, allerdings nicht, wie in Die Trabantenstadt, eine römische Legion, ganz für ihn allein, sondern seine Mama; statt lustvoll Römer zu verprügeln, wird er fragwürdig bekocht und über seine Familienplanungen befragt. Nicht nur, dass eine "gesunde und ausgewogene Ernährung" im Land der Grand Cuisine als Dolchstoß empfunden werden muss. Schlimmer noch, Rebellen haben traditionell keine Familie, sondern eine Aufgabe, und bereits die These, dass die Eltern auch Römer sind, führt auf die schiefe Bahn des Ödipus. Wenn hier jetzt Mama und im Laufe der Handlung auch Papa auftreten, ist alles, was die Gallier Deleuze und Guattari je über den Kolonisator Ödipus erzählten, vergessen, weg, als wär´s nie gewesen.
Als ordinäres Produkt römischer Unterhaltung setzt sich auch die in anderen Kulturbranchen grassierende und stets weiter zunehmende Wurstigkeit gegenüber so profanen Dingen wie Dialogen, Dramaturgie, Handlungskohärenz durch. In Die Trabantenstadt wurde, wie gesagt, Obelix´ Geburtstag gebührend gefeiert; das neue Heft spielt am gleichen Tag, aber jetzt wird bedenkenlos behauptet, dass auch Asterix an diesem Tag geboren wurde. Die Unzucht am eigenen Text wird betrieben, damit auch hier der Reaktionär Ödipus sein Spießerregiment aufziehen kann und mit den gallischen Tugenden Vergnügen, Witz, Autonomie - die nie in kommunitaristischer Konfliktscheu gipfelte - aufräumt. Kein Zufall also, dass, wenn Ödipus auftritt, der Zaubertrank nicht mehr benötigt wird. Über Lautmalereien wie "Tschirack" und "Joschkahh" kann dann auch der Papi lachen.
Die Römer haben den Laden übernommen. Mit Asterix und Latraviata befriedigen sie sich selbst. Den Galliern bleibt noch die philologische Rückschau, visuell auf der besten, der Rückseite des Heftes, auf der die vorherigen Ausgaben abgebildet werden, und textmäßig in dem Buch Asterix und seine Zeit, das den Pfad des konvertierten Römers Uderzo verläßt und sich des gallischen Erbes von Goscinny annimmt. Unter anderen Althistorikern berichtet hier Veit Rosenberger, dass das in Historikerkreisen lange verbreitete Motiv römischer Gallierfurcht zu nicht geringen Teilen auf uneingestandene, ausgiebige Asterix-Lektüre zurückgehen könnte, und Thomas Grünewald informiert über die "Piraten in der Welt des Asterix".
Was soll uns das nun sagen, dass ausgerechnet die Altertumswissenschaftler die gallische Fahne hochhalten? Sicher, die Römer sind schuld. Distanz mögen sie nicht mehr, und das beeinträchtigt komische Effekte beträchtlich. - Was soll´s? Schicken wir die alten Helden doch in Rente und beschäftigen uns archivarisch mit ihnen. So bleibt immerhin die Gewissheit, dass die Römer nur die alten Gags aufwärmen und Humorlosigkeit auf Dauer noch jedem Empire schlecht bekommen ist.
Albert Uderzo: Asterix und Latraviata. Ehapa Verlag, Berlin 2001, 48 S., 16,80 DM.
Kai Brodersen (Hg.):, Asterix und seine Zeit. Beck Verlag, München 2001, 241 S.,19,90 DM
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.